Lesen Sie hier die Überschriften zu den neuesten Artikeln der katholischen Wochenzeitung »Tag des Herrn«:
Foto: kna/Lola Gomez/CNS photo
Bischof Gerhard Feige, Bistum Magdeburg:
Für mich ist Leo XIV. der siebte Papst in meinem Leben und jeder neue war eine Überraschung mit einem besonderen Profil und einer eigenen Ausstrahlung. Immer zeigte sich auch Kontinuität und Erneuerung.
Ich bin erfreut, dass die Wahl so schnell gegangen ist. Das zeigt doch wohl eine große Übereinstimmung der meisten Kardinäle.
Mir hat bei seinem Erscheinen auf der Loggia mehreres imponiert: einmal sein Gruß „Der Friede sei mit euch!“, dann aber auch das Zitat des Gründers seines Ordens, Augustinus: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof“. Das weist darauf hin, dass er in der Linie von Papst Franziskus weiter wirken wird. Außerdem hat er von einer synodalen Kirche gesprochen und von Barmherzigkeit – alles Begriffe, die für Papst Franziskus enorm wichtig waren.
Wenn ich auf seinen Namen schaue und seinen Vorgänger Leo XIII. betrachte, dann ist dieser Papst als „Arbeiterpapst“ und „der Soziale“ in die Geschichte eingegangen. Er war ein politischer Papst und hat sich darum bemüht, die Kirche aus ihrer selbstgewählten Isolation gegenüber den neuzeitlichen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen herauszuführen. Also gewissermaßen die Kirche mit der Kultur zu versöhnen.
Von daher bin ich voller Hoffnung, dass mit ihm der eingeschlagene Weg der Kirche gut weitergeht. Beten wir gemeinsam für Papst Leo XIV. um die dafür nötige Kraft und den Segen Gottes.
Bischof Heinrich Timmerevers, Bistum Dresden-Meißen:
Mit der Wahl von Papst Leo XIV. beginnt ein neues Kapitel für die Weltkirche – und eines, das bereits im Namen verheißungsvoll klingt. Denn Leo – das erinnert nicht nur an den großen Kirchenvater Leo den Großen, sondern auch an Bruder Leo, den engsten Gefährten des heiligen Franziskus von Assisi. Diese Verbindung berührt mich: Der Papst, der auf Franziskus folgt, wählt den Namen seines treuesten Weggefährten. Das ist mehr als ein schönes Bild – es ist ein geistliches Zeichen.
Bruder Leo war derjenige, dem Franziskus seine tiefsten Gedanken anvertraute. Er war mit ihm in den einsamsten Stunden, schrieb seine Worte nieder, lebte seine Einfachheit und war Zeuge jener radikalen Liebe zu Christus, die Franziskus auszeichnete. Wenn der neue Papst sich in diese Spur stellt, dann klingt darin das Versprechen mit: Auch künftig will die Kirche eine Hörende sein, eine Dienende, eine, die bei den Menschen bleibt.
Zugleich stellt sich Papst Leo XIV. mit seinem Namen in eine bedeutungsvolle Linie zur katholischen Soziallehre. Leo XIII. war es, der mit der Enzyklika Rerum Novarum im Jahr 1891 einen neuen Blick auf soziale Gerechtigkeit, auf die Rechte der Arbeitenden und auf die Verantwortung für das Gemeinwohl eröffnete. Diese Orientierung angesichts einer Zeit globaler Ungleichgewichte und wachsender sozialer Spannungen ist heute aktueller denn je. Ich bin überzeugt: Papst Leo XIV. wird in dieser Tradition synodal Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit suchen.
Bischof Wolfgang Ipolt, Bistum Görlitz:
Mit allen Schwestern und Brüdern in unserem Bistum freue ich mich über die so schnell erfolgte Wahl eines neuen Papstes. In seinen ersten Worten grüßte er uns mit dem österlichen Gruß des auferstandenen Herrn „Der Friede sei mit euch!“ und wünschte der ganzen Welt Frieden und Gerechtigkeit. Da der neue Papst aus dem Augustiner-Orden kommt, lag es nahe, an das berühmte Wort seines Ordensvaters, des heiligen Augustinus, zu erinnern: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof!“ Er betonte, dass es darauf ankommt, Christus, der immer vorangeht, zu folgen und dabei gemeinsam unterwegs zu sein. Am Ende seiner kurzen Ansprache vertraute er sich dem Schutz der Gottesmutter an und lud die Gläubigen auf dem Petersplatz ein, mit ihm das „Gegrüßet seist du, Maria“ zu beten – ein schönes Zeichen für einen gemeinsamen Glaubensweg, den wir alle mit dem neuen Papst gehen werden. Möge der Heilige Geist für ihn in seinem Dienst am Volk Gottes ein guter Ratgeber und Helfer sein. Das wünsche ich unserem neuen Heiligen Vater auch im Namen der Gläubigen unseres Bistums. Gott segne Papst Leo XIV.!
Bischof Ulrich Neymeyr, Bistum Erfurt:
Ich bin über die Wahl des Kardinals Robert Francis Prevost zum Papst sehr erfreut. Zum einen freue ich mich, dass Leo XIV. das Anliegen seines Vorgängers fortsetzt, dass nicht die Bischöfe allein über den Weg der Kirche entscheiden. Er postuliert eine synodale Kirche, die unterwegs ist und die sich in besonderer Weise den Leidenden zuwendet. Auch darin führt er die Linie Franziskus’ weiter. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Die Wahl seines Papstnamens lässt erwarten, dass Leo XIV. auch ein politischer Papst sein wird. Die Ansprachen und Predigten in den ersten Tagen nach seiner Wahl zeigen bereits deutlich seinen Willen, sich aktiv für Frieden und Versöhnung einzusetzen. Das ist ein wichtiges Hoffnungszeichen für die Vielen, die an Orten der Erde leben, die von Krieg und Gewalt erschüttert sind.
Und nicht zuletzt ruft er uns alle auf, eine missionarische Kirche zu sein, die ihre Zugehörigkeit zu Christus durch Wort und Tat bezeugt. Dies ist eine Ermutigung für unsere Kirche hier in Mitteldeutschland, wo der größte Teil der Bevölkerung schon seit Generationen keinen persönlichen Bezug mehr zum christlichen Glauben hat.
Erzbischof Heiner Koch, Erzbistum Berlin:
„Der Friede sei mit euch allen!“, die ersten Worte des neu gewählten Papstes konnte ich gar nicht live hören. Zur gleichen Zeit erinnerten wir ökumenisch in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945. Diese Sehnsucht nach Beendigung der Kriege, nach einem echten Frieden, verbindet uns in Berlin in besonderer Weise mit dem neuen Heiligen Vater und der ganzen römisch-katholischen Weltkirche. Ich verstehe seinen Friedensappell als einen geistlichen und einen politischen. In diesem Jahr war der 8. Mai in Berlin ein gesetzlicher Feiertag, für uns wird er – als Jahrestag der Papstwahl – noch viel mehr zu einem Gedenktag für den Frieden werden.
Aus seiner ersten Ansprache von der Loggia des Petersdoms habe ich für mich und das Erzbistum Berlin vor allem den Gedanken einer missionarischen Kirche herausgehört. Robert Francis Prevost hat selbst als Missionar die befreiende frohe Botschaft verbreitet. Er ist uns Vorbild, auch hier auf alle Menschen zuzugehen und ihnen von der Hoffnung zu erzählen, die uns trägt.
Genau wahrgenommen habe ich auch den Namen, den sich der neue Papst gegeben hat: Er stellt sich in die Tradition von Leo XIII. und der katholischen Soziallehre. In einer Zeit der zunehmenden Spaltung zwischen arm und reich, ein Signal, für das ich dankbar bin.
Und schließlich: Wer wäre besser geeignet, die Spaltung unserer Welt in Nord und Süd zu überwinden, als ein Nordamerikaner, der in Südamerika mit den Ärmsten gelebt hat.
Wir gratulieren Papst Leo XIV. zur Wahl und beten für ihn, denn es stehen allergrößte Herausforderungen bevor.
Foto: Eckhard Pohl
Matthäus Ruby (links) wird am 7. Juni, 10 Uhr in der Kathedrale St. Sebastian in Magdeburg. Primiz ist am 9. Juni, 14 Uhr, in Burg und am 15. Juni, 10.30 Uhr, in Aschersleben. – Johannes Ehme (Mitte) wird am 7. Juni, 10 Uhr, in der Kathedrale St. Jakobus in Görlitz geweiht. Primiz ist am 8. Juni, 10 Uhr, in Hoyerswerda und am 9. Juni, 10 Uhr, in St. Jakobus in Görlitz. – Roland Pisarek (rechts) wird am 7. Juni, 10 Uhr, in der Kathedrale St. Jakobus in Görlitz geweiht. Primiz ist am 8. Juni, 10 Uhr, in St. Marien in Cottbus und am 9. Juni, 10 Uhr, in St. Jakobus in Görlitz sowie am 15. Juni, 10 Uhr, in St. Walburga in Nürnberg.
„Mir macht der Glaube der Jugendlichen in unserer Gemeinde Mut“, sagt Roland Pisarek. Mit jungen Menschen arbeite er besonders gern, gehe mit ihnen auch mal Eislaufen oder Bowlen, so der angehende Priester. Angesichts der kleinen Zahl treibt den 30-Jährigen aber die Frage um: „Wie und womit kann man Jugendliche begeistern?“ Und: „Wie überhaupt wird sich die Kirche künftig entwickeln?“
Roland Pisarek wollte von Kindheit an Priester werden. „Ich hatte eine Kinderbibel, in der ich mir viel die Bilder angeschaut und versucht habe, damit zu beten“, sagt er. Seit langem sei ihm schon das Abendgebet sehr wichtig. „Inzwischen schätze ich besonders die Psalmen, die sehr oft zur Situation passen, in der man gerade ist.“
Pisarek ist mit seiner Schwester in Nürnberg aufgewachsen. In den Ferien sei er oft mit seinen Eltern zur Großmutter nach Polen gefahren. Bei ihr und in Gottesdiensten habe er die polnisch-volkskirchliche Praxis erlebt. Nach der zehnten Klasse wurde Pisarek Chemiekant und später Chemielaborant. Anschließend bereitete er sich im österreichischen Heiligenkreuz im Wienerwald auf das Theologiestudium vor und bestand die Berechtigungsprüfung. Von 2016 bis 22 studierte er dann an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz. Schließlich bewarb sich Pisarek, der auch gut polnisch kann, im Bistum Görlitz um Aufnahme als Priesterkandidat und kam 2022 in die Pfarrei „Heiliger Wenzel“ nach Görlitz. Nach der Diakonweihe wechselte er nach Cottbus.
Die Pfarrei „Zum Guten Hirten“ sei musikalisch sehr gut aufgestellt, schwärmt Pisarek. Überhaupt gebe es in der Gemeinde, zu der fünf Kirchorte gehören, eine große Vielfalt an Angeboten. Um so mehr bleibe er gern noch ein Jahr als Kaplan dort.
Pisarek schätzt es, in seiner Freizeit selbst zu kochen. Er fährt gern mit Inlineskates (einspurige Rollschuhe), geht schwimmen, trifft gern Freunde.
Für Pisarek ist die Feier der Liturgie zentral und er hat einen Wunsch: „Es wäre ein starkes Bild nach außen, wenn unsere Kirche im Blick auf die Liturgie einiger wäre“, ist er überzeugt und schließt dabei die Feier von Gottesdiensten im tridentinischen Ritus mit ein.
Als künftiger Kaplan wünscht er sich wenigstens zehn Jugendliche und möchte ein Treffen junger Erwachsener ins Leben rufen. Zudem erhofft er sich viel Feedback von der Gemeinde. „Schließlich bin und bleibe ich Mensch“, sagt Pisarek.
Als Primizspruch hat sich der Seelsorger Verse aus Kapitel 8 des Römerbriefs ausgesucht, wo es heißt: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht ...“
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal mit Leidenschaft Firmkatechesen vorbereiten und halten würde. Das macht mir große Freude“, sagt Johannes Ehme. Der Seelsorger wirkt derzeit in der Pfarrei Heilige Familie in Hoyerswerda und steht vor der Weihe zum Priester.
Der 32-Jährige wuchs in St. Johannes und St. Franziskus in Görlitz-Weinhübel auf. „Sobald man laufen konnte, gehörte es dazu, sich am Krippenspiel zu beteiligen“, erinnert er sich. Ehme war Ministrant, gestaltete kleine Andachten, fragte sich, ob der priesterliche Dienst etwas für ihn sein könnte. „Ich habe einen gleichaltrigen jungen Menschen begleitet, der getauft werden wollte“, erinnert sich Ehme. „Ich hatte das Gefühl: Er hat eine Entscheidung getroffen, ich nicht.“
Nach der zehnten Klasse wurde Ehme Metallbauer und war danach ein Jahr deutschlandweit als Zeitarbeiter unterwegs. „Das war nicht leicht, aber als junger Mensch trotzdem ganz interessant.“ Im Anschluss absolvierte er eine Fachschulausbildung zum staatlich geprüften Maschinenbau-Techniker.
Vom Gemeindereferenten wurde er ermutigt, Theologie zu studieren, und bat beim Bistum Görlitz um Annahme als Priesterkandidat. Da das Land Hessen seinen Fachschulabschluss als Zugangsberechtigung anerkannte, konnte Ehme in Frankfurt bei den Jesuiten in St. Georgen studieren. Dort habe er sich gut aufgehoben gefühlt, sagt Ehme. Insgesamt frage er sich aber, ob die Priesterausbildung statt im Seminar nicht viel näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen dran sein müsste.
Seit Herbst 2023 ist er in der Pfarrei Hoyerswerda eingesetzt und absolvierte den Pastoralkurs. Am Ende dieser Zeit stellt er fest: „Ein Suchen ist geblieben. Zugleich fühlt sich der Weg für mich als richtig an. Dass ich angenommen bin, spüre ich in der Pfarrei.“ Sorge machen ihm die immer kleiner werdenden Gemeinden.
„Mit der Übernahme des Zölibats bleibt eine Leerstelle zurück“, sagt Ehme. „Eine Familie hätte ich schon gern gehabt. Ich hoffe, dass ich Zeiten erlebe, in denen dieser leere Platz von anderen guten Erfahrungen gefüllt ist.“ Um so wichtiger seien Freundschaften, auch mit Frauen.
Theologisch beschäftigt ihn etwa die Frage, wie die verschiedenen Religionen gemeinsam dazu beitragen können, Gottes Wahrheit näherzukommen. Gleichzeitig gelte: „Es gibt trennende Vorstellungen, aber zusammen beten kann man immer.“
Als Leitgedanken für seinen Dienst hat er sich einen Vers aus Psalm 86 gewählt: „Richte mein Herz darauf hin, allein deinen Namen zu fürchten.“ In Hoyerswerda habe er eine kleine Jugendgruppe aufgebaut und freue sich, nun als Kaplan kontinuierlich vor Ort sein zu können.
„Bevor ich auf die Idee kam, Priester zu werden, habe ich was Vernünftiges gemacht“, Matthäus Ruby lacht. Seine Weihe steht bevor – und obwohl er schon mit fünf Jahren dachte, dass er Priester werden will, hat sein Leben ihn doch über Umwege hierhergeführt. Bevor er Theologie studierte, arbeitete der 33-jährige in der Waschmittelindustrie und war für mehrere Mitarbeiter zuständig. Nach der Entscheidung, Priester zu werden, änderte sich das. „Plötzlich saß ich wieder auf der anderen Seite des Tisches, dem Regens gegenüber, der für mich verantwortlich war. Davor habe ich alles selbst entschieden – bei einem Leben in Gemeinschaft ist das nur begrenzt möglich“, sagt der Diakon. Doch er sei zufrieden gewesen und ist im Rückblick auf seine Seminar- und Studienzeit dankbar.
Als Kind wuchs er in Burg bei Magdeburg auf, bewunderte den Priester am Altar und legte dann die „klassische Sakristeikarriere“ hin – Ministrant, Küster, Pfarrgemeinderat. Das Verständnis für den sakramentalen Wert der Weihe wuchs mit der Zeit. Dass der Priester nicht nur vorne am Altar steht, sondern vor allem hinter Christus zurücktritt, wurde ihm in der Beichte bewusst: „Da spürte ich deutlich, dass nicht der Priester handelt, sondern Christus selbst.“
Zu wissen, dass er als Priester nur die Brücke zwischen Mensch und Gott schlägt, empfindet er als befreiend: „Sünden vergeben – das könnte ich selbst doch gar nicht“, sagt er. Stattdessen glaubt er, dass Sakramente die Schnittstelle sind, an der Gott mit den Menschen in Berührung kommt. Das als Priester begleiten zu können, darauf freut er sich. Kraft schöpft er dabei aus der eucharistischen Anbetung. „Wer vorm Herrn knien kann, braucht vor den Menschen nicht zu zittern“, sagt er.
Dabei hat Matthäus Ruby selbst gezittert, als er 2018 die Kündigung seines Jobs unterschrieb. Viele Jahre lang hatte ihn die Frage umgetrieben, was er vom Leben möchte – und was Gott von ihm will. Als er sich entschied, tatsächlich Priester zu werden, waren Freunde und Familie nicht überrascht. „Da hab ich gedacht: ‚Leute, wieso habt ihr das nicht mal früher gesagt?‘“, erzählt er und lacht noch mal. Seit September 2023 ist er nun in der Pfarrei St. Michael in Aschersleben tätig – und freut sich, wenn dort in der Sonntagsmesse Lebensfreude spürbar wird.
Foto: Michael Burkner
Kaplan Winzer, Sie kommen aus Wittichenau, sind in Hoyerswerda zur Schule gegangen, haben dann unter anderem in Meißen, Bautzen, Dresden und Cottbus gelebt – jetzt sind Sie hier in Görlitz. Man hat den Eindruck, diese ganze Region ist ein bisschen Ihre Heimat. Aber wo fühlen Sie sich denn besonders heimisch?
Ich bin dankbar, dass ich in Görlitz von der Gemeinde so freundlich und herzlich aufgenommen wurde, das hilft dabei, hier heimisch zu werden. Zu Hause bin ich aber besonders da, wo meine Wurzeln sind, in Wittichenau also. Ich versuche, Kontakt zu meiner Familie und zu meinen Freunden zu halten, und nach Hause zu fahren, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Ich stelle aber auch fest, dass ich als Priester in der ganzen Welt zu Hause bin. Ich fahre nach Rom, stehe auf dem Petersplatz und treffe alte Freunde wieder. Es ist schön, Teil dieser großen Weltkirche zu sein.
Vor Ihrer Priesterweihe 2022 haben sie uns von einem Erlebnis berichtet, das auch ziemlich weit weg war, nämlich in Brasilien. Auf dem Weltjugendtag hat der Papst dazu aufgerufen, missionarisch tätig zu sein. Das hat Sie sehr geprägt. Was ist denn jetzt hier in Görlitz Ihre ganz persönliche „Mission“?
Ich versuche, Menschen zusammenzuführen, um Christus herum. Die Mitte der Gemeinde ist nicht der Ort, in dem wir zur Kirche gehen. Die Mitte ist Christus, um den wir uns als Kirche versammeln. Darin sehe ich meine Aufgabe.
Besonders Jugendliche möchten Sie um Christus versammeln. Deren Generation, Gen Z genannt, wird häufig als „kirchenfremd“ oder „ungläubig“ bezeichnet. Teilen Sie diese Beobachtungen?
Ich mache zwei total entgegengesetzte Beobachtungen. Einerseits gibt es viele Jugendliche, die mit Kirche nur zu den Sakramenten in Kontakt kommen und ansonsten ihr Leben gut ohne Glauben, Gott und Kirche leben. Es sind keine schlechten Menschen, aber ihnen genügt das offensichtlich. Und es gibt andererseits Jugendliche, die sich ganz intensiv mit Fragen des Glaubens beschäftigen und wie ein Schwamm alles aufsaugen wollen. Die immer tiefer erfahren wollen, was der Glaube mit ihrem konkreten Leben zu tun hat. Die dann unvermittelt anrufen und irgendwelche Fragen haben. Manchmal sitze ich im Auto und telefoniere über das Fegefeuer.
Warum gehen die einen Jugendlichen den einen Weg und andere Jugendliche einen ganz anderen?
Ich habe mir darüber letztens auch Gedanken gemacht. Ich war mit den Firmlingen ein Wochenende unterwegs und wir haben über Sakramente gesprochen. Mein Eindruck war, dass viele Jugendliche Symbole nicht mehr verstehen. Sie sehen allein das als wirklich an, was man sehen, hören und spüren kann. Der Blick auf das Transzendente ist verloren gegangen. Aber auch die Flüchtigkeit dieser Welt spielt eine Rolle. Viele rennen ihrem eigenen Leben hinterher und haben gar keine Ruhe und Muße, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Mir kommt unsere Gesellschaft sehr gehetzt vor. Vielleicht ist es die Ursache, aber es ist erstmal nur eine These, ich habe das noch nicht empirisch untersucht. (lacht)
Ist es Ihr Anliegen als Seelsorger, diese Ruhe wieder in das Leben gerade der Jugendlichen zu bringen?
Das sollte schon unser Anliegen als Kirche sein. Wir müssen den Menschen diese Möglichkeit eröffnen, durch das, was wir tun, wie wir Eucharistie feiern, aber auch durch spirituelle Angebote. Ich war zum Beispiel mit Jugendlichen im Sommer zehn Tage in den Alpen unterwegs, als Gruppe allein mit Gott und der Natur. Es hilft den Jugendlichen, diese Schönheit der Natur, ebenso wie die Gefahren der Berge zu spüren. Aber auch die Jugendstunden jede Woche sind für sie wie eine Oase. Sie können mit den großen Fragen des Lebens kommen, ihre Gedanken ein bisschen sortieren und einfach mal innehalten. Die Jugendstunden sind immer mittwochs, mitten in der Woche. Sie sollen die Woche unterbrechen und einen Impuls für das Leben geben.
Was sind das für Themen, mit denen die Jugendlichen gerade zu Ihnen als Seelsorger kommen?
Das ist ganz breit gestreut. Wir haben schon heftig über anstehende Wahlen diskutiert. Das war sehr intensiv und moralisch tiefgängig. Aber auch Liebeskummer oder Fragen der eigenen Berufung kommen auf: Was mache ich mit meinem Leben? Manche Jugendlichen kommen nach der Jugendstunde schwer nach Hause, weil sie weit auswärts wohnen. Ich fahre sie dann und diese Gespräche im Auto sind immer sehr wertvoll. Manchmal stehen wir schon vor der Haustür und müssen noch 20 Minuten zu Ende sprechen.
Kommen wir noch einmal auf Ihren Lebensweg zu sprechen. Ihr Theologiestudium hat Sie aus der Region herausgeführt, Sie waren unter anderem in Bamberg und Brixen, in Städten, die sehr katholisch geprägt sind. Wünschen Sie sich manchmal diese tiefe Verwurzelung des Katholizismus für Ihre Arbeit hier in Görlitz?
Ich kenne beides, das ist das Schöne. In Wittichenau habe ich volkskirchliche Elemente erlebt. In der Grundschule war es für mich normal, dass alle Welt katholisch ist. Dann bin ich nach Hoyerswerda in die Schule gekommen und plötzlich war ich der einzige Katholik. Erst da ging mir auf, dass es auch Menschen gibt, die nicht katholisch sind. Das Schöne an der Volkskirche ist, dass sie wie ein Netz ist, das dich auffängt, wenn du selber schwach bist. Hier in der Diaspora passiert dafür eine tiefere Reflexion und ich denke viel intensiver darüber nach, was ich tue. Das finde ich sehr heilsam, weil mein Glaube auf einem festeren Fundament steht, wenn ich ihn intellektuell durchdrungen habe. Ich möchte beides nicht missen.
Zum Abschluss eine kleine Schnellfeuerrunde: Ich stelle kurze Fragen, Sie geben mir kurze Antworten. Wie schalten Sie am liebsten vom stressigen Priesteralltag ab?
Am liebsten hole ich meine Nichte vom Kindergarten ab.
In welcher fernen Stadt würden Sie gerne zumindest eine Zeit lang leben?
Rom. Oder Reykjavik, aber eher wegen der Natur dort, weniger wegen der Stadt.
Zurück nach Görlitz: Wenn Sie hier in der Stadt eine konkrete Sache verändern könnten, was wäre es?
(überlegt lange) Das ist jetzt kein Schnellfeuer mehr. (lacht und überlegt weiter) Auf jeden Fall würde ich unsere Sekretärin fürs Bundesverdienstkreuz vorschlagen. (lacht wieder)
Foto: Jörg Farys/Erzbistum Berlin
Heidrun (links) und Bettina Klinkmann feiern mit der Familienbuchhandlung Sonnenhaus deren 100-jähriges Bestehen.
1925: Der Jesuitenorden gründete das Canisius-Kolleg, Carl Sonnenschein engagierte sich publizistisch und sozial, Bernhard Lichtenberg gründete neue Pfarreien und der gerade mal 26-jährige Rudolf Ziegler mietete im Heinrich-Heine-Viertel in Berlin-Mitte einen Laden mit sechs Schaufenstern – mit Galerie! – für das „Sonnenhaus“, seine erste Buchhandlung. Diese hatte den Krieg nicht überlebt, nach einer Episode in der eigenen Wohnung in Bohnsdorf, etablierte sich das Sonnenhaus mit Rudolf Ziegler und seiner Frau Elisabeth am Hackeschen Markt. Der Journalist und Autor Andreas Ulrich erinnert sich: „Als Kind hat mich der besondere Duft beeindruckt – ob es Weihrauch war? In den 80er Jahren war ich regelmäßig in der Buchhandlung, denn es gab da Bücher, die anderswo schwer zu haben waren.“ Ein wenig Glück und vor allem die Sympathie des Buchhändlers brauchte es aber auch, so Bettina Klinkmann, die als Enkelin die Buchhandlung in dritter Generation führt: „Es passierte immer wieder, dass Kunden mit Büchern rausgegangen sind, die sie gar nicht kaufen wollten. Oder aber man musste bei Opa eine Art Prüfung bestehen, um das Buch kaufen zu dürfen.“
Ganz einfach war es nie für das Sonnenhaus, ob es um die Genehmigung für eine katholische Buchhandlung in „Berlin – Hauptstadt der DDR“ oder aber um steigende Mieten oder den Versandbuchhandel ging. Aus der Linienstraße 100 will Bettina Klinkmann aber nie wieder weg. Das liegt auch am Vermieter, der Pfarrei Bernhard Lichtenberg – die Buchhandlung liegt am Hintereingang der St. Adalbert-Kirche. Die Bücher stehen dicht an dicht, auch auf Stapeln „und nur die beiden Buchhändlerinnen haben den Überblick. Das ist eine Bücherhöhle im besten Sinne“, so Andreas Ulrich.
Erfunden hatte Sonnenhaus-Gründer Rudolf Ziegler die Büchertische als Ergänzung zur Buchhandlung. In der Anfangszeit ist er mit dem Zug, Rucksack und zwei Kisten in die Gemeinden und zu Wallfahrten gefahren, und Tochter Heidrun musste immer mit: „Am schlimmsten waren Büchertische in Chorin, das ist so weit zu laufen vom Bahnhof bis zum Kloster.“ Heidrun und Bettina Klinkmann führen diese Tradition der Büchertische weiter – inzwischen aber mit dem Auto. Los gehts rund um die Erstkommunion, besonders intensiv ist die „Open Air-Saison“ mit Wallfahrten und anderen Großveranstaltungen. Nach der Sommerpause steigt die Nachfrage zum Advent wieder an, nach Büchertischen in den Gemeinden.
Dass das Sonnenhaus seit 100 Jahren ganz bewusst als eine katholische Buchhandlung geführt wird, sieht man nicht, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Bestseller und manche persönliche Leseempfehlung von Heidrun und Bettina Klinkmann prägen das Schaufenster. Als Bettina Klinkmann die Buchhandlung übernahm, wollte sie am liebsten die ganzen christlichen Bücher, Kerzen und Devotionalien ganz rausnehmen. „Aber das wäre das Ende als Buchhandlung gewesen. Die christliche Nische – beziehungsweise unser christliches Profil ist unsere Rettung, sonst wären wir schon lange weg vom Fenster.“ Denn auch wenn die Katholiken im Erzbistum Berlin weniger werden, Kinderbibeln zur Geburt oder Einschulung, Gotteslob zur Erstkommunion, das wird weiterhin gebraucht. Und weiterhin ist es Ehrensache für viele Pfarrer, dass sie ihren Bedarf an Fachliteratur, aber auch an liturgischen Büchern, über das Sonnenhaus decken.
Stefan Förner
Ich versuche das mit Anfang 40 mit Humor zu nehmen. Älter zu werden, bringt auch Vorteile mit sich: So kann ich etwa mit einigen Situationen entspannter umgehen als noch vor zehn oder 20 Jahren.
Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, wie wichtig die Älteren in meinem Umfeld sind. Ich erinnere mich häufiger an Aussprüche meiner über 90-jährigen Großmutter, an schlaue Sätze meiner Eltern. Vor kurzem habe ich erfahren, dass ein alter Herr, den ich 2015 in der Flüchtlingsarbeit kennenlernte, gestorben ist. Da ploppten Erinnerungen an Gespräche auf, an die ich lange nicht mehr dachte. Mir wurde bewusst, wie sehr mich die kurze Begegnung geprägt hat und wie viel davon ich seitdem in meinem Leben versuche, umzusetzen.
Das Vermächtnis alter Menschen ist wichtig für unsere Gesellschaft, für unsere Kirche und für unsere Familien. Das bedeutet nicht, dass wir alles unkritisch übernehmen sollten. Aber es lohnt sich, jahrzehntelange Erfahrungen in Ruhe anzuhören. Bei Levitikus heißt es: „Vor ergrautem Haar sollst du aufstehen und einen Alten sollst du ehren.“ Ich finde, das ist ein schöner Satz. Bewusst wurde mir das auch bei der Wahl des neuen Papstes. In den Medien wurde im Vorfeld über das Alter möglicher Kandidaten spekuliert. Ich schaue positiv auf den 69-jährigen Leo XIV. und wünsche mir, dass seine Lebenserfahrung das Ausfüllen seines neuen Amtes erleichtert. Ich hoffe auf Weisheit und eine innere Freiheit des neuen Papstes, mit den Herausforderungen der Weltkirche klug umzugehen.
Foto: Johanna Marin
Auch die Priorin des Klosters, Irene Gassman (rechts), inspiriert die Pilgerinnen. Juliana Gombe (links) hält die Begegnung mit dem Handy fest.
Vor meinem Fenster schreitet gerade eine Benediktinerin in ihrem grauen Arbeitsgewand durch den Klostergarten und ruft dem Gärtner lachend Anweisungen zu. Sie ist eine von vielen Frauen, denen ich diese Woche begegnen darf: bei der Pilgerinnenreise vom Bistum Magdeburg ins Kloster Fahr in der Schweiz. Eigentlich sind wir auf den Spuren der Mystikerin Mechthild von Magdeburg unterwegs, doch in geselliger Runde erzählen die siebzehn ökumenischen Pilgerinnen auch von anderen Frauen, die sie begeistert haben.
„Ich habe euch doch gesagt: wir sollen die Menschen froh machen!“ Ulrike Bundschuh ist evangelische Pfarrerin – und stellt mit diesem Zitat eine der wohl bekanntesten Katholikinnen vor: Elisabeth von Thüringen. Sie ist beeindruckt davon, wie furchtlos die Königstochter Kontakt zu den Armen aufnahm. In Elisabeths Gerechtigkeitssinn findet sie Parallelen zur heutigen Gesellschaft: Weil die Armen nichts zu essen hatten, aß auch die Heilige nur wenig. „Auch heute müssen wir uns fragen, wo unser Essen eigentlich herkommt, wer dafür gearbeitet und wer daran verdient hat“, sagt die Pfarrerin. Sie bewundert, wie Elisabeth sich um die Ärmeren kümmerte: „Wer aus der sozialen Arbeit kommt und mal bei der Tafel gearbeitet hat, weiß, dass das nicht immer einfach ist. Die Menschen schämen sich, Neid spielt eine Rolle.“ Genau deshalb gefällt Ulrike Bundschuh Elisabeths Botschaft – die Menschen eben nicht nur satt, sondern auch froh zu machen.
Annette Thaut, die selbst Mutter von vier erwachsenen Kindern ist, stellt eine weitere Frau vor, die angepackt hat – und dafür nicht gelobt wurde. Martha, die Schwester Marias. Sie ist die Patronin der Hausfrauen und Köche, dabei sagte Jesus ihr, dass sie sich auf das Unwesentliche konzentriert hätte, dass ihre Schwester Maria, die Jesus zu Füßen sitzt und ihm lauscht, es richtig macht. Vielleicht stürzte Martha danach in eine Sinnkrise, überlegt Annette Thaut. Und zugegeben – wer würde das nicht, wenn Jesus einem vorwirft, dass man sich mit Unwesentlichem aufhält? Andererseits bestimmen Haushalt und Essen auch heute unseren Alltag – dass Menschen sagen, sie würden sich selbst eher in Martha wiederfinden als in Maria, habe ich schon häufiger gehört. Doch Annette Thaut erzählt den Frauen, die hier im Kreis sitzen, noch von einem anderen Blick auf Martha: „Martha war streitlustig und mutig und hat eine der ersten Hauskirchen mitbegründet.“ Das wisse man aus dem Johannesevangelium, sagt sie, denn: „Johannes wusste, dass es in der Kirche starke Frauen braucht.“ Und dann gelingt es Annette Thaut, Maria und Martha miteinander zu vergleichen, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Denn Maria, so sagt sie, stehe für das kontemplative, nachdenkliche Christentum. Martha hingegen sei Sinnbild für das tätige, aktive Christentum – und beides braucht es.
Juliana Gombe ist in Angola aufgewachsen. Frauen hätten hier in Deutschland viel mehr Chancen und Möglichkeiten als in ihrer Heimat, erzählt sie. Dass es dennoch auch hier nicht allen gut geht, weiß sie – sie ist gesetzliche Betreuerin für Menschen, die ihre Behördengänge aufgrund einer Behinderung nicht allein bestreiten können. Juliana Gombe stellt die erste schwarze Frau vor, die jemals heiliggesprochen wurde: Josefine Bakhita. Eine aus dem Sudan entführte Sklavin, die sich nach ihrer Befreiung taufen ließ und einem Frauenstift beitrat. Was sie an ihr fasziniert? Auf die Frage, was sie tun würde, wenn sie ihren Entführern begegnen würde, entgegnete Josefine Bakhita einst: „Ich würde niederknien und ihnen die Hände küssen – denn sonst wäre ich heute nicht katholisch und nicht Ordensfrau.“ Vor so viel Dankbarkeit und Glückseligkeit zieht Juliana Gombe den Hut: „Wie mutig sie war!“
Wie so oft, wenn Menschen zusammenkommen, fließen auch bei dieser Pilgerinnenreise viele Talente zusammen. Angela Degenhardt schnappt sich ihre Gitarre und stellt die Schriftstellerin Hilde Domin vor, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung in den 1930er Jahren ins Exil gehen musste. Die Gemeindereferentin erzählt uns nicht die Geschichte, die hinter der Frau steht, sondern lässt ihr Gedicht in einem Lied wirken: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“, singt sie Hilde Domins Worte, während die anderen Pilgerinnen lauschen. Auch Angelika Pohler setzt ihr Talent ein, um eine umstrittene Frau vorzustellen: Die Apostelin Junia, die im Römerbrief genannt wird und bei der Exegeten sich uneinig waren, ob der Name aus dem Griechischen mit „Junius“ oder „Junia“ zu übersetzen sei. In der Einheitsübersetzung von 2016 findet sich die weibliche Form. Angelika Pohler ist studierte Grafikerin. „Junia hat mich berührt und ich dachte, wenn Gott mir schon diese Begabung gegeben hat, wieso soll ich sie nicht malen?“, sagt sie in die Runde und verteilt kleine Portraits. Junia mit langem rotem Haar, einen Kelch zum Abendmahl in der Hand – „Ich stelle sie mir als Leiterin einer Hausgemeinschaft vor“, sagt Angelika Pohler, die ihre Version der Junia mit fließenden Wasserfarben gemalt hat.
Zu guter Letzt meldet sich eine Pilgerin zu Wort, die selbst das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Monika Schwenke ist ebenfalls vierfache Mutter und Abteilungsleiterin bei der Caritas im Bistum Magdeburg. „Brauchen wir eine bestimmte Funktion oder Position in einer Institution?“, fragt sie in den Raum. „Ich finde, alle Frauen, die wir uns heute gegenseitig vorgestellt haben, haben in ihrem Leben ganz vielen Menschen geholfen – ohne dabei irgendeine Position innezuhaben. Und wir reden bis heute von ihnen!“
Und wenn ich mir so anschaue, wie die Schwestern im Kloster Fahr von ihrer Gemeinschaft erzählen, oder die Pilgerinnen von ihrem Leben, von ihrer DDR-Vergangenheit, ihren Projekten und ihren Kindern, Enkeln und Familien, denke ich, dass wir gar nicht so weit in die Vergangenheit schauen müssen, um Vorbilder zu finden. Manchmal reicht auch der Blick nach links und rechts – oder eben aus dem Fenster in den Klostergarten.
„Jugendliche sind nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart.“ Diese Ansicht teilt Michael H. Kreher mit dem gerade verstorbenen Papst Franziskus. Seit letztem August ist der Kaplan für die Jugendlichen zwischen Zittau und Kahla, von Leipzig bis Markneukirchen Ansprechpartner. Als Diözesanjugendseelsorger ist er Teil des Teams der Bistumsabteilung Kinder-Familie-Jugend, Spiritual der Dresdner Kapellknaben und Hausgeistlicher im Winfriedhaus. Dabei sei ihm die Grundhaltung wichtig: „Wir freuen uns, dass ihr da seid!“
Michael H. Kreher, der eher bedacht und leise redet, versprüht Freude, wenn er über junge Menschen spricht. Vorurteile der Älteren wehrt der 36-Jährige ab: „Die Jugendlichen von heute haben ein gutes Gespür für sich selbst und gehen verantwortlich mit sich selbst um. Sie nehmen nicht alles hin, weil es immer schon so war, sondern fragen auch in der Kirche und in Sachen Spiritualität: Bekomme ich, was ich brauche? Wenn das passiert, bringen sie sich ein; wenn nicht, suchen sie sich etwas anderes.“ Das sei erst einmal unbequem für die Kirche, gibt der Priester zu, aber letzten Endes doch gut, weil junge Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen.
„Wenn wir Jugendliche erreichen wollen – und das ist unser Auftrag – müssen wir versuchen, aus der Perspektive junger Menschen zu denken.“ Er versuche beispielsweise, sie in die Vorbereitung von Angeboten einzubeziehen, auch wenn das herausfordert. „Aber meine Erfahrung ist, dass Gleichaltrige sie besser ansprechen können.“ Beim Weltjugendtag 2023 in Lissabon habe er Jugendliche begleitet und anfangs nur schwer überzeugen können, auch mal tratidionelle Gebetsformen auszuprobieren. Denn jeder müsse die Form von Gebet finden, die zu ihm passt. „Als dann unsere jungen Gastgeber begeistert über den Rosenkranz sprachen, waren plötzlich auch meine deutschen Jugendlichen ganz motiviert, ihn zu beten.“
Althergebrachte Formate versucht Kreher ehrlich anzuschauen. „Eltern sagen manchmal: Das war immer so toll, da sind immer viele hingekommen! Bei solchen Veranstaltungen braucht es vielleicht ein Update. Auch habe ich eingeführt, dass wir bei der Jugendvesper, die vierteljährlich in Wechselburg stattfindet, nachzählen, wie viele denn tatsächlich kommen.“ So könne man nachvollziehen, ob Angebote realistisch geplant sind. Alternative Formate seien ihm wichtig, etwa Jugendgottesdienste, Musik oder Taizétreffen. „Die Brüder in Taizé haben ein unglaubliches Vertrauen in die Jugend. Sie sagen: Das sind großartige Menschen. Das spüren die Teilnehmer. So authentisch will ich auch sein“, sagt Michael H. Kreher begeistert.
Deshalb fordert er, dass junge Menschen in den Gremien der Kirche vorkommen. Und er kommt zu dem Schluss: „Sie sollten ihre eigenen Wege finden, auch wenn die Art zu glauben, anders ist als meine.“ Dieses Grundvertrauen zieht der Kaplan direkt aus seiner Gotteserfahrung. Bei seiner Priesterweihe vor vier Jahren wählte er den Jesus-Satz aus Lukas 22: „Ich aber habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht erlischt.“ Bis heute ist er überzeugt, dass Gott letzten Endes seinen Weg mit jedem Menschen geht. „Ich bin mir sicher, dass die institutionalisierte Kirche in zehn bis 20 Jahren sehr anders aussehen wird als heute. Aber Gott hat der Kirche seinen Segen verheißen, darum mache ich mir keine Sorgen um sie“, sagt Kreher. „Die Lebensumstände der Menschen um uns herum ändern sich. Für mich gehört es dazu, dass wir uns als Kirche mit ihrer Lebenswelt auseinandersetzen und uns ihren Fragen nicht verschließen.“ In Fragen der Sexualmoral habe die Kirche das Vertrauen der Menschen längst verloren. „Ich muss über niemanden als Moralapostel urteilen. Das ist Aufgabe des barmherzigen Gottes.“ Entscheidender sei, dass sich Kirche zu Menschenrechtsverletzungen, Hunger und Armut zu Wort melde oder zum Frieden mahne. Für ihn als Seelsorger seien nicht theologische Grabenkämpfe wichtig, sondern die Frage: „Wie kann ich Räume öffnen, so dass Menschen Gott spüren können?“
Michael H. Kreher hat diese Suche nach Gottesbegegnung selbst erlebt. Evangelisch getauft und aufgewachsen in einer Familie, in der der Glauben keine zentrale Rolle spielte, entschied er sich trotzdem für ein Theologiestudium. Als er nach zwei Jahren Vorstudium nahe Hannover zurück in seine Heimatstadt Leipzig kam, fand er zunächst keinen Anschluss mehr an seine Gemeinde und suchte auch in verschiedenen Freikirchen nach seinem Platz. Als ihn Freunde in eine Rorate-Messe um 5 Uhr morgens in die Katholische Studierendengemeinde einluden, habe er sofort eine große innere Ruhe vor Gott gespürt. Und das, obwohl die kleine Hauskapelle völlig überfüllt war. Es begann ein langer Prozess, in dem er prüfte, ob er konvertieren und schließlich auch katholische Theologie studieren wollte. Zu beidem fand er durch gute seelsorgerliche Begleitung sein Ja. Auch zu der Berufung zur Ehelosigkeit. Kreher ist bis heute überzeugt: „Gott hat eine großartige Idee für unser Leben. Wenn wir dieser Spur folgen, werden wir zu jenen Menschen, die wir sein wollen und als die wir von Gott erdacht wurden. Das Fragen und Ringen war mein Weg. Der Zölibat gehört zu meiner Berufung, ist aber keine Entscheidung gegen Familie, sondern für das Priestersein, weil meine Sehnsucht mehr dahin strebt.“ Zu seinen Aufgaben im Bistum gehört neben der Jugend-, auch die Berufungspastoral, er versucht also junge Menschen für kirchliche Berufe zu begeistern. „Ich fasse das sogar weiter: Gott macht uns ein Angebot für ein gelingendes Leben. Mir ist es wichtig, junge Menschen dabei zu begleiten.“
Fotos: Julia Reinard
Christina Balint (links) scannt die ausgeliehenen Bücher von Jan und seiner Mutter Agnieszka Pyka-Goldner.
Christina Balint kann sich Namen und Gesichter außergewöhnlich gut merken: Wer drei Mal etwas bei ihr in der Medienstelle des Bistums Erfurt ausgeliehen hat, dessen Namen tippt sie, ohne nachfragen zu müssen, in die Suche des Bibliothekssystems ein. Bei rund 2000 Nutzern ist das eine Kunst – sie nimmt es selbstverständlich: „Ich habe ein gutes Namensgedächtnis“, bestätigt sie. Am Morgen hat sie das Rolltor hochgefahren und damit die Bibliothek geöffnet. Seit 31 Jahren ist das ihr Ort. Die Buchhändlerin und Bibliothekarin hat die Medienstelle gemeinsam mit Jork Artelt aufgebaut und 1994 eröffnet.
Heute sind in der ersten Etage gelbe Stühlchen aufgereiht, davor eine Leseecke samt Mikrofon, Leinwand und einem Aufsteller mit jahreszeitlich passenden Sätzen in großer Schrift. Um halb zehn rauschen 23 Grundschüler der Steigerwaldschule und ihre Betreuer hinein und setzen sich. Die Kinder lesen mal stockend, mal flüssig Sätze vor. Sie stammen vom Schriftsteller Paul Maar, erklärt Christina Balint; greift dann zum ebenfalls von ihm verfassten Buch „Wer ist der Größte?“ und liest mit geübter Stimme. Kollege Markus Böttcher projiziert die Bilder des Buches auf eine Leinwand.
Auch andere Schulen und die Kindergärten der Umgebung – katholische, evangelische und konfessionslose – sind häufig in der Medienstelle zu Gast. Insgesamt zählte sie voriges Jahr 8500 Gruppen- und Individualbesucher. Auch jetzt ist der Kalender wieder bunt hinterlegt mit vereinbarten Terminen.
Nach der Lesung gehen die Kinder über die Wendeltreppe in die zweite Etage: die Welt der Bücher, Christina Balints Reich. Dort sitzen sie zu zweit und zu dritt auf bunten Sesseln und schmökern – in der Erzählung „Das Neinhorn“, zum Beispiel oder im Sachbuch „Wir entdecken die Dinosaurier“. Es ist Bewegung im Raum, aber doch verhaltener als anderswo. Auch im kleinsten Zimmer finden die Kinder Bücher oder sie sammeln beim an der Wand angebrachten Holz-Spiel „Obstgarten“ Früchte ein. Der Raum beherbergt Pappbücher für Kleinkinder und einen Wickeltisch. „Der war uns wichtig“, erzählt Christina Balint, da die Babys bis dahin auf dem Teppichboden gewickelt worden seien. Das Team bemerkt die Bedürfnisse seiner Besucher und reagiert darauf. Inzwischen gibt es eine Kaffeemaschine und junge Mütter treffen sich, um hier einen entspannten Vormittag mit ihren Babys zu verbringen. Christina Balint legt auch schon mal ein Buch zurück, wenn sie merkt, dass jemand daran Interesse zeigte. Sie sagt, Kinder bis etwa zwölf Jahre seien die Haupt-Zielgruppe der Medienstelle. Für sie gibt es ein breites Angebot, wenn auch mit „Mut zur Lücke“, wie sie es nennt. So gibt es zwar „Prinzessin Lillifee“ und die „Eiskönigin“, aber nicht „Paw Patrol“.
„Danke!“, rufen die Schüler, winken und gehen, Christina Balint winkt zurück und lächelt. Die Medienstelle mit ihren 23 700 Medien wird wieder zur ruhigen Oase im geschäftigen Erfurt. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil das Team die Rückendeckung des Bistums spürt. „Wir werden wahrgenommen und gefördert“, sagt Christina Balint. Die Medienstelle ist dabei sowohl ein niedrigschwelliges Angebot für die Bevölkerung als auch Ort für konfessionelle Literatur: Im „Religionsraum“ steht an einem Regalfach zum Beispiel „Religionsunterricht Oberstufe“. Es gibt Ratgeber für die Gestaltung von Kindergottesdiensten, für die Arbeit mit älteren Menschen und die beliebte Reihe „Religionspädagogische Praxis“. Online wurde ein Medienportal ergänzt – das allerdings aus Lizenzgründen nur für Menschen aus dem Bistum Erfurt nutzbar ist.
Inzwischen stehen Jan und seine Mutter Agnieszka Pyka-Goldner an Christina Balints Schreibtisch. Jan hatte die Medienstelle öfter mit seinem katholischen Kindergarten besucht, seitdem seien sie fast wöchentlich hier, erzählt die Mutter. Heute, um ein Buch über Planeten auszuleihen, das Jan in der Schule vorstellen wird.
„Es gibt viele Eltern, die möchten, dass ihre Kinder lesen“, sagt Christina Balint. Sie selbst lese „pausenlos“. „In meiner Freizeit!“, fügt sie schnell hinzu. Sie wirkt verständnisvoll und ruhig. Leidenschaftlich wird sie, wenn es um Bücher oder Kinder geht. Was sie an Literatur für Kinder vermisse? „Bücher, die mehr am Alltag der Kinder dran sind und etwas weniger ‚mit Zauberei lösbar‘.“ Jemand wie Christine Nöstlinger fehle ihr, die für kleinere Leser schrieb, deren Lebenssituation klar benannt habe und immer auf der Seite der Kinder gewesen sei.
Beim Team sind dagegen kaum Wünsche offen, finden alle vier Mitarbeiter, von denen einige in Teilzeit tätig sind. „Wir sind ein sehr kleines Team, aber ein hochengagiertes“, sagt Christina Balint. Sie überlegen sich oft neue Projekte und Veranstaltungen, prüfen, wie sie sie umsetzen können – und starten einfach. Das gelingt durch ein selbst verwaltetes Budget sehr gut. So nahmen sie im April an der „Nacht der Bibliotheken“ teil, haben einen monatlichen Spieleabend eingeführt und veranstalten regelmäßig öffentliche Lesungen.
Die sich windende Treppe hinab landet man wieder bei Markus Böttcher. Er verleiht Spiele oder Erzähltheater. Auch sogenannte Kamishibai – A3-große Bilder, die man in einen Holzrahmen schiebt – seien sehr beliebt: „Kamishibai sind ein Hype. Sie werden mittlerweile auch gern privat für Kindergeburtstage ausgeliehen“, erzählt der 51-jährige pädagogische Mitarbeiter. Dafür werden sie in große Filztaschen verpackt und mitgenommen.
Nachmittags geht die Tür häufig auf für Kinder und Eltern. Auch die Großen finden inzwischen Bücher für sich, Ratgeber und Romane, das sei so „mitgewachsen“. Besonders viele Besucher kommen an den langen Tagen, wenn Markus Böttcher die Türen erst nach 18 Uhr schließt und das Rolltor herunterfährt – geschafft und zufrieden. Bis zum nächsten Tag mit seinen Terminen und Besuchern.