(Berlin/Hildesheim, 24. März 2020). Anmerkungen des Vorsitzenden der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ, zum Internationalen Tag für das Recht auf Wahrheit über schwere Menschenrechtsverletzungen und für die Würde der Opfer
Vor zehn Jahren haben die Vereinten Nationen den 24. März, den Jahrestag der Ermordung des Menschenrechtsverteidigers Erzbischof Oscar Romero in San Salvador zum „Internationalen Tag für das Recht auf Wahrheit über schwere Menschenrechtsverletzungen und für die Würde der Opfer“ erklärt.
In Zeiten der Corona-Krise mag ein Statement, das diesen Gedenktag in den Fokus rückt, auf den ersten Blick verwundern. Die Pandemie konfrontiert uns mit Sorgen um die Kranken und Verletzlichen, die Arbeitsplätze und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Warum sich da auch noch zusätzlich über längst vergangene Verbrechen den Kopf zerbrechen? Doch gerade jetzt in der aktuellen Corona-Krise spüren wir, wie wichtig Wahrheit und Solidarität sind. Lassen Sie uns daher nichtdiejenigen vergessen, die bis heute durch die Unwissenheit über das Schicksal ihrer Liebsten gequält werden.
Millionen von Menschen wissen nicht, was aus ihren Nächsten – ihren Kindern, Geschwistern, Eltern oder Ehepartnern – geworden ist, nachdem sie in chinesischen Internierungslagern, syrischen Foltergefängnissen oder auf der Flucht übers Mittelmeer „verschwunden“ sind. Manche der Geflüchteten, die bei uns Aufnahme gefunden haben, warten Tag für Tag auf ein Lebenszeichen ihrer Angehörigen. In der quälenden Ungewissheit kann man weder Frieden finden, noch Zukunft planen. Von Staats wegen angemessene Unterstützung bei der Suche nach genauen Informationen zu erhalten, wird deshalb inzwischen als Menschenrechtsanspruch verstanden. Dafür hatten sich zahlreiche Menschen, insbesondere Angehörige, zuvor eingesetzt. Jahrzehntelang haben beispielsweise die Mütter an der „Plaza de Mayo“ in Buenos Aires dafür demonstriert, dass sie endlich die volle Wahrheit über ihre in der Diktatur „verschwundenen“ Töchter und Söhne erfahren. Für dieses Menschenrecht auf Wahrheit, das in der Praxis nach wie vor weithin uneingelöst ist, setzt sich der Internationale Gedenktag am 24. März ein.
Auch dort, wo die Fakten eigentlich gesichert sind und allgemein bekannt sein sollten, droht die historische Wahrheit oftmals in der Beliebigkeit von „fake news“ und „fake history“ vernebelt oderdurch Internet-gestützte Desinformationskampagnen weggeschoben zu werden. Diese Gefahr zeigt sich auch in unserer Gesellschaft. Manche wünschen sich seit Längerem einen „Schlussstrich“ im öffentlichen Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und propagieren eine Abkehr von der gemeinschaftlich gepflegten Erinnerungskultur. Die Erinnerung an Menschenrechtsverletzungen zu stärken, stellt sich von daher mit neuer Dringlichkeit. Es ist eine Frage der Solidarität und des Bewusstseins, wie verletzlich die Würde der Menschen und unser gesellschaftlicher Zusammenhalt sind.
Der Internationale Tag für das Recht auf Wahrheit über schwere Menschenrechtsverletzungen und für die Würde der Opfer ruft uns dazu auf, uns mit ihnen zu solidarisieren. Lassen Sie uns genau dies tun.
Pressemitteilung: Deutsche Kommission JUSTITIA ET PAX Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz