Wanderstab - Hirtenstab - Maßstab

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr bei der Priesterweihe von Philip Waschnig-Theuermann am 19. Mai 2018 im Erfurter Mariendom

Bild: Thomas Koch, Uder

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
lieber Herr Waschnig-Theuermann,

da in diesem Jahr die Sonntagsevangelien dem Markusevangelium entnommen sind, wurde der Bericht von der Aussendung der zwölf Jünger heute auch in der Version verkündet, die der Evangelist Markus überliefert hat. Er unterscheidet sich in einer Kleinigkeit von den beiden anderen Berichten im Matthäus- und im Lukasevangelium: Während dort die ausgesandten Missionare auch keinen Wanderstab mitnehmen dürfen, heißt es im Markusevangelium: „Er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen.“ (Mk 6,8). Welche Bedeutung hat dieser Wanderstab – auf Griechisch rhabdos?

Der Wanderstab ist ein Erkennungszeichen für Wanderlehrer, Wanderprediger und Wandermissionare. Er gehört zur Ausrüstung kynischer Wandermissionare genauso wie zum Erkennungsbild griechischer und jüdischer Lehrer. Für den Wanderstab des berühmten kynischen Philosophen Peregrinus Proteus zahlte ein Liebhaber nach dem Tod des Philosophen 1 Talent, das entspricht ca. 250.000 €.

Die neutestamentliche Überlieferung beleuchtet die Bedeutung des Wanderstabs für christliche Wandermissionare und für alle, die im Namen und im Auftrag des Herrn unterwegs sind. Sie kann uns und Ihnen, lieber Herr Waschnig-Theuermann, heute wichtige Impulse geben.

Rhabdos ist die gewöhnliche Bezeichnung für den Hirtenstab. Das unterstreicht die Bedeutung der Seelsorge, der Sorge um jeden einzelnen Menschen, um das, was ihn innerlich bewegt und umtreibt, um seine Fragen und Nöte, sowie um seine Freuden und Perspektiven. Die Sorge um den Einzelnen beschreibt der Herr im Gleichnis vom verlorenen Schaf: Der Hirte kümmert sich hingebungsvoll um ein einzelnes Schaf. Die 99 anderen müssen das ertragen. Es sind die, denen es gut geht, die auf dem Weg des Glaubens sind, die dazugehören und mitmachen. Sie müssen es ertragen, dass der Seelsorger sich Zeit nimmt für Menschen in Not oder für Menschen auf der Suche.

Der Hebräerbrief (Hebr 9,4) erwähnt den sprossenden Stab Aarons in der Bundeslade. Er ist ein Zeichen der Erwählung Aarons. Von zwölf Stäben bekommt nur einer grüne Zweige. Die Priesterweihe ist auch die Feier der Gewissheit der Erwählung. Sie, lieber Herr Waschnig-Theuermann,  haben sich viele Gedanken gemacht, ob Sie zum Priester berufen sind. Ihre Ausbilder haben Sie begleitet und sich ein Urteil gebildet, ob Sie zum Priesterberuf geeignet sind. Ich habe entschieden, Sie zur Priesterweihe zuzulassen und Ihnen das Sakrament der Priesterweihe zu spenden. Sie können sich damit Ihrer Berufung und Ihrer Erwählung zum Priester gewiss sein.

Im Hebräerbrief (Hebr 1,8) wird auch das gerechte Zepter der Herrschaft Gottes als rhabdos bezeichnet. Das Zepter ist ein Machtsymbol. Diejenigen, die Verantwortung in der Kirche übertragen bekommen haben, müssen sich vor autoritärem Gehabe und Machtmissbrauch hüten. Sie müssen sich aber bewusst bleiben, dass es auch eine Form von Machtmissbrauch sein kann, die Macht nicht zu gebrauchen. Manchmal braucht es zur rechten Zeit die Entschlossenheit und die Bereitschaft, das Heft in die Hand zu nehmen.

Allerdings gilt es die Grenze der Anwendung von Gewalt nicht zu überschreiten. Ein rhabdos ist auch ein Stock zum Schlagen. Im 1. Korintherbrief fragt Paulus rhetorisch: „Was zieht ihr vor: Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder mit Liebe und im Geist der Sanftmut?“ (1 Kor 4,21). Natürlich verwendet Paulus den Stock nicht.

Schließlich ist ein rhabdos auch ein Messinstrument. In der Offenbarung des Johannes dient er zum Ausmessen des Tempels Gottes. Der rhabdos ist also auch eine Hilfe, das Augenmaß für das Mögliche zu bewahren, die Gemeinde und sich selbst nicht zu überfordern. Auch Gemeindeleitung ist die Kunst des Möglichen.

Und als rhabdos bezeichnet der Hebräerbrief auch den Stock, auf dem der alte Jakob sich stützt. So lehrt der Stab auch mit den eigenen Kräften hauszuhalten.

Möge ein solcher Stab sie in Ihrem Leben begleiten.

Die Predigt bezieht sich auf den Evangeliumstext (Mk 6,7-13)
"Er rief die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen. Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben, und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel,kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.
Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst.Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie.Die Zwölf machten sich auf den Weg und riefen die Menschen zur Umkehr auf.Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie."


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