Von tiefer Menschlichkeit

Elisabeth-Predigt von Bischof Algermissen, Fulda, beim Burgengottesdienst auf der Creuzburg


Bischof Heinz Josef Algermissen
Elisabeth-Predigt von Bischof Algermissen beim Burgengottesdienst auf der Creuzburg

Mit dem Lebenszeugnis der hl. Elisabeth, deren 800. Geburtsjahr wir in diesem Jahr in den Bistümern Erfurt und Fulda feiern und die mit der Creuzburg eng verbunden ist, verknüpfe ich die Erinnerung an tiefe Menschlichkeit, an Solidarität mit den Armen und ungewöhnliche Selbstlosigkeit. In Biographien bekommen solche Begriffe im buchstäblichen Sinn ein "Gesicht".


Zwei Eigenschaften der hl. Elisabeth sprechen mich besonders an. Die eine, daß sie ein Mensch der Nächstenliebe, der sozialen Tat gewesen ist. Dabei ist sie nicht etwa nur ab und zu aus erhabener Höhe herabgestiegen, um Almosen zu spenden. Sie hat vielmehr nach dem Beispiel des hl. Franz von Assisi wirklich selbst mit den Armen gelebt, hat die einfachsten Dinge der Krankenpflege selbst getan: die Kranken gereinigt, neu gekleidet, für sie Gewänder gewoben, mit ihnen mitgelebt und am Ende selbst nur noch von ihrer Hände Arbeit gelebt. Sie wollte eine der ihren werden, nicht bloß in einer bösen Welt da und dort Gutes tun, sondern eine bessere Ordnung der Gerechtigkeit aufbauen. Deswegen hat sie zum Beispiel abgelehnt, am Tisch ihres Gatten von den Speisen zu essen, die eigentlich den Bauern gehört hätten und die ihnen mit Gewalt weggenommen worden waren. So hat sie nicht einfach ausgeteilt, sondern den Menschen Werkzeuge beschafft, damit sie selbst eine Existenz aufbauen konnten. Sie hat ihnen geholfen, sich selbst helfen zu können und so auf eigenen Füßen zu stehen. Sie hat versucht, Gleichheit, Gerechtigkeit und Frieden unter den Menschen zu gründen.


Das zweite, was mich beeindruckt, ist, daß sie so ganz menschlich war, gar nicht, wie wir uns manchmal die Heiligen vorstellen - abgehoben und ideal, sondern sehr direkt. Sie tanzte leidenschaftlich und liebte ihren Mann von ganzem Herzen und hat - entgegen den Maßstäben des 13. Jahrhunderts - die Zärtlichkeit zu ihm nicht gescheut.


Wir wissen, wie tief es sie erschüttert hat, als sie die Nachricht von seinem Tod empfing. Sie lief durch die Säle der Wartburg und rief: "Tot ist er, dann ist die Welt mir tot."


Und sie hat solche Sensibilität und Menschlichkeit wiederum im Umgang mit allen gezeigt. Zu ihren Dienstmädchen sagte sie: "Redet mich nicht mit Durchlaucht an, sondern sagt Du und sagt einfach Elisabeth zu mir."


Mit dieser einfachen Menschlichkeit, in der sie Standesunterschiede wegschob, und mit ihrer Dienstbereitschaft, mit der sie auch Not und Armut auf sich nahm, um anderen dienen zu können, ist sie weit aus den Maßen ihres Jahrhunderts herausgetreten. Als im 13. Jahrhundert alles den Zustand käuflicher Ware annahm, hat sie durch ihr Leben eine Alternative gesetzt.


Und dies ist nun die Frage, die bei einer solchen großen Gestalt entsteht: Wie konnte sie entgegen allem Brauch der Zeit und gegen alles, was sie als Gewohnheit und Selbstverständlichkeit umgab, so wahr und authentisch Mensch sein?


Die Antwort wird deutlich, wenn wir erfahren, daß sie schon als Kind mitten im Spiel aussetzte und sagte: "Jetzt will ich eine Pause machen, die Jesus gilt, und für ihn da sein." Und im Tanz setzte sie aus und sagte: "Die nächste Runde nicht, sie gehört IHM."


Weil Jesus Christus ihr nicht eine ferne Gestalt, sondern der Heiland und Bruder ihres Lebens war, darum konnte sie von ihm her den Menschen als Abbild Gottes entdecken.


Elisabeth ist im Grunde nur zu verstehen, wenn man ihre Christusfrömmigkeit als Quellgrund ihrer Menschenfreundlichkeit einsieht. Die Entschiedenheit, mit der Elisabeth den Weg der Christusnachfolge ernst nahm, ist eine deutliche Anfrage an das Christentum und die Gesellschaft heute. Elisabeth hat Christus in den Armen in einem umfassenden Sinn dienen wollen. Das Christentum verliert seine "salzende" Kraft, wenn es Nächstenliebe nicht mehr so zu motivieren weiß. Anders gesagt: Nur wer Jesus Christus für sich als "Weg, Wahrheit und Leben" (Joh 14, 6) findet, findet damit auch die Kraftquelle, sich für Notleidende einzusetzen.


Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Der Bericht vom Tag des Todes der hl. Elisabeth ist für mich wie eine große Aufklärung und Katechese:


Als sie sah, wie die Menschen um sie herum weinten, erzählte sie ihnen von den drei Anlässen, da Jesus geweint habe: am Grab des Freundes in Bethanien, im Angesicht der Stadt Jerusalem, die er so liebte und die sich seinem Ruf dennoch versagte, und in der letzten Einsamkeit angesichts seines Todes.


Elisabeth trocknet die Tränen der Menschen, indem sie sie gleichsam in die Trauer Jesu Christi hineinnimmt.


Dann wurde es allmählich Mitternacht. Und sie bat die Umstehenden, jetzt ganz still zu sein, und fuhr fort: "Wir müssen nun von Christus, dem Heiland, und vom Christkind sprechen, denn Mitternacht ist nahe, die Stunde, da das Jesuskind geboren wurde und in einer Krippe lag."


Mitten im Angesicht des Todes ist ihr die Nacht hell vom Geheimnis des kommenden Christus. Die Nacht des Todes ist für sie nicht schrecklich, sondern hell von dem Licht jenes Kindes, das in der Mitte der Nacht zu uns gekommen, uns entgegengekommen ist. Sie sieht dieses Licht Gottes, das ihr das Dunkel der Erde hell macht.


Ihre letzten Worte lauten: "Und dann erschuf ER einen ganz neuen Stern, wie man ihn noch nie zuvor gesehen hatte."


Die Stunde des Sterbens wurde ihr die Stunde der Helligkeit Gottes. Und in dieses Licht hinein ist sie gestorben.


Sterben war ihr gleichsam das Aufgehen in das Licht Jesu Christi. Sie hätte in ihrer letzten Stunde vom Stern nicht sprechen, ihn nicht erkennen können, wenn sie nicht ihr ganzes Leben lang, wie die Weisen aus dem Morgenland, diesen Stern gesucht hätte, ihm nachgegangen wäre.


"Dann erschuf ER einen neuen Stern, wie man ihn noch nie vorher gesehen hatte." Nun ist Elisabeth selbst zu einem solchen Stern geworden, der uns auf Christus, den aufgehenden Morgenstern eines neuen Tages, den Quell des Lichtes, hinführt.


Unsere Kirche möchte, daß wir, liebe Schwestern und Brüder, durch das Beispiel der hl. Elisabeth zu diesem großen Stern hinführen, damit er Wegweiser werde zu dem Quell des Lichtes, das unsere Nacht erhellt. Damit er uns zu Menschen der Hoffnung mache, die von der Freude des anwesenden und kommenden Herrn erfüllt sind und die ihn als Weg, Wahrheit und Leben verkünden. Amen.




Burgengottesdienste eröffnen die Elisabethwallfahrt