an Ostern feiern wir nicht nur das Fest der Auferstehung Jesu Christi, sondern auch die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und das ewige Leben für alle, die zu Jesus Christus gehören.
Orthodoxe Auferstehungsikonen zeigen sehr beeindruckend, wie Jesus Christus aus dem Totenreich des Grabes emporsteigt und Adam und Eva an der Hand mitführt. Am Rand orthodoxer Auferstehungsikonen ist häufig der Zug der Erlösten zum Paradies dargestellt. Dieser Zug der Erlösten wird nicht von Päpsten oder Bischöfen angeführt, sondern vom armen Lazarus. In einem Gleichnis des Lukasevangeliums erzählt Jesus, dass dieser Lazarus als Ausgleich für alles irdische Elend, das ihm zugemutet wurde, in Abrahams Schoß ausruhen darf. Der Zug der Erlösten wird auf orthodoxen Auferstehungsikonen an der Himmelspforte nicht von Petrus begrüßt, sondern von dem reuigen Verbrecher, der zusammen mit Jesus gekreuzigt worden ist und zu dem Jesus gesagt hat: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lukas 23,43
Die christliche Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und das ewige Leben, die wir in jedem Glaubensbekenntnis bezeugen, feiern wir an Ostern. Wir freuen uns nicht nur über die Gabe des irdischen Lebens, die wir dem Schöpfergott zu verdanken haben, sondern wir freuen uns auch über die Erlösung zum ewigen Leben, die wir Jesus Christus zu verdanken haben. Unser irdisches Leben hat mit der Zeugung begonnen und hat in der Geburt seinen historischen Anfang genommen. Unser ewiges Leben hat mit der Taufe begonnen und wird mit der Auferstehung am jüngsten Tag seine Vollendung finden. Gott hat uns zwei Leben gegeben: Das Leben in der Zeit und das Leben in der Gnade.
Ich spreche mit Absicht davon, dass Gott uns das Leben gegeben hat. Es ist naheliegend, in pastoraler Sprechweise davon zu reden, dass Gott uns das Leben geschenkt hat. Viele Menschen empfinden das Gott sei Dank auch so. Nicht wenige haben aber zumindest zeitweise den Eindruck, dass Gott ihnen ihr Leben zumutet: Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben; auch wenn dieser geliebte Mensch noch lebt, aber keinen Kontakt möchte; Menschen, die unter einer psychischen Krankheit leiden; Menschen, die körperlich behindert sind; Menschen, die schwer- oder sterbenskrank sind; Menschen, die des Lebens müde sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat an Aschermittwoch entschieden, dass der Mensch sich selbstbestimmt das Leben nehmen kann und dabei auch unterstützt werden kann. Dem können Christen nicht zustimmen. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: „Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen.“ (Nr. 2280)
Das heißt allerdings nicht, dass wir Menschen, die Suizid begangen haben, aufgeben. Es heißt im Katechismus: „Auf Wegen, die Gott allein kennt, kann er ihnen Gelegenheit zu heilsamer Reue geben. Die Kirche betet für die Menschen, die sich das Leben genommen haben.“ (Nr. 2283) Nach meiner Erfahrung ist ein Selbstmord nicht so sehr eine Sünde gegen das Gebot der Gottesliebe oder der Selbstliebe, sondern in erster Linie ein Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe. Angehörige und Freunde machen sich nicht selten zeitlebens Vorwürfe, dass sie den Suizid nicht verhindert haben.
Diese Solidarität schwindet in unserer Gesellschaft immer mehr. Mir schrieb jemand, er würde sein Leben selbstbestimmt beenden, um anderen nicht zur Last zu fallen. Ich habe ihm geantwortet, dass ich dies zwar aus seiner Perspektive verstehen kann, nicht aber aus der Perspektive seiner Mitmenschen und der Gesellschaft. Assistierter Suizid ist nicht Ausdruck des Mitleids, sondern Ende des Mitleids. Wenn das Leben zur Zumutung wird, brauchen wir Menschen die Solidarität unserer Mitmenschen, auch durch Einrichtungen und gesellschaftliche Angebote für Behinderte, psychisch und körperlich Kranke sowie alte und sterbende Menschen.
Auch das Leben der Gnade erfahren wir Christen nicht immer als Geschenk. Das Evangelium stellt viele Herausforderungen an ein christliches Leben im Alltag. Es ist nicht einfach, angesichts der vielfältigen Herausforderungen und Ablenkungsmöglichkeiten in lebendigem Kontakt mit dem dreifaltigen Gott zu bleiben. Das schlichte Gebot „Liebe Deinen nächsten wie Dich selbst“ ist in der konkreten Umsetzung nicht einfach zu verwirklichen. Die Not des anderen zu sehen und nach Kräften und Möglichkeiten zu helfen und dabei sich selbst nicht zu übernehmen, stellt uns vor vielfältige konkrete Entscheidungen und Herausforderungen. Den größten Anspruch des Lebens der Gnade hat Jesus in das Gebet des Vaterunser hineingeschrieben: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Angesichts der Zumutungen, die das Gott gegebene Leben in der Zeit und das Leben in der Gnade uns Christen stellen kann, ist es wichtig, dass wir an Ostern das Fest des Lebens feiern. Wir freuen uns des Lebens und wir freuen uns der Gnade, dass wir zur Auferstehung der Toten und zum ewigen Leben berufen sind. Wir singen voll Freude: „Verklärt ist alles Leid der Welt. Des Todes Dunkel ist erhellt. Der Herr erstand in Gottes Macht, hat neues Leben uns gebracht.“
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