"Sie müssen etwas freundlicher in die Kamera schauen!" So sagte mir eine Reporterin bei einer Aufnahme zu einem Weihnachtsgruß an die Zuschauer des MDR. Sie hatte wohl Recht. Ich war ganz auf den Inhalt meiner Rede konzentriert - und schaute dabei wohl zu ernst drein. "Ihr Gesicht muss Ihren Worten entsprechen - sonst glaubt sie Ihnen niemand!" Wahrlich, eine gute Mahnung!
Aber wie kommt man zu einem weihnachtlich-frohen Gesicht? Das ist gar nicht so einfach. Soll man denn plötzlich zu den Feiertagen vergessen, was sonst in der Welt passiert? Es gibt viele Gründe, die einen veranlassen, nicht gerade fröhlich dreinzuschauen. Das Elend so vieler Menschen geht einem nahe - vom Irak angefangen bis hin zum Sudan, zum Kongo und wo immer Krieg und Terror herrschen. Aber auch die Not und geistige Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen mitten in unserer Wohlstandsgesellschaft ist eine bedrängende Tatsache, die man zu Weihnachten nicht einfach beiseite schieben kann. Und Angestellte in den Arbeitsämtern, die sich vor der Aggressivität von Arbeitslosen schützen lassen müssen? Eine solche Meldung stimmt auch nicht gerade weihnachtlich. Immer undurchschaubarer wird für viele eine Welt, die offensichtlich mehr und mehr vom Kapital und den Aktienkursen bestimmt wird und immer weniger von der Frage, wie wir unsere Zukunft solidarisch und gerecht gestalten.
"Sie müssen etwas freundlicher in die Kamera schauen!" Ja - warum denn? Vielleicht deshalb: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt." Im Blick auf das Kommen Jesu in die Welt hören wir eine Botschaft, die unser Herz berechtigt froh machen kann: "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden."
Nein, das ist keine Botschaft, die sofort und überall Kriege und Terror auf der Erde stoppen könnte. Mit dieser Botschaft des Weihnachtsfestes sind auch nicht die Probleme der ins Rutschen geratenen Sozialsysteme gelöst. Da müssen wir uns selbst etwas einfallen lassen. Wir müssen den Ursachen, an denen wir weithin selbst schuld sind, ins Auge schauen und tragfähige Lösungen finden. Der christliche Glaube ist keine Vertröstung, aber er ist eine Tröstung, oder besser: Er ist eine Aufmunterung, nicht beim Klagen und beim Beschimpfen anderer stehen zu bleiben. Wir sollen im Denken und Handeln neu werden, eben: Kinder Gottes und nicht nur Kinder dieser Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten.
Häufig treffe ich bei Gesprächen, aber auch im öffentlichen Gespräch auf die Meinung, da müsse doch von anderen etwas getan werden, damit es mir persönlich wieder besser geht. Natürlich ist richtig, dass unser aller Leben von Rahmenbedingungen bestimmt wird, die nicht allein von mir abhängen oder allein von Einzelnen beeinflussbar sind. Dass es genügend bezahlbare Arbeit gibt, hängt vom Zusammenspiel vieler ab, von Unternehmern, die etwas wagen, von Politikern, die vernünftige Handelsgesetze schaffen, und von Arbeitnehmern, die sich für ihren Betrieb einsetzen und sich gegebenenfalls auch auf bisher ungewohnte Risiken einlassen.
Was uns mit Gewissheit nicht weiterhilft ist die Meinung, es muss alles so weitergehen wie bisher. Wir Deutschen sind Meister im Sicherheitsdenken - ein paar Meter zu hohe Bäume können einen Flughafen lahm legen, wie jüngst in Thüringen geschehen. Aber sind wir ebensolche Meister, wenn es darum geht, Neues zu wagen und vertraute Denkmuster zu verlassen?
Was uns - gesellschaftlich, aber auch manchmal in unserer Kirche selbst - fehlt, ist Vertrauen. Ich meine kein blindes Vertrauen, keine Blauäugigkeit, die nicht klug mit den Realitäten rechnet. Die Kirche und die Pfarrgemeinden z. B. brauchen ein gewisses Maß an finanzieller Ausstattung, um ihre Aufgaben zu erfüllen - aber hängt die Lebendigkeit der katholischen Kirche in Deutschland von der Zahl möglichst vieler kirchlicher Angestellter ab? Wir haben uns an zu vieles gewöhnt und darum sind wir angesichts von Veränderungen oft so hilflos. Wir müssen uns ändern, dann ändern sich auch Verhältnisse. Z. B.: Wir Wähler müssen kinder- und familienfreundlicher werden - dann wird auch das gesellschaftliche Klima kinder- und familienfreundlicher werden. Oder meinen wir wirklich, es gibt nur Raucher, weil es die Werbung der Tabakindustrie gibt? Oder es gibt nur Drogenabhängige, weil es geldgierige Drogenhändler gibt? Hier wird - wie so oft - einfach Ursache und Wirkung verwechselt. Wir alle verdienen miteinander die Gesellschaft, die wir haben - so hart eine solche Aussage auch für den Einzelnen sein mag, der tapfer gegen manche Auswüchse des Zeitgeistes ankämpft und einen alternativen Lebensstil durchhält.
"Lieber Bischof! Sie müssen etwas freundlicher in die Kamera schauen!" Natürlich, ich will mich bemühen! Aber ich möchte nicht nur in die Kamera fröhlicher und entspannter hineinschauen. Ich möchte in unser Land fröhlicher schauen können, in unsere Schulen, in unsere Arbeitswelt, in das Gesundheitswesen, in die Welt der Alten und Behinderten, die unserer Fürsorge anvertraut sind. Und da suche ich fröhliche Mitstreiterinnen und Mitstreiter - vielleicht solche, die sich von der Botschaft des Weihnachtsfestes inspirieren lassen: Wenn es für Gott keine hoffnungslosen Fälle gibt, dann darf es für uns keine hoffnungslose Welt geben.
Wenn es die Chance gibt, Kinder Gottes zu werden, warum dann nicht auch die Chance, einander Brüder und Schwestern zu werden? Gerechtigkeit, Solidarität, Einsatz füreinander und Augenmaß in unseren Ansprüchen - das sollten wir nicht nur denen da "oben" überlassen, sondern jeder für sich praktizieren. Gott sei Dank - das geschieht tausendfach, millionenfach in unserem Land, in der Welt. Das ist für mich Anlass, auch den Blick auf so viele in unseren Gemeinden dankbar festzuhalten.
Vertrauen wächst dort, wo Unternehmer Arbeitsplätze schaffen, wo Politiker an einem friedfertigen Europa bauen, wo Menschen in ihrem Berufen und Lebensaufgaben sich für andere selbstlos einsetzen, wo Eheleute und Familien in Freud und Leid zusammenhalten und Kindern und Alten Lebenshalt und Geborgenheit bieten und wo Priester und Frauen und Männer im Dienst der Kirche Menschen die frohe Botschaft nahe bringen! Das lässt mich - übrigens nicht nur zu Weihnachten - fröhlich in die Kamera schauen. Und noch mehr: weil ich mich von Gott in Jesus Christus angenommen weiß, als sein geliebtes und doch oft so störrisches und ungeratenes Kind, das macht mich zuversichtlich und stark, wieder aus den Festtagen der Weihnacht mutig und tapfer in meinen Alltag zurückzukehren. Dass auch Sie alle das fertig bringen, wünsche ich Ihnen von Herzen. Amen.
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