Gut ankommen

Beitrag von Bischof Joachim Wanke in der Thüringer Allgemeinen: "Ich verstehe mein Leben insgesamt als eine Reise"

In den letzten Wochen haben viele Reisende eine ungewohnte Erfahrung gemacht: Angesichts von Schnee und Eis auf Straßen, Schienen und Flugplätzen freute man sich, überhaupt am Reiseziel anzukommen, wenn auch manchmal auf Umwegen und mit langen Verspätungen.

Ich selbst habe aus den Erfahrungen dieser Chaostage die Lehre gezogen, dass Ankommen wichtiger ist als Pünktlichkeit. Wie schnell können kurzfristige Pläne durcheinander geraten! Wichtiger ist es, mit Geduld und Ausdauer überhaupt ein Ziel zu erreichen. Natürlich wäre es gut, wenn wir uns bald wieder auf Fahrpläne und sichere Straßen verlassen könnten. Aber wir sollten durchaus einmal überlegen, auf welche Ziele im Leben es wirklich ankommt.  

Vor uns liegt ein neues Jahr. Die Terminkalender sind schon wieder gut gefüllt. Ohne Zweifel braucht es durchaus auch kurzfristige Ziele: beruflich, in der Aus- und Weiterbildung, bei persönlichen Lebensplänen. Aber erschöpft sich unser Leben in solchen Zielen? Könnte es sein, dass es Dinge gibt, die noch wichtiger sind als unsere Tagesaufgaben?

Ich verstehe mein Leben insgesamt als eine Reise, bei der für mich ein Ziel höchste Priorität hat. Ich möchte einmal bei dem ankommen, dem ich mein Leben verdanke: bei Gott. Einer; der nicht an Gott glaubt, wird vielleicht sagen: Mein Lebensziel ist es, im Beruf etwas Großes zu leisten. Oder. Höchste Priorität hat für mich, gesund zu bleiben und glücklich zu werden. Wieder ein anderer meint: Ich will so leben, dass ich einmal nach meinem Tode bei anderen im guten Andenken bleibe. Das ist durchaus ehrenhaft gedacht. Aber was habe ich davon, dass vielleicht einmal eine Straße nach mir benannt wird?

Für mich ist alles, was ich in meinen Erdenjahren tue und lasse, gestalte und erleide wie eine fortwährende Einübung des entscheidenden Übergangs zu einem Leben in Fülle, das ich von Gott erhoffe, ein Leben ohne Sterben und Vergehen. Um diese große Wandlung bin ich schon jetzt bemüht. Ich gebe zu: Das ist ein Langzeitziel. Ich versuche in immer neuen Anläufen, nicht nur für Menschen "liebenswürdig" zu werden, sondern auch für Gott. Das neue Jahr gibt mir dazu vielfältige Gelegenheiten. Wie viele Jahre mir noch geschenkt werden, ist unsicher. Aber wie gesagt: Manchmal ist das Ankommen wichtiger als die Pünktlichkeit.

Erschienen am 8.1.2011