Zum Jahreswechsel auf das vergangene Jahr zurückschauen

Predigt von Bischof Neymeyr an Silvester

nika kakalashvili / cc0 – gemeinfrei / Quelle: pexels.com

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,

der letzte Tag des Jahres ist ein Tag, an dem alle Menschen zurückschauen auf das zu Ende gehende Jahr und sich bewusst werden, wie die Zeit voran schreitet. Der persönliche Geburtstag regt jeden Einzelnen dazu an, seine Lebensgeschichte zu betrachten. Am Jahreswechsel nehmen wir gemeinsam wahr, dass wir Geschichte erleben und mitgestalten, dass wir Erfreuliches und Trauriges erleben und gestalten und dass wir mit Sorgen und Hoffnungen voran gehen. Wenn wir auf das Jahr zurückschauen, so kommen uns die Menschen in den Sinn, deren Lebensjahre auch unsere Lebensjahre sind und für die das Jahr 2018 Geburts- oder Todesjahr war.

Meine Familie hat sich zwar in diesem Jahr nicht vergrößert, aber manche von Ihnen werden dankbar darauf zurückschauen, dass ein neues Mitglied in die Familie hineingeboren worden ist. Ich konnte mich mitfreuen, dass Mitarbeiterinnen Mutter geworden sind und der Bekanntenkreis und die Nachbarschaft sich durch die Geburt eines Kindes vergrößert haben.

Das Jahr 2018 ist für einige Menschen das Todesjahr geworden, die für mich, unser Bistum und die katholische Kirche in unserem Land von großer Bedeutung waren: Am 5. August 2018 ist mein langjähriger geistlicher Begleiter im Alter von 84 Jahren verstorben. Prof. Dr. Bardo Weiß war nicht nur Dogmatikprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Mainz, sondern über 20 Jahre daneben auch Spiritual am Priesterseminar. Im Ruhestand hat er auch weiterhin viele Priester und andere Christen geistlich begleitet. Er war mein geistlicher Begleiter seit meinem Eintritt ins Mainzer Priesterseminar im Jahre 1976 bis zu meiner Berufung nach Erfurt im Jahre 2014.

In unserem Bistum mussten wir am 25. April 2018 Abschied nehmen von Weihbischof Hans-Reinhard Koch, der 62 Jahre lang Priester und 32 Jahre lang Weihbischof war. Sein Leben war ein Zeugnis für die Freude des Evangeliums. Weihbischof Hans-Reinhard Koch war von dieser Freude des Evangeliums so erfüllt, dass sie in der Begegnung mit ihm spürbar wurde und dass sie einen Ausdruck fand in der Schlichtheit seines Lebensstiles und seines Auftretens. So wurde er zu einem wichtigen Ratgeber und Richtungsweiser in der Zeit der SED-Diktatur, in den Wirren der friedlichen Revolution und in all den zum Teil gravierenden Veränderungen, die sich durch die Wende ergaben.

Am 11. März 2018 mussten wir auch Abschied nehmen von Karl Kardinal Lehmann, dessen Glaubens- und Lebenszeugnis genauso wie sein umfassendes Wissen, seine großartige Dialogfähigkeit und sein unermüdlicher Arbeitseinsatz ein Segen für die katholische Kirche in Deutschland wurden. Sein geistliches Testament, dass er am 15. März 2009 verfasste, schließt mit den Worten: „Unter zwei Dingen haben ich immer wieder und immer mehr gelitten: Unsere Erde und weithin unser Leben sind in vielem wunderbar, schön und faszinierend aber sie sind auch abgrundtief zwiespältig, zerstörerisch und schrecklich. Schließlich ist mir die Unheimlichkeit der Macht und wie der Mensch mit ihr umgeht immer mehr aufgegangen. Das brutale Denken und rücksichtsloses Machtstreben gehören für mich zu den schärfsten Ausdrucksformen des Unglaubens und der Sünde.“

Diese mahnenden Worte von Kardinal Lehmann beschreiben auch die Sorgen, mit denen wir in das Jahr 2019 gehen. Zugleich sind sie ein mahnendes Vermächtnis, uns auch im neuen Jahr einzusetzen für die Bewahrung unserer Schöpfung, für die Kultur des Miteinanders unter uns Menschen und für die Bereitschaft, nicht nur die eigenen Interessen zu sehen und durchzusetzen. Als Christen müssen wir dies nicht verbissen und verkrampft tun. Vielmehr können wir aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus und aus der Freude des Evangeliums die Kraft daraus schöpfen. Auch das Jahr 2019 ist ein Jahr des Herrn. Die Freude darüber dürfen wir nicht verlieren. Dann können wir auch in den Herausforderungen bestehen, die sich in unserem persönlichen Leben stellen, in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft.