Worüber nur der Evangelist Lukas berichtet

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr in der missa chrismatis am Dienstag, 12. April 2022

Bild: Winfried Hollmann; In: Pfarrbriefservice.de

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,

in diesem Jahr wurde an Palmsonntag die Leidensgeschichte aus dem Lukas-Evangelium verkündet. Es gibt drei Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu Christi, die nur im Lukas-Evangelium überliefert sind:

Nur Lukas berichtet darüber, dass Pontius Pilatus Jesus zu Herodes Antipas bringen ließ, weil Jesus aus Galiläa, dem Herrschaftsgebiet des Herodes, stammte. Der Evangelist Lukas erwähnt diesen Herrscher im Norden Israels verschiedentlich. Allerdings berichtet er nicht davon, dass Herodes Antipas für die Hinrichtung Johannes des Täufers verantwortlich war. Lukas erzählt, dass Herodes Antipas während des Prozesses gegen Jesus gerade in Jerusalem war und Pontius Pilatus ihn deshalb zu Herodes bringen ließ. Herodes freute sich, Jesus zu sehen, weil er hoffte, ein Wunder von ihm mitzuerleben. Da aber Jesus nicht bereit war, mit Herodes zu sprechen, ließ er ihn verspotten und zu Pontius Pilatus zurückbringen. Beide begruben aufgrund dieses Ereignisses ihre Feindschaft und wurden Freunde.

Herodes Antipas interessierte sich nicht für die Botschaft und Sendung Jesu Christi, sondern er wollte ein Spektakel erleben. Darauf hat Jesus sich nicht eingelassen. Diese Szene kann für uns eine Mahnung sein, das Wesentliche unserer Botschaft und unseres Glaubens zu bezeugen und uns nicht im Nebensächlichen zu verlieren. Wir glauben an Gott, den Jesus als barmherzigen Vater verkündet hat. Wir sind der Überzeugung, dass uns Jesus durch seinen Kreuzestod von unseren Sünden erlöst und wir erhoffen von ihm ein Leben, dass über den Abgrund des Todes hinwegreicht. Wie oft reden wir über diese wesentlichen Grundsätze unseres Glaubens? Beschäftigen uns in unseren Gesprächen nicht viel mehr die Themen wie die Infektionsschutzmaßnahmen, die Renovierung der Kirche, die Situation im Erzbistum Köln oder die Zulassungsbedingungen zum Priestertum?

Der zweite Abschnitt der Passionsgeschichte, der nur im Lukasevangelium überliefert ist, ist die Begegnung Jesu mit den weinenden Frauen mit seiner eindringlichen Mahnung: „Töchter Jerusalems, weint nicht über mich, weint vielmehr über euch und eure Kinder!“ (Lukas 23,28). Dies ist eine eindringliche Mahnung, nicht nur die eigene Situation und die eigenen Probleme im Blick zu haben, sondern auch die Nöte und Herausforderungen, in die unsere Mitmenschen gestellt sind. Sicher haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass kranke Menschen, die Sie besuchen, sehr an Ihrem Befinden und Ihrem Schicksal interessiert sind. Eigenes Leid kann nämlich sehr hellhörig und aufgeschlossen machen für das, was andere Menschen bedrängt.

Schließlich ist der Evangelist Lukas der Einzige, der davon berichtet, dass Jesus nicht alleine gekreuzigt worden ist, sondern zwei Verbrecher zusammen mit ihm hingerichtet wurden. „Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht Recht. Wir erhalten den Lohn für unsere Taten. Dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus denk an mich, wenn du in dein Reich kommst! Jesus antwortet ihm: Amen ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lukas 23,39).

Martin Luther hat für diese beiden Verbrecher den Begriff des ´Schächers´ geprägt. Einer der Verbrecher war sich bewusst, dass er für das, was er getan hatte, die Todesstrafe zu Recht verdient hatte. Vermutlich war er ein Mörder. Die Einsicht, für diese Tat die Todesstrafe verdient zu haben, ist Ausdruck einer tiefempfundenen Reue. In der Aussichtlosigkeit seiner Situation wirft er seine ganze Hoffnung auf den Christus: „Jesus denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Das ist ein großartiger Glaubenssatz. Reue und Glaube dieses Verbrechers genügen für die erste und einzige überlieferte Heiligsprechung.

Die Kirche kann nur die Heiligkeit besonders hervorragender Christen feststellen, während Christus den Verbrecher heiliggesprochen hat: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Was so schön und tröstlich klingt, was so tief in das Geheimnis des Bußsakramentes führt, zeigt zugleich die drastische Herausforderung, die damit verbunden ist, wenn man sich nur vorstellt, die Hinrichtung der drei habe in einem amerikanischen Gefängnis stattgefunden. In der Regel sind nämlich die Angehörigen der Opfer bei solchen Hinrichtungen anwesend.

Stellen Sie sich einmal vor, unter dem Kreuz hätten die Angehörigen der Menschen gestanden, die dieser Schächer umgebracht hat. Mit Sicherheit hätten sie gerufen: Einspruch! So einfach geht das nicht! Und sie hätten recht gehabt. Zur Versöhnung braucht es nicht nur die Versöhnung mit Gott, sondern auch die Versöhnung mit den Menschen, an denen man schuldig geworden ist. Wenn diese nicht zu Lebzeiten möglich ist, braucht es eben den Ort der Reinigung und der Klärung, den wir irreführenderweise als Fegefeuer bezeichnen. Unsere orthodoxen Mitchristen sind da sehr zuversichtlich. Auf ihren Osterikonen wird der Zug der Erlösten angeführt vom lahmen Lazarus und an der Paradiespforte von diesem Schächer begrüßt. Offensichtlich haben seine Opfer zugestimmt, dass er ins Paradies kommt. Die Heiligsprechung des Schächers am Kreuz ist eine drastische Mahnung, Vergebung zu erbitten und Vergebung zu gewähren.