Manchmal bekommen alltägliche Begebenheiten eine Tiefe und Qualität, die über den Moment hinausweisen. Davon haben wir heute im Evangelium gehört. Tag für Tag geht die samaritische Frau zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Und oft schon hat es wohl dort auch Gespräche gegeben - am Brunnen vor dem Tore. Diese Begegnung aber mit dem Mann, der um Wasser bittet, um sich schließlich als der Messias, der Christus, zu offenbaren, hat Tiefgang, verändert sie und viele andere, die schließlich zu Jesus kommen.
Die Begegnung Jesu überwindet Grenzen
Grenzen machen nicht nur Angst, sonst würden wir nicht dauernd selbst welche errichten. Wir grenzen ein und grenzen aus, um in unserer kleinen Welt nicht den Ü;berblick zu verlieren: "Mit der spricht man nicht". "In dem Viertel hast Du nichts verloren". "Der kommt mir nicht auf den Hof".
Auch die Samariterin ist überrascht: "Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern" (Vers 9). Doch Jesus lässt sich nicht beirren, sondern möchte die Frau befreien und zu neuem Leben führen.
Die Grenzüberschreitung Jesu ermöglicht einen Neuanfang. Letztlich ist der Sohn Gottes der, den auch die Grenze des Todes nicht halten kann. In seiner grenzenlosen Liebe überwindet er den Tod und wird zur Quelle des Heils, zum Ursprung neuen Lebens.
Im Psalm 18 heißt es: "Er führte mich hinaus ins Weite ? Mit meinem Gott überspringe ich Mauern." Das ist die Erfahrung des Volkes Israel. Der Gott, der uns aus Ägypten befreit hat, engt nicht ein, sondern schafft Raum in neuem, unbekanntem Land.
"Er führte mich hinaus ins Weite", sagt auch die Kirche, wenn sie auf ihre Geschichte schaut. Das Katholische an unserer Kirche ist, dass Zugehörigkeit eben kein Merkmal von Rasse, Hautfarbe, Sprache, Bildungsstand und Geldbeutel ist. So wurde das Christentum über das Judentum hinausgetragen in die nichtjüdische Kultur, ins Römische Reich und schließlich bis an die Grenzen der Erde.
Wenn unsere Gemeinden in ihrem Zentrum Jesus Christus wissen, wird dann auch im Miteinander die Erfahrung von Weite sichtbar? Wie kommt es, dass Neuzugezogene so oft sagen: "Ich komme da nicht rein. Die Gemeinde nimmt mich nicht wahr, erscheint mir nicht offen, genügt sich selbst". Im Blick auf das Geschehen am Jakobsbrunnen heißt das: Werden wir katholischer! Ü;berwinden wir die Grenzen zum anderen.
In der Begegnung Jesu spiegelt sich mein Leben
Die Samariterin ist von Jesus überzeugt, als Jesus ihr zu erkennen gibt, dass er von ihr weiß. Jesus spricht mit ihr und von ihr. Er hat nicht einfach geredet, er hat sie angesprochen. Seine Worte gehen nicht an ihrem Leben vorbei, sondern treffen mitten ins Herz. Und die Frau ahnt: Das hat mit mir zu tun, in dieser Begegnung spiegelt sich mein Leben wider. Die Erfahrung der Frau ist: Hier bin ich ernst- und angenommen worden, deswegen auch kann ich seine Botschaft annehmen.
Von Jesu "Religionsunterricht" hat die Samariterin wohl nicht alles verstanden. Ihre Botschaft konzentriert sich auf den persönlichen Bezug: "Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe" (Vers 29). Die Frau am Jakobsbrunnen bezeugt das, was mit ihrem Leben zu tun hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und auf dieses Zeugnis hinkommen die Menschen zu Jesus.
Es geht eine Faszination aus: Hier erkennt dich einer wie du wirklich bist und er will dich nicht bloßstellen, sondern dir den Weg zur Freiheit weisen.
Die Samariterin wird im Aufdecken ihres Lebens nicht kleiner, zermürbter und verschlossener. Sie wird erfüllt von neuer Lebenskraft, sie fühlt sich von einer Last befreit, so dass sie neu auf die Menschen zugehen kann: "Kommt und seht".
Verwiesen sei an dieser Stelle auf den heiligen Pfarrer von Ars. Sein Ruf verbreitete sich vor allem über seine Beichtseelsorge. Er besaß die Gabe, die Menschen glasklar zu erfassen, ihnen den Spiegel vorzuhalten. Er deutete dem Einzelnen das Leben im Licht des Evangeliums. Die Menschen waren dankbar für diesen Dienst, sie suchten ihn auf, warteten stundenlang auf ein Gespräch mit ihm, weil sie merkten: Im Aufdecken meines Lebens vor Gott liegt der Weg zur Freiheit.
Im Blick auf unsere Gemeinden lässt sich fragen: Spiegeln sich in Verkündigung und Gemeindeaktivitäten die Lebenswirklichkeiten der Menschen wider? Allzu leicht bedienen wir das Ritual: Das war bei uns schon immer so. So ist es zwar schön heimelig und vieles wird im Guten bewahrt. Ü;ber manches aber ist die Zeit hinweggegangen und ausgezogen ist das Leben; zurück bleiben Hüllen, die auch im Weihrauchduft noch muffig riechen.
Wir wollen als Kirche in der Gesellschaft ernst genommen werden und nicht als folkloristisches Beiwerk für Schützenfest und Frühlingsmarkt enden. Dazu gehört aber, dass auch wir hellhörig sind für das, was die Menschen umtreibt.
Die Begegnung Jesu fordert zur Verkündigung heraus
Zur Kirche gehört "Martyria" - Verkündigung. Kirche ist Dienerin des Wortes, trägt die Botschaft Jesu in die Welt. Er selbst bedient sich der Menschen, um durch Menschen zu Menschen zu sprechen. Da sind nicht nur die Jünger, die "Hauptamtlichen" der ersten Stunde. Sagt doch Jesus im Evangelium heute zu ihnen: "Andere haben gearbeitet, und ihr erntet die Frucht ihrer Arbeit" (Vers 38).
Auch die Samariterin wird in diesen Zeugendienst genommen. Nach der Begegnung mit Jesus hat sie das Erlebte nicht für sich behalten. Sie will diese kostbare Erfahrung teilen, mitteilen.
Wo lassen wir uns heute auf den Dienst der Verkündigung ein? Das beginnt im Gottesdienst unserer Gemeinde. Ein Chor, der sich Woche für Woche trifft, geistliche Lieder einübt und so zur Gestaltung des Gottesdienstes beiträgt, verkündet auf seine Weise die Botschaft des Evangeliums. Lektoren, die in Treue und Sorgfalt ihren Dienst am Wort verrichten, bezeugen vor den anderen ihr Eintreten für die Sache Jesu. Im Umkehrschluss heißt das: Wo sich keiner findet, Lesungen oder Fürbitten vorzutragen, fällt ein Stück Verkündigungsdienst, Martyria, aus.
Der Dienst der Verkündigung endet nicht mit dem Schlusslied der Messe. Er setzt sich im Alltag fort. Wird in den Familien über den Glauben gesprochen? Erleben Kinder, dass Eltern vor dem Essen beten, dass sie die Begegnung mit dem Heiligen im Empfang der Sakramente suchen? Und wo sind bei uns die Brunnen vor den Toren unserer Gemeinde, an denen sich Fragen über den Glauben ergeben?
Vielfach gibt es trotz aller Bemühungen die Erfahrung "Wir haben doch alles gemacht und unseren groß gewordenen Kindern ist Glaube und Kirche dennoch nicht wichtig". Wir leben nicht das Glaubensleben anderer. Irgendwann gibt es eine Loslösung und eigene Entscheidung. Auch die Menschen im Evangelium emanzipieren sich vom Zeugnis der Frau: "Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt" (Vers 42).
Verkündigungsdienst ist eben keine Sache des schnellen Erfolges. "Einer sät, und ein anderer erntet" (Vers 37). Notwendig aber ist, dass wir das Säen nicht einstellen, dass das Wort Jesu bezeugt wird, durch Leben, durch Reden, durch Taten.
Im Zentrum aber steht und wirkt Jesus selbst. In der Begegnung mit ihm gelingt es uns enge Grenzen zu überschreiten. In seinem Licht spiegelt sich unsere Lebenswirklichkeit. Von ihm geht der Impuls aus, die Botschaft des Evangeliums unter die Menschen zu tragen.
Fastenpredigten: "Von Christus berührt - den Glauben leben"