Versöhnte Vielfalt ist Auftrag

Predigt von Weihbischof Reinhard Hauke beim Wortgottesdienst am Elisabeth-Empfang

"B‘RESCHIT  BARAH  ELOHIM  ET  HASCHAMAIM  WET  HAARES" - so beginnt der hebräische Text der Heiligen Schrift, den wir in der neuen katholischen Einheitsübersetzung mit den Worten übersetzen:
"Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde."
Gott hat die Welt geschaffen und damit Himmel und Erde - sich selbst und die Welt - verbunden. Der Schöpfungsgedanke steht damit über allem, was wir als Christen bedenken müssen. Dass wir uns zum Erlöser Jesus Christus bekennen, basiert auf dem Glauben an den guten Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Wir müssen bekennen, dass uns gefühlsmäßig der Schöpfungsgedanke im Vergleich mit dem Erlösungsgedanken geringer vorkommt, weil wir uns eventuell an den beiden Schöpfungsberichten des Alten Testaments aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse stoßen, denn jedes Kind gibt doch als Wissen vor, dass die Welt nicht in sieben Tagen entstanden ist und auch nicht zuerst ein Paradiesgarten da war, wie es der zweite und doch ältere Schöpfungstext uns sagt. Und dennoch ist es eine Wahrheit, die uns dann wieder in Erinnerung kommt, wenn wir über klimatische Veränderungen sprechen, wenn Klimagipfel abgehalten werden und über CO2-Ausstoß der Kraftfahrzeuge incl. Abgasskandal diskutiert wird.
Erstaunlich ist es, dass der Apostel Paulus im zweiten Brief an die Korinther eben diesen Ausgangspunkt nennt, wenn er von Versöhnung und Vergebung spricht. Analysieren wir das Weltbild, das der Apostel hier vorstellt, dann können wir sagen:
Für ihn gibt es Gott, den Schöpfer, Jesus Christus, den Mittler der göttlichen Gnade, den Gesandten an Christi Statt und die Gläubigen in Korinth und in der ganzen Welt. Vier Personen oder Personengruppen sind auf unterschiedliche Weise in der Schöpfungsordnung miteinander verbunden:
-    Gott, der Schöpfer, hat seinen Sohn Jesus Christus gesandt, mit dem eine neue Schöpfung begonnen hat;
-    In Jesus Christus wurde die Welt wieder mit Gott versöhnt, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht mehr anrechnete;
-    Die Gesandten an Christi statt sollen mahnen und das Wort der Versöhnung verkünden;
-    Die Gläubigen werden gebeten, sich mit Gott versöhnen zu lassen.

Wozu ist die Kirche gut? - fragen unsere Mitmenschen, wenn wir sie in unsere Glaubensgemeinschaft einladen. Hier ist die Antwort zu finden: Himmel und Erde, Gott und seine Schöpfung verbinden.
Der Schrifttext aus dem zweiten Korintherbrief, den wir gehört haben, wird auch für den Gottesdienst vorgeschlagen, den die christlichen Kirchen im Jahr 2017 miteinander feiern sollen, um ein Zeichen zu setzen, dass wir nicht mehr gegeneinander stehen wollen, sondern das Gemeinsame betonen, um das Unterschiedliche bearbeiten zu können. "Lösungsorientierte Diskussion" gegen "konfliktorientierte Diskussion". Versöhnte Verschiedenheit ist ein Auftrag an die christlichen Kirchen aufgrund der Tatsache, dass Gott seine Welt mit einer Ordnung geschaffen hat, die auf das Basis von Versöhnung beruhen soll. Krieg und Hass, Mauern und Stacheldraht sind deshalb nicht erlaubt. Es ist deshalb ein gutes Zeichen, wenn der Bischof von Eisenstadt, Ägidius Zsifkovics, einer Grenzziehung mit Stacheldraht auf dem Grund und Boden seiner Diözese zwischen Österreich und Ungarn nicht zustimmt und damit diese Abschottung gegenüber Flüchtlingen hier ein Schlupfloch hat. Und auch die Mauern in den Köpfen und Herzen müssen durch uns Christen überwunden werden, weil sie den Frieden und den Kosmos verhindern, dem ein heiliger Plan zugrunde liegt, der göttlichen Ursprung hat.
In den Worten Jesu, die im Matthäus-Evangelium festgehalten sind, finden wir dieses Denken wieder: Gott ist gegenwärtig, wo zwei oder drei Menschen zusammenkommen. Dann wird sich unser Denken dem Denken Gottes angleichen, der stets zur Vergebung bereit ist, wenn er darum gebeten wird. Es reicht nicht, eine Zahl festzulegen, mit der Vergebung gezählt werden kann. Beide neuen Einheitsübersetzungen sagen: "siebzigmal siebenmal". Diese Zahl gibt es nicht in unserer Mathematik. Sie gehört in die "göttliche Mathematik" und bedeutet: ohne Angabe, auf die ich mich zurückziehen und beschränken darf. Diese göttliche Zahl spricht einerseits von der Tatsache der Zerrissenheit in der Gesellschaft und Kirche. Sie nennt aber auch andererseits einen Ausweg durch Vergebung und Versöhnung.
Zerrissenheit der Gesellschaft zeigt sich, wenn Arm und Reich nebeneinander wohnen und voneinander keine Notiz nehmen. Die Einladung von Papst Franziskus an 3600 Obdachlose am letzten Freitag war ein Zeichen für den Willen zur Versöhnung und Gemeinschaft von Arm und Reich. Auch aus Deutschland waren 600 Obdachlose nach Rom gekommen, deren Reise gesponsert wurde von Menschen, die zwar die Armen nicht reich machen können, aber ihnen doch helfen, sich wertgeschätzt zu fühlen. Die Kommentare der Gäste im Vatikan waren einheitlich: Sie haben den Papst als Mensch erlebt, der uns nahe sein will und viele Hände schütteln wollte. Christiane Tiede aus Leipzig sagte konkret: "Er hat Kinder in den Arm genommen und auch Leute, die auf der Straße leben. Er hat sie in den Arm genommen und gestreichelt. Das gibt mir viel Kraft." Und ein Bauingenieur aus Leipzig, der jetzt obdachlos ist und den sie in der Oase "Seemann" nennen, sagte: "Ich muss sagen, ich habe geweint. Ich bin ein großer, starker Mann, aber das ging mir nah. Weil das nicht fremd warn nicht weit weg. Ich habe unseren Papst miterlebt. Er war bei mir - als hätte er mir die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: ’Seemann, du bist ein toller Kerl’." Ich frage mich: "War es ein schwerer Gang für Papst Franziskus zu den Obdachlosen?" Ich vermute nicht, denn es passt zu seiner Art, die Welt zu sehen als das gemeinsame Haus, für das wir alle gemeinsam verantwortlich sind.
Diese Sicht der Welt hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika "Laudato si" deutlich zum Ausdruck gebracht. Er beginnt seine Enzyklika mit den Worten:
"LAUDATO SI, mi’ Signore - Gelobt seist du, mein Herr”, sang der heilige Franziskus von Assisi. In diesem schönen Lobgesang erinnerte er uns daran, dass unser gemeinsames Haus wie eine Schwester ist, mit der wir das Leben teilen, und wie eine schöne Mutter, die uns in ihre Arme schließt: ‚Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.’" (LS 1).
Konkret spricht der Papst die Spannung zwischen Arm und Reich an. Er verweist auf ein Dokument der Bischofskonferenz von Paraguay, in dem es heißt:
"Jeder Campesino hat ein natürliches Recht darauf, ein angemessenes Stück Land zu besitzen, wo er seine Wohnstätte errichten, für den Lebensunterhalt seiner Familie arbeiten und existenzielle Sicherheit haben kann. Dieses Recht muss garantiert werden, damit es keine Illusion bleibt, sondern konkret angewendet wird." (Zitiert in LS 94).
Bewahrung der Schöpfung ist ein zentrales Anliegen aller Christen. Es wird unterstützt durch Parteien und Vereine, die das Anliegen in ihrem Programm haben. Viele beziehen es allein auf die Umwelt und blenden den Menschen aus. Der Glaube an den Schöpfer weitet unseren Blick auch auf den Menschen hin, der ebenso in seiner Würde zu achten und zu schützen ist. Das meine ich im Hinblick auf das ungeborene Leben und auch auf den alten und kranken Menschen. Das beziehe ich auch auf alle Ü;berlegungen, in die Erbmasse des Menschen eingreifen zu wollen, um Krankheiten zu heilen. Es ist gut, dass der Mensch sich darüber Gedanken macht, wie er dem kranken Menschen helfen kann, gesund zu werden, jedoch braucht es dabei immer den Blick auf den Schöpfer, vor dem wir unser Tun verantworten müssen. Möchte der Wissenschaftler zur Menschenwürde helfen oder wie Gott sein? Das menschliche und menschenwürdige Miteinander gelingt nur dann, wenn wir Mut zur Demut haben, d.h. zur Dien-mut.
Die heilige Elisabeth von Thüringen kannte die Spaltung der Bevölkerung zwischen arm und reich. Was sie tun konnte, um daraus wieder eine Einheit zu machen, hat sie getan. Dabei arbeitete sie selbstvergessen und selbstlos. Als Obdachhabende wandte sie sich den Obdachlosen zu und gab ihnen in ihrem Herzen und auch in der Realität ein neues Zuhause. Ich wünsche mir von Herzen, dass wir alle intensiv darüber nachdenken, wie Obdachlosigkeit zu verhindern ist. Als Vermieter von 40 Wohnungen habe ich bisweilen mit Mietern zu ringen, die säumig sind in den Zahlungen. Ich fordere sie schriftlich und mündlich auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen, damit sich Schulden nicht aufbauen. Manche sagen mir: "Lieber esse ich nur Brot und trinke Tee, bevor ich meine Miete nicht zahle und auf der Straße liege." Vor diesen Menschen habe ich große Hochachtung. Es fällt ihnen oft schwer, angebotene Hilfe anzunehmen, weil sie damit ihre Not offenbaren müssen. Wir müssen ihnen Mut machen, dass sie ja auch in der Armut nicht ohne Würde sind. Ich hoffe, dass alle Ämter und Behörden, die zur Hilfe eingerichtet wurden, so denken und handeln. Von Herzen wünsche ich mir, dass die Zahl der Obdachlosen mal auf "0" steht.
Papst Franziskus beschließt sein Schreiben "Laudato si" mit einem Gebet, in dem es heißt:
"Gott der Liebe, zeige uns unseren Platz in dieser Welt als Werkzeuge deiner Liebe zu allen Wesen dieser Erde, denn keines von ihnen wird von dir vergessen. Erleuchte, die Macht und Reichtum besitzen, damit sie sich hüten vor der Sünde der Gleichgültigkeit, das Gemeinwohl lieben, die Schwachen fördern und für diese Welt sorgen, die wir bewohnen.
Die Armen und die Erde flehen, Herr, ergreife uns mit deiner Macht und deinem Licht, um alles Leben zu schützen, um eine bessere Zukunft vorzubereiten, damit dein Reich komme, das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens, der Liebe und der Schönheit. Gelobt seist du. Amen."

18.11.2016