"Unser Land braucht mehr als Gerechtigkeit"

Interview der Neuen Thüringer Illustrierten mit Bischof Wanke zum Elisabeth-Jahr


Interview der Neuen Thüringer Illustrierten mit Bischof Wanke zum Elisabeth-Jahr...

(BiP). Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, dass Bischof Joachim Wanke der Neuen Thüringer Illustrierten gegeben hat. Das Interview ist im Heft 1/2007 mit dem Schwerpunkttitel "Die weltliche Heilige. Europa ehrt Elisabeth von Thüringen" erschienen.



Von der Souveränität, mit der sich Elisabeth als Mitglied der damaligen Hocharistokratie über gesellschaftliche Schranken hinwegsetzte, zeigt sich der Erfurter Bischof Dr. Joachim Wanke im NTI-Interview beeindruckt: "In ihrer Person sehe ich eine Frömmigkeit verwirklicht, die nicht fanatisch wird, sondern die menschlich bleibt, liebenswürdig und im besten Sinne attraktiv."


NTI: Herr Bischof, so ungewöhnlich und bewundernswert uns das kurze Leben der Heiligen Elisabeth heute vorkommt, befand sich die als "berühmteste Thüringerin" Verehrte wohl durchaus im Einklang mit dem Zeitgeist des beginnenden 13. Jahrhunderts. Allein die Geschichte anderer Heiliger dieser Zeit, wie die von Clara von Assisi, zeigt, daß Elisabeth kein absoluter Einzelfall war. Wie ist aber gerade der Elisabeth-Kult zu erklären?


WANKE: Das 12. Jahrhundert war von einem gesellschaftlichen Neuaufbruch bestimmt. Vor allen in Nord- und Mittelitalien wuchs im wohlhabenden Bürgertum der Städte ein neues Selbstbewußtsein. Franziskus stammt bekanntlich aus einer reichen Tuchhändlerfamilie. Er trennte sich von seiner Familie und lebte eine konsequente Armut. Das erregte Aufsehen. Elisabeth von Thüringen hat sich davon angesprochen gefühlt. Daß freilich der Geist der Armut und der Nächstenliebe allgemeines Kennzeichen des damaligen Zeitgeistes war, kann man nicht sagen. Die Menschen spürten jedoch: Hier macht jemand mit dem Evangelium ernst. Und das erklärt ein wenig die anhaltende Ausstrahlung solcher Heiligen wie Franziskus und Elisabeth.


NTI: "Wer selbstlos liebt, berührt Gott, wird mit ihm eines Sinnes", lautet die in einem gemeinsamen Hirtenbrief der Bistümer Fulda und Erfurt verbreitete Botschaft des Elisabeth-Gedenkjahres. Ist diese Devise auch an die große Zahl von Nicht-Kirchenmitgliedern gerichtet?


WANKE: Elisabeth gehört nicht nur den Christen. Ihre Biographie spricht zu allen Menschen, die ein Gespür für Nonkonformismus und geistige Unabhängigkeit haben. Insofern ist ein Leben, das auf einen größeren Sinnhorizont verweist - den wir Christen Gott nennen - auch für Nichtchristen interessant. Wenn es stimmt, daß in menschlicher Liebe Zeit und Ewigkeit versinken - und das behaupten ja auch die Dichter -, dann berührt jeder selbstlos Liebende den zeitlosen Gott, ob er es weiß oder nicht. Mein Leben verdankt sich einer Liebe, die jenseits von Zeit und Zufall ist. Leider vergesse ich das häufig im Alltagsgeschäft meines Lebens. Elisabeth hat das offensichtlich nie vergessen. Das machte ihre Seligkeit aus - und begründete ihre Souveränität und innere Freiheit.


NTI: Besteht nicht die Gefahr, daß mit dem Jubiläumsjahr die Elisabeth zu sehr idealisiert und damit ihr Lebenswerk verklärt wird?


WANKE: Die Gefahr besteht. Aber ich bin mir sicher: Die historischen Fakten, die aus Elisabeths Leben bezeugt sind, werden die Verklärung in Grenzen halten. Doch sollte man auch bedenken: Die Legenden, die von Elisabeth erzählt werden, sind Bildern vergleichbar, mit denen ein Künstler das Wesen einer Persönlichkeit zu fassen sucht. Man muß solche Geschichten nur richtig in ihrer literarischen Eigenart zu würdigen wissen. Dann sagen sie auch etwas über die Person, von der so erzählt wird.


NTI: Wie ist es zu erklären, daß ausgerechnet Elisabeth, die "Mutter der Armen", ihre eigenen drei Kinder verließ?


WANKE: Verlassen heißt hier nicht: sie alleinlassen oder gar sich selbst überlassen. Elisabeth mußte ihre drei Kinder nach ihrem wohl nicht ganz freiwilligen Weggang von der Wartburg in standesgemäße Obhut geben. Das Marburger Hospital war wegen der Ansteckungsgefahr kein Aufenthaltsort für Kinder. Elisabeth hat zu ihren Kindern später durchaus Kontakte gehabt. Eine ihrer Töchter, Gertrud, ist Äbtissin geworden. Der Sohn Hermann als künftiger Landesfürst und Sophia sollten eine angemessene Erziehung und Ausbildung am landgräflichen Hof erhalten. Richtig ist freilich, daß Elisabeth ihren Dienst an den Kranken dem Zusammensein mit den Kindern vorzog. Sie wußte um Größeres als die Familie.


NTI: Wie hat Konrad von Marburg, als Beichtvater, "Seelenführer" und Lehrmeister, das Leben und Wirken der Elisabeth geprägt? Immerhin gilt der Kreuzzugsprediger und Inquisitor auch in Kirchenkreisen als fragwürdige Persönlichkeit.


WANKE: Konrad hat ohne Zweifel die geistliche Größe der Persönlichkeit der Landgräfin erkannt. Er war selbst ein Mann des Armutsideals und hat es konsequent gelebt, aber er hat sich auch bei den Großen seiner Zeit für die Rechte Elisabeths eingesetzt. Manche Methoden der Seelenführung, die Konrad anwandte, sind uns heute fremd und unverständlich. Hier gilt es, aus dem Empfinden der damaligen Zeit heraus zu urteilen, in der harte asketische Ü;bungen weithin selbstverständlich waren. Auch über die Kreuzzugsmentalität muß man differenziert urteilen, weil sich in ihr geistliche und sehr weltliche Motive verschränkten. Eindeutig dem Evangelium widersprechend war freilich die fanatische Ketzerbekämpfung, die Konrad praktizierte. Das haben schon Zeitgenossen an ihm kritisiert.


NTI: "Protestanten ?verehren? keine Heiligen, wir rufen sie nicht an", erklärte der evangelische Landesbischof Christoph Kähler. Trotzdem finden sich Katholiken und Protestanten im Laufe des Elisabeth-Jubiläums zu vielfältigen gemeinsamen Veranstaltungen zusammen. Kann das Elisabethjahr dazu beitragen, daß die beiden christlichen Konfessionen näher zusammenrücken? Wirkt die Heilige Elisabeth also verbindend?


WANKE: Die Vorbehalte evangelischer Christen gegenüber der katholischen Heiligenverehrung sind gottlob heute weithin entschärft. Heilige sind in Gott vollendete Menschen, helfende Vorbilder im Glauben, im Hoffen, in der Gottes- und Nächstenliebe. Sie sind exemplarisch geglückte christliche Existenz je in ihrer Zeit und erinnern uns daran, daß auch wir zur Heiligkeit gerufen sind - auch wenn wir vermutlich nicht in den Heiligenkalender aufgenommen werden! Das können evangelische und katholische Christen gemeinsam sagen. Selbst wenn es zwischen den Konfessionen Unterschiede in der Art und Weise der Heiligenverehrung gibt, so sind diese nicht kirchentrennend. Papst Johannes Paul II. hat, als er im Jubiläumsjahr 2000 die christlichen Märtyrer der Neuzeit hervorhob, immer auch mit Hochachtung und Verehrung auf die Blutzeugen der evangelischen Christenheit hingewiesen, etwa auf Dietrich Bonhoeffer. Man kann sagen: Die Heiligen sind ein Geschenk für die Ökumene. Das wird sich auch beim Gedenken an die Heilige Elisabeth in diesem Jahr zeigen.


NTI: Das Elisabethjahr stellt neben der Bundesgartenschau das absolute Highlight für die Thüringer Tourismuswerbung im Jahr 2007 dar. Findet die absolute Vermarktung der Heiligen Ihre ungeteilte Zustimmung?


WANKE: Vermarktung im Sinne einer bloßen Kommerzialisierung finde ich nicht gut. Ich habe freilich den Eindruck, daß viele ein echtes Interesse an der Gestalt Elisabeths zeigen. Auch das Land und die Kommunen merken, daß die Thüringer Landgräfin zu mehr tauglich ist, als den Tourismus zu beleben. Darum bin ich dafür offen, daß auf vielfältige Weise die zentrale Botschaft des Elisabethjahres unter die Leute kommt: Unser Land braucht mehr als Gerechtigkeit. Ich habe zum Beispiel "Sieben Werke der Barmherzigkeit für Thüringen heute" formuliert, die zu praktischem Tun anregen. Einem Menschen zu sagen: "Ich höre dir zu", oder: "Ich besuche dich", oder: "Ich gehe ein Stück mit dir" - das ist oft wirksamer als eine finanzielle Hilfe.


NTI: Herr Bischof, was beeindruckt Sie persönlich ganz besonders an der faszinierenden und widersprüchlichen Elisabeth von Thüringen?


WANKE: Beeindruckend ist für mich die Souveränität, mit der sich Elisabeth als Mitglied der damaligen Hocharistokratie über gesellschaftliche Schranken hinwegsetzte. In ihrer Person sehe ich eine Frömmigkeit verwirklicht, die nicht fanatisch wird, sondern die menschlich bleibt, liebenswürdig und im besten Sinne attraktiv. Darin sehe ich meine Ü;berzeugung bestätigt, daß wirkliche Gottesliebe immer auch eine Quelle für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe ist. Im Zeitalter eines religiös begründeten Terrorismus ist das eine sehr wichtige Einsicht. Es gibt in der Tat auch eine gefährdete, gleichsam verwildernde Religiosität. Die Gottessehnsucht des Menschen muß sich vom Evangelium herleiten und gegebenenfalls auch korrigieren lassen. Dafür steht die Biographie dieser Heiligen.


NTI: "Elisabeth verkörpert mutige Solidarität und christliche Nächstenliebe - sie ist ein Mensch, dessen kurzes Leben auch heute noch der Würdigung und Betrachtung wert ist", meint Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus im Vorwort eines Veranstaltungskalenders zum Elisabethjahr. Wenn wir im Fernsehsessel sitzen und uns eine Spendengalaveranstaltung für hungernde und hilfsbedürftige Menschen derart zu Herzen geht, daß wir uns veranlaßt fühlen, spontan 50 Euro auf ein für den guten Zweck eingerichtetes Konto zu überweisen, beweisen wir damit, daß wir zu teilen, zu helfen bereit und fähig sind? Ist das auch ein Beweis für unsere Nächstenliebe? Herr Wanke, wie definieren Sie hier und heute Solidarität und Nächstenliebe?


WANKE: Die große Spendenbereitschaft der Menschen hierzulande ist durchaus zu würdigen. Unmittelbar in Bildern übermittelte Not, wie etwa seinerzeit die Katastrophen in den Ländern, die vom Tsunami betroffen waren, berührt die Menschen. Ich schätze das als sehr wertvoll ein und möchte jene bestärken, die auch ohne solche Bilder bereit sind, die großen Hilfswerke, etwa der Kirchen, dauerhaft zu unterstützen. Nächstenliebe ist freilich noch mehr. Sie wird konkret in einer Haltung, die sich in die Situation eines anderen hineinversetzen kann. Sympathie setzt Empathie, also Einfühlungsbereitschaft, voraus. In diesem Sinne ist Nächstenliebe heute dort am Werk, wo die Fortschrittsverlierer nicht vergessen werden und ihnen geholfen wird - sei es durch Maßnahmen einer klugen Sozialpolitik, sei es durch ganz persönliche Hilfeleistungen im Einzelfall. Ü;brigens geschieht solche Lebenssolidarität in unseren Familien mehr, als wir öffentlich wahrnehmen.


NTI: Herr Bischof, wie würde Elisabeth selbst dem heutigen Rummel um ihre Person, der Verehrung, Bewunderung und Lobpreisung begegnen?


WANKE: Vermutlich sehr reserviert. Wirkliche Größe zeigt sich daran, daß sie von sich selbst nicht viel Aufhebens macht. Elisabeth würde uns bitten, weniger auf sie als vielmehr auf den zu schauen, den auch sie zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht hat: Jesus Christus, der - wie der Apostel Paulus einmal in einem seiner Briefe formuliert hat - "für uns arm geworden ist, damit wir reich würden."


Das Interview führte JÖRG SCHUSTER



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