Versöhnt leben

Hirtenbrief von Bischof Joachim Wanke zur österlichen Bußzeit


Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!


Am Beginn der Fastenzeit mache ich mir die Worte des Apostels Paulus zu eigen, der an die Christen in Korinth schreibt: "Wir sind Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!" (2 Kor 5,20).


Das Wort "versöhnen" gebrauchen wir im Alltag meist nur selten. Und doch ist die damit gemeinte Sache für gelingendes menschliches Leben unentbehrlich. Wo zwischen Menschen Bereitschaft zur Versöhnung fehlt, kann man nicht atmen. Dort herrscht nervenzermürbender Kleinkrieg - und manchmal auch tödliche Stille.


Sich mit Menschen versöhnen - ja, das ist eine wichtige Aufgabe. Das verstehen wir. Aber warum sich mit Gott versöhnen? Steht Gott mit uns im Krieg?


Nein, es ist eher umgekehrt: Wir stehen mit Gott auf Kriegsfuß, sei es, dass wir ihm Vorhaltungen machen, weil wir es ohnehin meist besser wissen als er, sei es, dass wir ihn an den Rand schieben, ihn nicht zu Wort kommen lassen, ihn geflissentlich überhören oder gar zeitweise völlig ignorieren. "Du bist Luft für mich!" Wer das einem anderen sagt oder spüren lässt, der weiß, was darauf folgt.


Gottlob reagiert Gott anders als ein beleidigter menschlicher Partner. Er wird nicht sauer. Er lässt uns nicht fallen. Er sucht - um unsretwillen - Versöhnung. Die österliche Bußzeit ist Gelegenheit, uns Gott, unserem Schöpfer und Erlöser neu zuzuwenden. Wie kann das geschehen?


Bei menschlichen Zerwürfnissen fängt eine mögliche Versöhnung mit kritischem Nachdenken an. Ich halte als erste Einsicht fest:




1.

Versöhnung hat etwas mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit zu tun


In diesem Fall: einer doppelten Wirklichkeit, zunächst meiner Wirklichkeit und dann Gottes Wirklichkeit. Es ist ratsam, bei Gott anzufangen und im Licht seiner Wirklichkeit dann den Blick auf sich selbst zu lenken.


Das ist wie nach einem handfesten Ehekrach. Wenn der Qualm sich verzogen hat und das Denken wieder einsetzt, fängt man an sich zu fragen. War mein Verhalten wirklich richtig? Hab ich nicht aus dem anderen etwas gemacht, was er gar nicht ist? Habe ich nicht in meinem augenblicklichen Ärger, meiner Wut den anderen völlig falsch beurteilt?


Ich übertrage diese sehr menschliche Erfahrung auf unser Gottesverhältnis. Wenn der Apostel sagt: Lasst euch mit Gott versöhnen! bedeutet das: Lernt von Gott neu und anders zu denken! Ü;berwindet euer Zerrbild von Gott, eure Einbildungen, eure falschen Projektionen! Nehmt Gott so wahr, wie er wirklich ist. Gott will uns nicht klein machen. Er will uns weiten Raum zum Atmen und zum Leben schenken. Er will das nicht nur - er hat es in Jesus Christus auch getan. Gott bleibt uns wie der Vater dem verlorenen Sohn in dem bekannten Gleichnis Jesu verlässlich zugetan.


Manche ältere Christen sind, aus welchen Gründen auch immer, als junge Menschen in einem angstbesetzten religiösen Klima aufgewachsen - und haben sich später mit mancher Mühe daraus befreit. Dabei haben sie freilich oft das über Bord geworfen, was ihnen den Zugang zu einem versöhnten Leben gewährt: die Chance, zu beichten und mit Gottes Hilfe neu anfangen zu können. So bleiben sie mit sich und ihren Lebenslasten allein. Sie müssen verdrängen, was sie trotz aller zur Schau getragenen Souveränität verunsichert und beschwert. Dabei ist uns doch dieses einzigartige, menschenfreundliche Sakrament geschenkt. Wir dürfen bei Gott abladen. Wir können uns neu aufrichten lassen.


Meine Bitte ist: Lassen wir uns die Möglichkeit, mit dem Bußsakrament auch hilfreiche Erfahrungen zu machen, nicht entgehen. Wieder einmal beichten zu gehen, besonders wenn der Faden schon längere Zeit abgerissen ist, kostet sicher Ü;berwindung. Da hat man Scheu wie vor einem längst fälligen Arztbesuch. Aber hinterher ist man dann doch froh.


Dort, wo der Gott und Vater Jesu Christi uns wieder neu und lebendig vor Augen steht, spüren wir, wer er für uns sein will: der barmherzige Vater. Vor ihm brauchen wir uns nicht ängstigen und nicht schämen.


Fastenzeit ist eine Zeit, vertieft die Wirklichkeit Gottes wahrzunehmen, so wie sie uns unser Glaube bezeugt. Es ist die Zeit, die Worte und Gleichnisse Jesu neu zu bedenken. Es ist die Zeit für das Innehalten, für das Gebet, auch für das Bußsakrament.


Eine Brücke dazu kann eine zweite Erfahrung sein:



2.

Auf dem Weg zur Versöhnung braucht es Helfer


Ich greife noch einmal auf das Beispiel eines handfesten Zerwürfnisses zwischen Menschen hin, die sich im Grunde ihres Herzens eigentlich gern haben. Wie wieder zu einem Neuanfang kommen, zu einer Versöhnung?


Manchmal gelingt es einem guten Freund, einer guten Freundin, die Tür zur Versöhnung einen Spalt weit zu öffnen. Gerade wenn man sich so richtig in eine Verbitterung hinein verrannt hat, kann einer mit einem vorwurfsfreien Wort helfen, aus solchen Sackgassen heraus zu finden. "Das hast Du doch gar nicht nötig, so verbiestert zu sein!" oder: "Schau mal, wie es wirklich zwischen euch steht!" oder: "Erinnere dich doch einmal daran, wie es früher zwischen euch war!"


Die Beichte ist eine solche Hilfe auf dem Weg zu einem versöhnten Leben. Wie manchmal gute Menschen mir helfen, mich angstfrei selbst zu erkennen, so hilft die Beichte, mich wieder der Wirklichkeit zu stellen, so wie sie ist:

  • Zunächst meiner eigenen Wirklichkeit, die oftmals ein Gemenge von Licht und Schatten ist, von Gewolltem und Nichtgewolltem, von echter Schuld und schwächlichem Sich-Treiben-Lassen. Haben wir keine Scheu, zur Beichte zu gehen, auch wenn wir uns insgeheim fragen: "Was soll ich eigentlich beichten? Ich weiß gar nicht, was ich da sagen soll!" Breiten wir einfach vor Gottes gnädigem Angesicht unser Leben aus - so wie es ist. Gott soll es anschauen. Er heilt auch das, was sich unserem direkten Blick entzieht. Ich habe die Erfahrung gemacht: Die beste Beichtvorbereitung ist ein Nachdenken über das, was ich Gott (und guten Menschen) verdanke. Unsere alltäglichste Sünde ist, dass wir das Danken vergessen.

  • Noch mehr freilich hilft mir die Beichte, Gott in seiner verlässlichen Barmherzigkeit wahrzunehmen. Die sakramentale Lossprechung ist mehr als ein noch so guter menschliche Ratschlag. Ich bin froh, nicht in Talkshows oder Zeitungen beichten zu müssen. Dort ist es sehr ungewiss, ob man eine Lossprechung erhält. Dort wird zwar viel geredet, aber nicht vergeben.

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich lade Sie ein, in dieser österlichen Zeit wieder bewusst das Bußsakrament zu empfangen. Unsere Pfarreien, manche Wallfahrtsorte und Klöster bieten Gelegenheiten an. Ich ermuntere die jungen Christen, in der Pfarrgemeinde eine "Nacht der Versöhnung" anzuregen, in der gebetet, gesungen und - auch gebeichtet wird. Ich lade die Ehepaare ein, mit anderen zusammen nach dem Empfang des Bußsakramentes in einer Versöhnungsfeier einen neuen Anfang in ihrer Ehe zu setzen. Und wenn Kinder erfahren, dass sie nach der Beichte symbolisch ihre Schuld verbrennen und miteinander ein kleines Fest feiern dürfen - ob ihnen dann nicht aufgeht, dass das Bußsakrament ein Geschenk ist und keine lästige Pflicht?


Der entscheidende Helfer zur Versöhnung mit Gott ist Jesus Christus. In der Lossprechung durch den Priester wird kraft des Ostersieges Christi der Teufelskreis der Schuld durchbrochen. Versöhntes Leben - im Bußsakrament wird es Realität. Lassen wir uns darum in diesem Sakrament zusprechen, was wir uns selbst nicht sagen können: "Das Alte ist vergangen. Neues ist geworden" (2 Kor 5,17).


Liebe Schwestern und Brüder,

Für mich ist jede Beichte nicht zuerst ein Bekenntnis von Sünden, sondern ein Gebet. Man könnte auch sagen: Die Beichte ist die Anwendung des "Vater unser" auf die Schattenseiten meines Lebens. Selig, wer in diesen Wochen diese Zusage hören darf: "Der Herr hat vergeben. Geh hin in Frieden!"


Es segne Sie alle der dreifaltige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist!


Ihr Bischof Joachim Wanke



Der Hirtenbrief wird in allen Gottesdiensten des 1. Fastensonntages verlesen



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