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Predigt von Weihbischof Reinhard Hauke am 5. Fastensonntag 2020

(c) Bistum Erfurt

Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben – so spricht der Herr

Lesungstexte: Ez 37, 12b-14; Röm 8, 8-11; Joh 11, 1-45 (Texte stehen am Ende der Predigt)

Am Passionssonntag, dem 5. Fastensonntag, werden in den Kirchen die Kreuze und schönen Altäre verhüllt. Wer einen Klappaltar hat, der hat ihn vielleicht schon am Beginn der Fastenzeit geschlossen. Jetzt wird es noch geheimnisvoller, wenn auch die Kreuze verhüllt sind.

Das Fasten der Augen – so wird dieser Brauch genannt.  Die schönen Kreuze und Bilder sollen verhüllt sein, um eine neue Aufmerksamkeit zu erregen. Mit größerem Interesse sollen wir diese religiösen Zeichen wieder anschauen, wenn sie am Karfreitag oder Ostern wieder zu sehen sind.

Für die Gläubigen ist im Jahr 2020 an diesem Tag noch viel mehr verschlossen, denn sie können nicht wie gewohnt am Gottesdienst teilnehmen. Das Fasten der Augen und Ohren kann dann gemildert werden, wenn die Gottesdienste gestreamt oder per YouTube in den Wohnungen mitgefeiert werden. Natürlich sagen alle: das ist ja schön, aber es ist doch etwas anderes, ob ich den Gottesdienst im Kirchenraum oder in der Wohnstube mitfeiere. „Mir fehlen die Gemeindemitglieder, mit denen ich sonst beten und singen  konnte! – sagte eine Frau in einem Fernsehinterview.

Wer die freie Zeit in diesen Tagen als Christ gut ausfüllen möchte, kann den langen Text des heutigen Evangeliums nachlesen. Ich habe ihn heute vorgetragen, weil wir ja Zeit haben. Im Gottesdienst wird oft die Kurzfassung genommen, um ausreichend Zeit für Lieder, Predigt und vielleicht auch die Segnung der Taufbewerber zu haben, die ja sonst zu den Stärkungsriten vom 3. bis 5. Sonntag in die Kirchen eingeladen sind.

Wir nehmen uns Zeit für dieses lange Evangelium, in dem verschiedene Personen uns vorgestellt werden, die über das Sterben des Lazarus nachdenken.

Da ist die Rede von den Geschwistern Lazarus, Maria und Marta aus Betanien. Lazarus ist krank.
Dann gibt es die Gruppe von Jesus und seinen Jüngern, die von der Krankheit des Lazarus durch Maria und Marta erfahren hatten.

Letztlich gibt es die vielen Juden, die sich als Trauergesellschaft eingefunden haben. Diese Gemeinde ist neugierig und findet durch die Erfahrungen am Grab des Lazarus zum Glauben.

Geheimnisvoll sind für die Jünger die Reaktionen Jesu auf diese Nachricht, dass sein Freund Lazarus krank ist. „Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes.“ Wer kann das verstehen? Dann das geheimnisvolle Wort vom Licht im Menschen, das der Mensch braucht, um nicht anzustoßen, wenn er umhergeht. Dann das seltsame Wort Jesu, dass er froh ist, nicht beim Sterben des Lazarus dabei gewesen zu sein und die Begründung: „Damit ihr glaubt!“ Auch im Gespräch Jesu mit Marta über den Messias und seine Kraft, ewiges Leben zu schenken, gibt es schon etwas Licht, aber es kommt nur langsam zum Strahlen. Selbst die Worte Jesu zu Marta vor der Graböffnung sind seltsam. Marta hatte nur auf den Verwesungsgeruch hingewiesen und Jesus appelliert an den Glauben an die Auferstehung. Geheimnisvoll sind letztlich die Worte Jesu im Gebet zu seinem Vater und der Befehl an Lazarus: „Komm heraus!“  Vielleicht können wir sogar sagen: Der Glaube an Jesus nach diesem Ereignis ist geheimnisvoll. War er zu erwarten?

In den katholischen Gottesdiensten wird dieses Evangelium in der Lang- oder Kurzfassung heute vorgetragen, um den langen und schwierigen Weg zum Glauben zu beschreiben. Zwar gibt es gerade angesichts der vielen Leidenden, Sterbenden und Verstorbenen aufgrund der Pandemie die Sehnsucht nach Heilung und Heil, aber nicht immer können wir ganz leicht sagen: Bei Jesus findest Du das Heil!, denn wo ist Heil, wenn es Tod gibt? Wir brauchen eine neue und besondere Sicht des Lebens, um die Worte Jesu zu verstehen. Das ganze Evangelium spricht vom Zweifel und den Fragen bezüglich der Botschaft vom ewigen Leben durch Jesus Christus. Es spricht davon, dass selbst in der Anwesenheit des Messias bei Maria, Marta und den Juden dieser Zweifel bestehen bleibt.

 
Wenn auch vom Glauben der Augen- und Ohrenzeugen nach der Auferweckung des Lazarus die Rede ist, so habe ich meine Zweifel, ob dieser Glaube heute bei uns noch Bestand hat, wenn es um den Tod der eigenen Väter, Mütter, Kinder, Ehepartner, Freunde, Ärzte und Seelsorger geht. Rein theoretisch glauben ist etwas anderes als existenziell den Glauben annehmen und leben. Dazu werden wir als Leser und Hörer des Evangeliums in der Fastenzeit eingeladen.

Der Prophet Ezechiel, von dem in der alttestamentlichen Lesung berichtet wurde, kann schon lange Zeit vor dem Kommen Jesu von der Macht Gottes über Grab und Tod berichten.  Die Sehnsucht nach dieser Macht Gottes ist alt und verständlich – vielleicht so etwas wie die Ursehnsucht des Menschen. Der Apostel Paulus bekennt sich vor der Gemeinde in Rom dazu, dass mit Tod und Auferstehung Jesu Christi die Erfüllung dieser Sehnsucht geschehen ist. Der sterbliche Leib des Menschen  wird lebendig gemacht.

Für mich ist dieses Evangelium eine Herausforderung meines Glaubens an Jesus Christus, der uns über die Schwelle des Todes führen und begleiten kann. Wie aber können alle getröstet werden, die diese Botschaft nicht kennen oder die sie ablehnen? Im Zusammenhang mit der Betreuung unserer Kolumbarien und auch der Grabstätten auf dem Hauptfriedhof für Christen und Nichtchristen haben sich schon viele Gespräche ergeben, wo die Frage nach der Hoffnung über die Todesschwelle hinaus gestellt wurde und nach einer Antwort verlangte. In einem Gespräch sagte ein älterer Herr: „Ich werde in den Gedanken meiner Kinder und Enkel weiterleben. Das ist meine Hoffnung.“ Andere sagen: „In einer so schönen Kirche lebt man in der Urne weiter, wenn Gottesdienst gefeiert wird und die Besucher an uns denken.“ Es gibt „Familienfotos mit Urne“ bei einer Trauerfeier mit der Begründung: „Der Tote gehört weiterhin zur Familie.“ Manchmal wird der Verstorbene, dessen Asche in der Urne vor der versammelten Trauergemeinde steht,  im Nachruf der Angehörigen persönlich angesprochen, als ob er es hören könnte. Das ist für uns Christen kein Problem, aber ich dachte mir: Wenn ich nicht an die Auferstehung glaube, kann ich doch den Toten, der als Asche vor mir ist, nicht ansprechen!

Ich spüre immer wieder die Sehnsucht – die Ursehnsucht – nach Auferstehung und ewigem Leben. Ich werde dann immer neu dankbar für die Gute Nachricht von Jesus Christus, der seinen Freund Lazarus ins irdische Leben zurückgerufen hat um zu zeigen, dass er Leben geben kann, das sogar ewig sein wird. Wer bei Jesus Christus bleibt, hat jetzt schon Anteil an diesem Leben. Im Wort und Sakrament will er bei uns sein. Wenn uns auch derzeit der Zugang zu den Sakramenten erschwert ist und Schwerkranke in Isolation durch eine Generalabsolution Sündenvergebung zugesprochen bekommen können – eine sehr außergewöhnliche Form des Bußsakramentes, die kirchlich geregelt ist, aber bei mir in den 40 Priesterjahren bisher niemals vorkam – so kann er uns nahe sein, wenn wir das Wort der Heiligen Schrift in die Hand nehmen oder im Dienst an den Hilfebedürftigen ihm begegnen, wie es Jesus im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter uns zugesagt hat. So sind die Ärzte, Krankenschwestern und –pfleger, aber auch alle, die in den Lebensmittelgeschäften und an anderen lebensnotwendigen Stellen in diesen Tagen Dienst tun, Zeichen der Hoffnung, dass die Gesinnung der Nächstenliebe durch das Streben nach Fortschritt nicht verschüttet ist, und damit ein Weg zur Gottesliebe möglich werden kann, die zur ewigen Liebe werden soll. Amen.



Ez 12b – 14
So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zum Ackerboden Israels.  Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole.  Ich gebe meinen Geist in euch, dann werdet ihr lebendig und ich versetze euch wieder auf euren Ackerboden. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der HERR bin. Ich habe gesprochen und ich führe es aus - Spruch des HERRN.


Röm 8, 8 – 11
Schwestern und Brüder! Wer aber vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen.  Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt. Wer aber den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm.  Wenn aber Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit.  Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Joh 11, 1 – 45
Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte; deren Bruder Lazarus war krank. Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus. Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Die Jünger sagten zu ihm: Rabbi, eben noch suchten dich die Juden zu steinigen und du gehst wieder dorthin? Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. So sprach er. Dann sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen.  Da sagte Thomas, genannt Didymus, zu den anderen Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben! [1]  Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen.  Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt.  Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten.  Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen.  Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.  Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.  Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.  Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag.  Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt,  und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?  Marta sagte zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: Der Meister ist da und lässt dich rufen.  Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm.  Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte.  Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen.  Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.  Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert.  Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh!  Da weinte Jesus.  Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte!  Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb?  Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war.  Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.  Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?  Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.  Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.  Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!  Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!  Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

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