Wem wir vertrauen

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr am Ostersonntag 2017

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
die Berichte von der Begegnung des auferstandenen Herrn Jesus Christus mit seinen Aposteln sind recht unterschiedlich. Kritiker der biblischen Überlieferung haben längst festgestellt, dass sie sich manchmal im Detail widersprechen.

Als die Evangelien niedergeschrieben wurden, waren drei bis fünf Jahrzehnte seit der Auferstehung vergangen. In dieser Zeit wurden die Auferstehungsberichte mündlich überliefert. Dabei haben sich offensichtlich im Detail verschiedene Erzähltraditionen gebildet. Im Wesentlichen stimmen die vier Evangelien in ihren Berichten von der Auferstehung Christi aber überein: sie erzählen davon, dass am Morgen des Ostertages der Leichnam Jesu nicht mehr im Grab lag und auch nicht wieder gefunden wurde. Darüber hinaus berichten sie, dass der Herr Jesus Christus den Seinen lebendig und leibhaft erschienen ist. Die Grundbotschaft der Auferstehungszeugen lautet: "Der Herr ist wirklich auferstanden."

Auch in einem weiteren wichtigen Punkt stimmen die Evangelien überein: Die ersten, denen Jesus Christus nach seiner Kreuzigung lebendig erschienen ist, waren Frauen, nicht weil sie leichtgläubiger wären als Männer, sondern weil sie in der Frühe des Ostertages am Grab waren. Die Zeugen der Auferstehung sind nicht müde geworden, davon zu berichten, dass ihnen Jesus begegnet ist, dass sie mit ihm gesprochen und sogar gegessen haben. Als die Apostel in der Nachfolge des Judas Iskariot einen weiteren Apostel in den Zwölferkreis wählten, war ein wichtiges Kriterium, dass er ebenfalls Zeuge der Auferstehung war.

Für alle, denen Jesus nach seinem Tod nicht begegnet war, war der Glaube an seine Auferstehung eine große Vertrauensübung. Sie vertrauten dem Zeugnis derer, denen der Auferstandene erschienen war. Diese waren bodenständige Leute. Die meisten waren Fischer. Nach dem Tod Jesu gingen sie wieder ihrem Handwerk nach. Sie hatten mit Jesus abgeschlossen. Aber dabei ist es nicht geblieben. Irgendetwas muss passiert sein, dass sie den Rest ihres Lebens damit verbrachten, überall hinzugehen und den Menschen von Jesus zu erzählen. Diesem Glaubenszeugnis vertrauten die ersten Christen und diesem Glaubenszeugnis vertrauen auch wir. Deswegen feiern wir heute Ostern.

Dass wir Ostern am Beginn des Frühlings feiern, heißt nicht, dass Ostern eine religiöse Deutung des Frühlingsbeginns als Fest des Lebens nach der Winterstarre des Todes ist. Viel mehr bleibt der Termin des christlichen Osterfestes möglichst nah an dem Datum, an dem Christus zum ersten Mal als Auferstandener seinen Jüngern erschien. Dies war entsprechend dem Festdatum des jüdischen Paschafestes der Tag des ersten Frühlingsvollmonds. Es gab im zweiten Jahrhundert eine heftige Auseinandersetzung darüber, ob Ostern immer am Tag des ersten Frühlingsvollmonds, dem 14. Nisan, gefeiert werden soll oder am Sonntag darauf. Der erste Frühlingsvollmond war in diesem Jahr am vergangenen Dienstag. Sie sehen, dass sich damit die Praxis der römischen Gemeinde und damit Papst Victor I. durchgesetzt hat. Diese Entscheidung wurde grundlegend für den Primatsanspruch des Bischofs von Rom. So zeigt uns auch das Datum, an dem wir Ostern feiern, dass wir mit unserem Glauben an die Auferstehung Christi den Auferstehungszeugen vertrauen.

Glauben und Vertrauen sind ohnehin Geschwistern. Nicht nur in unserem christlichen Glauben vertrauen wir anderen Menschen, sondern sehr häufig im Leben, schon wenn wir eine Straßenbahn, einen Zug oder ein Flugzeug besteigen, erst recht wenn wir mit Menschen zusammen arbeiten. Da dieses Vertrauen auch enttäuscht werden kann, suchen wir Menschen nach einem Kreis von Vertrauten, die unser Vertrauen nicht enttäuschen.
Es ist schön, dass das Osterfest den meisten auch Zeit gibt für die Familie. Auch für viele unserer nichtreligiösen Mitmenschen ist Ostern ein Familienfest. Fast alle Menschen sehnen sich nach einer Familie, in der sie einander vertrauen können. Diejenigen, mit denen wir zusammen wohnen, lernen wir sehr gut kennen - auch mit ihrem Marotten, Merkwürdigkeiten und Schwächen. Da ist es wichtig, dass das Vertrauen untereinander besteht und wächst.

Für uns Christen ist das Fundament dieses Vertrauens nicht nur der gute Wille aller in der Familie, sondern auch die Liebe des auferstandenen Herrn Jesus Christus zu uns, seiner Kirche, die sich in der Liebe und Verbindung der Eheleute nicht nur abbildet, sondern die die Liebe und Verbindung der Eheleute untereinander durchdringt. So bildet die Liebe Christi das Fundament der Familie als Gemeinschaft des Lebens und der Liebe, die die kleinste Zelle der Kirche, der Hauskirche, ist.

Im nachsynodalen Schreiben Amoris Laetitia schreibt Papst Franziskus (Nr. 88): "In ihrem Bund der Liebe erfahren die Eheleute die Schönheit der Vaterschaft und der Mutterschaft. Sie teilen miteinander Pläne und Mühen, Wünsche und Sorgen. Sie lernen, füreinander zu sorgen und einander zu vergeben. In dieser Liebe feiern sie die Momente gemeinsamen Glücks und stützen einander in den schwierigen Abschnitten ihrer Lebensgeschichte. Die Schönheit des gegenseitigen und unverdienten Geschenks, die Freude über das Leben, das geboren wird und die liebevolle Fürsorge aller Mitglieder von den Kindern bis zu den alten Menschen sind einige der Früchte, die die Antwort auf die Berufung der Familie einzigartig und unersetzlich machen, sowohl für die Kirche als auch für die gesamte Gesellschaft". So lädt das nachsynodale apostolische Schreiben Amoris Laetitia ein, Familie als Gemeinschaft  des Vertrauens und des Glaubens zu leben.

Zugleich denkt Papst Franziskus aber auch an diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer nicht geheiratet und keine Familie gegründet haben: "Viele Menschen, die ehelos leben, widmen sich nicht nur ihrer Ursprungsfamilie, sondern leisten in ihrem Freundeskreis, in der kirchlichen Gemeinschaft und im Berufsleben große Dienste. Viele stellen ihre Begabungen auch durch den Einsatz in der Caritas und durch ehrenamtliche Tätigkeiten in den Dienst der christlichen Gemeinschaft"
(Nr. 158).

16.04.2017