Sich aneinander freuen

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr bei der Bistumswallfahrt am 17. September




Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,


"Ich bin, weil Du bist", so lautet das Leitwort unserer diesjährigen Bistumswallfahrt. Wenn wir fragen, auf welche Menschen dieser Satz zutrifft, so sind dies zunächst und zuerst unsere Eltern. Ihnen verdanken wir unser Leben. Dies macht das Verhältnis von Eltern und Kindern einmalig.

Auch wenn wir als gläubige Menschen sagen: Wir sind Geschöpfe Gottes, wissen wir doch, dass es unsere Eltern waren, die ganz wesentlich am Schöpfungshandeln Gottes mitgewirkt haben. Wir sind, weil sie sind. Die innigste und wichtigste Beziehung von Menschen ist die von Vater und Mutter zum Kind, wobei der Mutter nochmals eine besondere Bedeutung zukommt, weil sie uns neun Monate in ihrem Leib getragen hat. Diese innige Beziehung begründet eine besondere Verpflichtung der Eltern gegenüber ihren Kindern, aber auch der Kinder gegenüber ihren altgewordenen Eltern. Deswegen mahnt das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren.

Diese innige Beziehung sowie das Sakrament der Ehe bilden das Fundament der christlichen Familie. Papst Franziskus war es von Beginn seines Pontifikates an ein zentrales Anliegen, die christlichen Familien zu stärken. Zweimal hat er die Bischöfe aus aller Welt zu einer Bischofssynode zusammengerufen, um dann sein nachsynodales Schreiben "Amoris laetitia" zu veröffentlichen. Dieses Schreiben zeichnet ein realistisches Bild der Familien und kennt die Herausforderungen und Probleme, in denen sie stehen. Zugleich ist es aber eine wunderbare Ermutigung, Familie zu sein und zu leben, die Gemeinschaft mit den Menschen zu pflegen, ohne die man nicht wäre.

Wir haben in unserem Bistum lange überlegt, welchen der zahlreichen Impulse zur Familienpastoral wir aufgreifen wollen. So möchte ich beginnend mit der heutigen Bistumswallfahrt die Pfarreien unseres Bistums anregen, jeweils am dritten Sonntag im Monat (heute ist der dritte Sonntag im September) besonders die Familien zum Gottesdienst und zum Beisammensein und zur gegenseitigen Ermutigung einzuladen.





Die jungen Familien sollten wissen und erfahren, dass sie auch und gerade mit ihren lebhaften Kindern im Gottesdienst willkommen sind. Wenn Kinder den Gottesdienst nur als Ort der Disziplinierung erleben, werden sie keine Freunde daran bekommen. Bei Wallfahrtsgottesdiensten im Freien oder bei Gottesdiensten in italienischen Kirchen kann man erleben, dass es auch anders geht und dass die Erwachsenen durch die Kinder offensichtlich nicht in ihrer Andacht gestört werden. Das Evangelium, das uns in diesem Gottesdienst verkündet wurde, ist daher mit Bedacht ausgesucht: "Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran" (Lukas 18,16).

Gott sei Dank gibt es auch andere Menschen, die für unser Leben unverzichtbar sind: Geschwister oder Angehörige, Freunde und Bekannte, Lehrerinnen und Lehrer, Priester, Ärztinnen und Ärzte und viele andere mehr. Der Gottesdienst ist immer auch ein Ort, für sie zu danken und für sie zu beten. Darüber hinaus freuen wir uns über alle Schwestern und Brüder, mit denen wir in Christus verbunden sind. Papst Benedikt XVI. hat zu Beginn seine Pontifikates den vielzitierten Satz gesagt: "Wer glaubt, ist nicht allein".

Paulus hat es im Römerbrief, den wir in der Lesung gehört haben, so gesagt: "Keiner von uns lebt sich selber und keiner von uns stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir den Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn" (Römer 14,7-8). Durch die Taufe wurden wir mit dem einen Herrn Jesus Christus verbunden und in sein Erlösungswerk hineingetaucht. Das macht uns zu Geschwistern sogar über den Rand unserer katholischen Kirche hinaus.





Ich bin sehr froh, dass das Reformationsjahr 2017 die Christen verschiedener Konfessionen nicht auseinander-, sondern zusammengebracht hat, indem wir dieses Jahr miteinander als Christusjahr feiern und all die schlimmen Konsequenzen der Reformation gemeinsam in beeindruckenden Gottesdiensten beklagen.  Zugleich freuen wir uns an dem Reichtum, der sich in der jeweils anderen Kirche entwickelt und von dem wir lernen können. So ist es zum Beispiel eine Frucht der Reformation, dass wir in unseren Gottesdiensten Kirchenlieder singen. Die großartige Akzeptanz des neuen Gotteslobes zeigt, mit welcher Freude wir dies tun.

Der Satz "Ich bin, weil Du bist" trifft natürlich am meisten auf Gott zu. Aus einer rein philosophischen Perspektive ist Gott möglicherweise der Einzige, auf den dieser Satz zutrifft.

Wir haben unsere Existenz, unser Sein, seiner Wirklichkeit zu verdanken. Für Christen wie für Juden ist Gott nicht ein philosophisches Prinzip, sondern ein persönliches gegenüber, das wir auch persönlich mit DU ansprechen können. Jesus hat uns sogar ermutigt, Gott als unseren Vati oder Papa anzusprechen, der für uns sorgt wie eine liebende Mutter. Wenn wir als glaubende Menschen dies als Wirklichkeit  unseres Lebens ansehen, so kann Gott nicht nur am Rand unseres Lebens irgendwann einmal vorkommen.





Wir stehen in der Tradition des Judentums, das seit dem Exil den siebten Tag der Woche zum Tag des Herrn erklärt hat. Alle sieben Tage dreht der Mensch sich von seinen Alltagsgeschäften um und schaut hin auf den lebendigen Schöpfergott, der sein Volk begleitet. Die Menschen nehmen sich Zeit für Gott und die wirklich wichtigen Dinge im Leben. In dieser Tradition steht unser christlicher Sonntag, der zusätzlich dadurch angefüllt ist, dass wir den Wochentag der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus feiern und im Gottesdienst den Auferstandenen in unserer Mitte begrüßen.

Das Sonntagsgebot ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für Christen. Wenigsten einmal in der Woche müssen wir Gott, unserem Schöpfer, danken und die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn Jesus Christus im Sakrament der Eucharistie suchen und pflegen. Sicher ist eine schöne und ansprechende Gestaltung der Liturgie dazu sehr hilfreich, allerdings kann kein Pfarrer Sonntag für Sonntag die Heilige Messe so gestalten, dass alle gerne wegen der Gestaltung der Feier kommen. Das können Showmaster besser und auch ihnen gelingt es nicht, die Menschen über Jahre hinweg für ein- und dasselbe Showformat zu gewinnen.

Das Sonntagsgebot setzt voraus, dass wir kommen, um diese eine Stunde am Sonntag für Gott und für Jesus Christus Zeit zu haben, denen wir alles zu verdanken haben: "Ich bin, weil Du bist".