„Wir sind Teil der Weltkirche“

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr im Requiem für Papst Franziskus am 24. April 2025

Bild: Juliane Körber

In den Nachrufen auf Papst Franziskus wurde immer wieder hervorgehoben, dass er gerne Ungewöhnliches tat. So ist es auch ungewöhnlich, dass ein Papst persönlich einen Brief schreibt an die Kirche in einem bestimmten Land. Papst Franziskus hat dies am 29 Juni 2019 getan in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland. Beim Ad-limina Besuch der deutschen Bischöfe im Jahre 2022 hat Papst Franziskus bei der Begegnung uns Bischöfen gesagt, dass er diesen Brief selbst geschrieben habe. Jetzt ist er fast zu einem zu einem Vermächtnis für die katholische Kirche in Deutschland geworden.

In diesem Brief nimmt Papst Franziskus einen Begriff voraus, der erst im Jahr 2022 Schule gemacht hat. Er schreibt: „Wir sind uns alle bewusst, dass wir nicht nur in einer Zeit der Veränderungen leben, sondern vielmehr in einer Zeitenwende, die neue und alte Fragen aufwirft, angesichts derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist.“ Der Papst beschreibt die Situation der katholischen Kirche in Deutschland sehr zutreffend: „Heute stelle ich gemeinsam mit Euch schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest mit all dem, was dies nicht nur auf geistlicher, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene einschließt. Diese Situation lässt sich sichtbar feststellen (…) nicht nur im Osten, wie wir wissen, wo ein Großteil der Bevölkerung nicht getauft ist und keinerlei Kontakt zur Kirche hat und oft Christus überhaupt nicht kennt, sondern sogar in sogenannten traditionell katholischen Gebieten mit einem drastischen Rückgang der Besucher der Sonntagsmesse sowie beim Empfang der Sakramente“.

In dieser Situation mahnt Papst Franziskus, „dass eine der ersten und größten Versuchungen im kirchlichen Bereich darin besteht, zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, dass diese aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen. (…) So käme man vielleicht zu einem gut strukturierten und funktionierenden, ja sogar „modernisierten“ kirchlichen Organismus; er bliebe jedoch ohne Seele und ohne die Frische des Evangeliums. Wir würden lediglich ein „gasförmiges“, vages Christentum, aber ohne den notwendigen „Biss“ des Evangeliums, leben.“

Als Heilmittel gegen diese Entwicklung fordert Papst Franziskus dazu auf, „eine Haltung einzunehmen, die darauf abzielt, das Evangelium zu leben und transparent zu machen, in dem sie mit dem grauen Pragmatismus des täglichen Lebens der Kirche bricht, in dem anscheinend alles normal abläuft, aber in Wirklichkeit der Glaube nachlässt und ins Schäbige ab sinkt. Pastorale Bekehrung ruft uns in Erinnerung, dass die Evangelisierung unser Leitkriterium schlechthin sein muss, unter dem wir alle Schritte erkennen können, die wir als kirchliche Gemeinschaft in Gang zu setzen gerufen sind; Evangelisieren bildet die eigentliche und wesentliche Sendung der Kirche. (…) Die Evangelisierung ist ein Weg der Jüngerschaft in Antwort auf die Liebe zu dem, der uns zuerst geliebt hat, ein Weg also, der einen Glauben ermöglicht, der mit Freude gelebt, erfahren, gefeiert und bezeugt wird. Die Evangelisierung führt uns dazu, die Freude am Evangelium wiederzugewinnen, die Freude, Christen zu sein.“

Als zweites Heilmittel mahnt der Papst zum Sensus Ecclesiae, zum kirchlichen Gemeinsinn, zur lebendigen Einheit mit der ganzen Kirche in Gegenwart und Geschichte. Er schreibt: „Der Sensus Ecclesiae erinnert uns an die Schönheit des vielgestaltigen Angesichts der Kirche. Dieses Gesicht ist viel fältig, nicht nur aus einer räumlichen Perspektive heraus, in seinen Völkern, Rassen und Kulturen, sondern auch aus ihrer zeitlichen Wirklichkeit heraus, die es uns erlaubt, in die Quellen der lebendigsten und vollsten Tradition einzutauchen. Ihrerseits ist diese Tradition berufen, das Feuer am Leben zu erhalten, statt lediglich die Asche zu bewahren. Sie erlaubt es allen Generationen, die erste Liebe mit Hilfe des Heiligen Geistes wieder zu entzünden.“ Gerade beim Gebet für den Papst wird dieser Gedanke besonders gegenwärtig: Wir sind nicht nur an unserem Kirchort Christen. Wir sind nicht nur im Bistum Erfurt Christen und auch nicht nur in der katholischen Kirche in Deutschland. Wir sind Teil der Weltkirche mit all ihrer bunten Vielfalt und all ihren Ungleichzeitigkeiten Zudem kommen wir aus einer zweitausendjährigen Geschichte des Nachdenkens über Gott und sein Wirken und der Traditionen, ihn gemeinsam zu verehren. In einer Zeit zunehmender Individualisierung wird es für den Papst immer schwerer, die Kirche zusammen zu halten. Wir sind Papst Franziskus dankbar, dass er diese Aufgabe 12 Jahre lang aufopferungsvoll auf sich genommen hat und wir bitten jetzt schon für seine Nachfolger um die Kraft und Stärke des Heiligen Geistes.

Papst Franziskus hat nicht nur an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland einen Brief geschrieben, sondern auch an die Katholiken in Erfurt, nämlich in seinem Grußwort zum 103. Deutschen Katholikentag. Er hat geschrieben: „Wir Christen sind gerufen, die Sendung Jesu Christi fortzuführen: So wie er wollen wir den verlassenen, ausgegrenzten und einsamen Menschen neues Ansehen schenken und sie erfahren lassen, dass sie nicht allein sind. Wir wollen uns aber auch öffentlich, politisch, für bessere Lebensbedingungen einsetzen und besonders denen eine Stimme verleihen, die kein Gehör finden. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. (…) Die vielen moralischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen, die wir erleben, sind alle miteinander verbunden. Die Sorge um die Natur, die Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft, der Schutz des Lebens und der Familie, die Verteidigung der Würde allen menschlichen Lebens sowie der äußere und innere Frieden gehören zusammen. Die Probleme betreffen alle und können nur gemeinsam gelöst werden. In diesem Zusammenhang ist es schön und von Bedeutung, dass der Katholikentag auch ein Ort des ökumenischen Miteinanders und des interreligiösen Dialogs ist. Denn es braucht die Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens, die bereit sind, an einer friedlichen Zukunft zu bauen. Wie kraftvoll das gemeinsame Zeugnis der Christen sein kann, konnte man 1989 erleben, als Menschen des Friedens, mit einer Kerze in der Hand die Friedliche Revolution ausgelöst haben. Hier in Erfurt fanden die Friedensgebete in der Lorenzkirche und in der evangelischen Predigerkirche statt. Dieses Wunder der friedlichen Wende, ausgelöst durch betende Menschen, zeigt uns, was das Gebet vermag. Und so ist diese Erinnerung auch eine Ermutigung für uns heute! Der Mensch des Friedens hat Zukunft. Diese Gewissheit mahnt uns und ermutigt uns. Beten wir um den Frieden. Beten wir auch füreinander, dass die Kraft des Heiligen Geistes uns mit Hoffnung und Freude erfüllt. Von Herzen wünsche ich euch geistlich bereichernde fruchtbare Tage! Ich begleite euch im Gebet – bitte betet auch für mich. Der Gott des Friedens segne Euch.“


Das Gebetsbildchen. Auf der Rückseite steht ein Zitat Franziskus': “Verlieren wir niemals das Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes”. (Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn (2025); Foto: © picture alliance)



Fotos: Juliane Körber