Die Kirchenzeitung „Tag des Herrn“ schrieb in ihrer Ausgabe vom 25. September 1994 von „rund 25.000 Katholiken, die mit vielen Gästen aus Kirche und Gesellschaft am Sonntag in Erfurt feierten“. Es war der dritte Sonntag im September, an dem traditionell die Herbstwallfahrt zum Erfurter Mariendom stattfand. Und zum ersten Mal hatte der Name „Bistumswallfahrt“ seine Berechtigung, denn am 8. Juli desselben Jahres wurde das Bistum Erfurt gegründet. Im Übrigen geschah dies nicht zum ersten Mal, woran der damalige Bischof Joachim Wanke in seiner Predigt erinnerte: „Ich danke unserem Heiligen Vater, Papst Johannes Paul II., dass er uns zutraut, in Erfurt ein Bistum zu sein. Vor 1250 Jahren hat einer seiner Vorgänger schon einmal einen Versuch gemacht. Möge er jetzt länger halten als damals!“ (742 hatte der Hl. Bonifatius das Bistum gegründet; es wurde um 755 ins Bistum Mainz eingegliedert)
Und wie es gehalten hat! Jedenfalls besteht es heuer 30 Jahre.
In seiner Predigt fragte Bischof Wanke:
„Manch einer mag fragen, ob sich das wohl lohnt: Ein Bistum für 200 000 Katholiken? Ich frage einmal anders: Ein Bistum für 1 Million ungetaufter Thüringer? So gefragt wird auf einmal deutlich, was uns eigentlich mit dieser Bistumsgründung zugetraut, ja aufgetragen ist: Zusammen mit unseren evangelischen Mitchristen und allen Getauften Kirche Christi zu sein und Kirche Christi zu werden für die Menschen hier und heute, die Gott nicht kennen. Hier in diesem Land, in Heiligenstadt und Meiningen, in Eisenach und Jena, in Städten wie Erfurt oder Weimar und in kleineren Orten wie Kirchheilingen oder Obermaßfeld soll durch Euch - durch uns - Kirche Christi Gestalt und Ansehen erhalten, soll sie "Kirche zum Anfassen" werden. Ob uns das gelingen wird?“
Drei Gedanken prägten seine weitere Predigt. Gedanken, die an Aktualität nichts verloren haben.
Erstens:
„Wir werden miteinander eine suchende und fragende Kirche sein müssen. Vieles, für manche allzu Vieles, wird sich in Zukunft ändern. Noch mehr als bisher werden vertraute Sicherheiten entfallen, bewährte Lebenserfahrungen nicht mehr tragen. Da müssen wir von neuem fragen: Wie geht das eigentlich: Beten in einer hektischen, lauten Welt? Was ist das eigentlich: Eine christliche Ehe? Wie bleibt man Christ und mit der Gemeinde verbunden, auch durch Versagen und Scheitern hindurch? Was macht den Wert der Sonntagsmesse aus, gerade wenn sie eben keinen Unterhaltungswert hat? Und was heißt das eigentlich: Christliche Weltverantwortung, wenn alles so vorprogrammiert und von oben herab gesteuert zu sein scheint? Die Antworten auf solche Fragen müssen neu gesagt werden. Das Evangelium gibt uns die inhaltliche Richtung vor, doch um das Wie der Nachfolge Christi in einer so tiefgreifend veränderten Lebenswelt müssen wir ringen.“
Zweitens:
„Wir werden eine auf das Wesentliche, auf die Mitte unseres Auftrags konzentrierte Kirche sein müssen. Kirche kann nicht alles und jedes. Sie ist weder vorrangig Arbeitgeber noch Agentur für Sinnfindung noch moralischer Zeigefinger der Gesellschaft. Die Kirche bringt das ganz Andere in die Welt. Sie redet von Gott. Sie weist auf das hin, wovon wir alle leben, noch bevor es so etwas gibt wie
Staat, Gesellschaft, Familie. Sie redet von dem Sinn, der mehr ist als alle Zwecke. Sie redet vom Leben, das aus mehr besteht als aus Essen und Trinken, aus Arbeiten und Verbrauchen. Davon müssen wir Zeugnis geben… Das wünsche ich mir von unserer Kirche, dass sie Gott bezeugt, von seinen Verheißungen spricht, zu einer Hoffnung anstiftet, die aus dem Evangelium kommt.“
Drittens:
„Wir werden sein eine familiäre Kirche, eine "Kirche des Füreinander". Manches davon war uns in der Vergangenheit geschenkt. Ob wir das bewahren können? Versteht mich recht: Wir wollen keine geschlossene, die anderen abweisende Gemeinschaft Gleichgesinnter sein. Besonders für unsere Mitchristen in der Ökumene sind mir offen. Nur mit ihnen zusammen, nicht gegen sie, können wir in diesem Land, das von der Reformation geprägt ist, glaubhaft Kirche Christi sein. Auch in die Gesellschaft hinein wollen wir uns öffnen für alle. Aber nicht für alles und jedes!... Können wir Kirche bleiben, die Menschen unterschiedlichster Art verbindet? Die auf der Basis des Vertrauens Menschen zusammenführt? In der Alt und Jung, Ostleute und Westleute, Deutsche und Ausländer, Konservative und Alternative, Frauen und Männer, Priester und Laien so miteinander umgehen, dass keine Wunden entstehen und unüberbrückbare Gräben? "Bei Euch aber soll es nicht so sein!" sagt der Herr, und er bückt sich und wäscht denen die Füße, die nach den Ministerposten fragen. Lasst uns Kirche sein, die dort unten beim Herrn zu finden ist - nicht dort oben, wo man herrschen, haben und verteilen will. Dort, wo wir füreinander da sind! So schaffen wir Vertrauen, verbinden wir Wunden, entwaffnen wir durch Liebe. Lasst uns diesen Weg Christi gehen, "seinen Spuren folgen", als einzelne, in der Familie und Gemeinden, als Ortskirche insgesamt.“
Vieles hat sich verändert. Manches macht froh, manches macht traurig. Doch immer gilt, woran Bischof Wanke am Schluss seiner Predigt erinnerte:
„Die Verheißung Christi steht: "Ich bin bei Euch alle Tage, auch 1994, auch im kommenden Jahrtausend, das bald anhebt, in Thüringen, im Eichsfeld!" …Dieser Kirche, gilt die Verheißung, die nicht irgendeiner sagt, sondern der Herr, der von den Toten Erstandene, der vom Vater über alle Mächte und Gewalten Gesetzte - auch über die Mächte dieser Weltzeit. Unsere Kirche, unser junges Bistum sind in seiner Hand.“
In diesem Sinne: Ad multos annos!