Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
am 4. Fastensonntag Laetare werden wir in unserem Bistum wie in allen Bistümern Ost- und Mitteldeutschlands das neue Gotteslob mit einem gemeinsamen Regionalanhang in den Händen halten. Ich bin sehr froh, dass nun auch für uns der lange Weg abgeschlossen und zu einem guten Ende gekommen ist. Jetzt kommt es darauf an, sich dieses Glaubens- und Kulturgut anzueignen. Dazu soll auch mein Hirtenwort zur Fastenzeit 2014 helfen.
Ich habe dafür ein Lied aus dem neuen Gotteslob ausgesucht, das für viele von uns neu ist, auch wenn es schon zu den Monatsliedern gehörte, die im vergangenen Jahr gesungen werden konnten. Das Lied (GL neu 272) "Zeige uns, Herr, deine Allmacht und Güte" stammt vom Text her aus der Feder des Theologen und Germanisten Raymund Weber - geboren 1939 und heute Mitglied der Gruppe "Singles" im Erzbistum Köln. Die Melodie wurde vom Hallenser Theologen Johann Anastasius Freylinghausen im Jahr 1708 komponiert. Ein neuer Text von 1982 mit alter Melodie lädt uns in der Fastenzeit ein, über Gott und unser Verhältnis zu ihm nachzudenken. Ich möchte Strophe für Strophe mit Ihnen betrachten und damit zur Besinnung einladen.
Wir beginnen mit der 1. Strophe:
Zeige uns, Herr, deine Allmacht und Güte;
komm uns zu Hilfe mit göttlicher Kraft!
Mit deinem Beistand uns allzeit behüte,
der uns befreit und Geborgenheit schafft.
Hör unser Bitten; die Angst in uns wende;
Feuer des Heiligen Geistes uns sende!
Das Lied beginnt mit einem Bekenntnis zur Allmacht und Güte Gottes.
Das sagt sich vielleicht so leicht daher, weil wir es gewohnt sind, so zu beten und zu singen. Allmacht ist natürlich ein erstrebenswertes Ziel und immer wieder haben Könige und Herrscher sich danach gesehnt - bis in unsere Gegenwart. Unser Gottesbild zeichnet sich dadurch aus, dass wir Gott sowohl als gütig und auch als allmächtig bekennen. Diese Verbindung finden wir bei weltlichen Herrschern selten. Wir haben Gott mit diesen Eigenschaften durch Jesus Christus kennen gelernt, wenn er von seinem Vater im Himmel sprach und die Wunderzeichen tat, die seine Sorge um den Menschen zum Ausdruck bringen - die Sorge um Leib und Seele, denn oft verbindet Jesus bei der Heilung von Blinden, Lahmen, Aussätzigen und Gehörlosen die körperliche Heilung mit dem Zusatz: "Deine Sünden sind dir vergeben!" Wenn Gott so ist, dann haben wir als seine Töchter und Söhne keine Berechtigung zu einer anderen Art von Herrschaft oder Einfluss in dieser Welt.
Alle Macht, die uns Menschen in die Hand gegeben wurde, soll so gebraucht werden, dass sie den Umgang Gottes mit uns widerspiegelt. Das gilt für die "Macht" der Eltern über ihre Kinder bis hin zur politischen Macht in Stadt, Land und Bund und erst recht in der Kirche.
Wer diese Liedstrophe singt, bringt auch nach dem Bekenntnis eine Bitte vor: Der Beistand Gottes soll uns bei unserem Tun helfen. Mehrfach wird in unserem Lied der Heilige Geist angerufen - hier als Beistand, wie er auch im Johannesevangelium öfter bezeichnet wird (vgl. Joh 14, 16. 26; 15, 26; 16, 7). Dieser Geist soll zur Freiheit und Geborgenheit führen. Damit wird das Wesen des Glaubens beschrieben, das in Freiheit und Geborgenheit besteht. Daher dränge ich gern darauf, nicht zu sagen: "Ich bin religiös gebunden!" sondern zu sagen: "Ich bin religiös befreit." Und die Geborgenheit bei Gott weiß jeder zu schätzen, der sich ihm anvertraut und dadurch zu einer neuen Gelassenheit gefunden hat. Das Feuer des Heiligen Geistes wird schließlich als geeignet bezeichnet, unsere Angst zu wenden. Jeder kann hier selbst seine Ängste benennen, z.B. die Angst vor dem Versagen in Beruf und Familie oder die Angst vor dem Alt- und Krankwerden. Für mich ist damit auch die Angst verbunden, nicht ausreichend Brücken der Verständigung zwischen den Menschen unserer Zeit und dem Evangelium zu finden, um zu verhindern, dass der Glaube von den Menschen heute als unzeitgemäß empfunden wird. Ich bin dankbar dafür, meine Verantwortung für die Weitergabe des Glaubens auch in Gottes Hände legen zu können. Das macht mich angstfrei und gibt Gelassenheit.
Schauen wir uns die 2. Strophe an:
Hilf unserm Glauben, wenn mutlos wir werden;
Lichtblick und Freude erblühen aus dir.
Dein Reich des Friedens lass wachsen auf Erden;
Werkzeuge deiner Verheißung sind wir.
Lehr uns aus Glaube und Liebe zu handeln
und so uns selbst und die Welt zu verwandeln.
Mutlosigkeit lähmt jeglichen missionarischen Eifer. Die Liedstrophe nennt den Ausweg: Gott als Lichtblick und Freude erkennen!
Papst Franziskus weist in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii gaudium" darauf hin, dass wir ohne Freude am Evangelium, die sich auch in unsern Gesichtern zeigen soll, zu keiner überzeugenden Weitergabe des Evangeliums in der Lage sein werden. Er schreibt in Anlehnung an ein Schreiben der lateinamerikanischen Bischöfe von 2007:
"Das Leben wird reifer und reicher, je mehr man es hingibt, um anderen Leben zu geben. Darin besteht letztendlich die Mission. Folglich dürfte ein Verkünder des Evangeliums nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben" (EG 10).
Wer aber hat den Glauben als Lichtblick erfahren? Hier können uns die Erstkommunionkinder, Firmlinge, Konvertiten und Neugetauften Zeugnisse geben. "Seitdem ich getauft bin, behandle ich meine Kinder geduldiger!" - sagte mir ein erwachsener Neugetaufter. "Ohne Glauben kann ich die Kultur Mitteleuropas nicht verstehen!" - sagte ein anderer Christ, der den Glauben neu entdeckt hatte. "Ich habe viele Religionen und Konfessionen erforscht und bin nun beim katholischen Glauben hängen geblieben. Dieser scheint mir in mein Leben Licht und Durchblick zu bringen!" - sagte wiederum ein anderer Neugetaufter. Und auch jugendliche Firmlinge bezeugen:
"Für mich ist der Glaube unantastbar, unglaublich, sicher, einfach unfassbar. Ich fühle mich sicher und geborgen wie im Bauch meiner Ma oder in den starken Händen meines Pa’s. Jesus hilft mir in vielen Situationen. Ich werde nie meiner Sicherheit entzogen."
Wer auf unterschiedlichem Weg den Glauben als erhellend für sein Leben erfahren hat, der wird sich auch bereitwillig für die Weitergabe des Evangeliums als Vater, Mutter, Tischvater oder Tischmutter, Firmhelfer und Taufpate zur Verfügung stellen und dadurch zum Werkzeug der Verheißung werden. Die Wunder der Bekehrung sind alle vorbereitet. Es braucht lediglich die Werkzeuge, die sie frei legen und ans Licht bringen. Auf diese Weise besteht die Chance, uns selbst und die Welt neu zu gestalten und lebenswert zu machen.
Unser Lied spricht von der Verwandlung und weckt damit bei mir auch die Assoziation, dass unser christlicher und missionarischer Dienst mit der Wandlung in der Eucharistiefeier zu tun hat, wo wir Gottes Geist über uns, die Welt und die Gaben von Brot und Wein erbitten. Der Gedanke von einer "Konsekration und Verwandlung der Welt" wird hier ausgedrückt.
Welche Kraft trauen wir unserem Glaubenszeugnis zu? Können wir uns denken, dass damit eine Weltveränderung möglich ist? Wenn wir den Lebens- und Liebesdienst Jesu Christi richtig deuten wollen, dann müssen wir von einem welt- und zeitumspannenden Dienst des Heiles sprechen, denn für alle hat er sein Leben geschenkt, wenn auch nur viele seine Hingabe verstanden haben und bis heute verstehen. Zur Wirksamkeit des Heilsangebots Jesu Christi braucht es die Annahme und Offenheit. Unser Werben besteht darin, diese Liebe Gottes zu begreifen und zu akzeptieren. Gott möchte jede und jeden zu seinem Volk dazu haben, aber er lässt uns auch die Freiheit, Nein zu sagen. Das ist die Konsequenz seines Schöpferwillens, den Menschen in seiner Entscheidung frei zu lassen. Darüber können wir nur staunen. Wir spüren dabei seine Liebe in vollem Maße.
In der letzten Strophe singen wir:
Ruf uns zur Umkehr, so oft wir versagen;
du bist barmherzig, vergibst uns die Schuld.
Antwort bist du in verzweifeltem Fragen;
lehr uns Verzeihen, Vertrauen, Geduld.
Du hast für uns deinen Sohn hingegeben,
Worte und Taten, aus denen wir leben.
Es ist wieder Fastenzeit, in der wir eingeladen sind, das Bußsakrament zu empfangen.
Für manche Christen bereitet diese Einladung und Erinnerung arge Probleme. Mancher tut sich mit der Beichte schwer, weil er von anderen hört: "Ich habe niemanden umgebracht und die anderen angeblich schlimmen Dinge tun ja auch alle. Daher kann es ja keine Sünde sein!" Mancher tut sich schwer, weil er sich schon so oft bemüht hat, Fehler abzustellen, aber es ist nicht 100%ig gelungen.
Ich gebe zu, dass die Umkehr auch die Erkenntnis voraussetzt, dass ich etwas falsch gemacht habe oder unvollkommen bin.
Wenn das Gewissen der Mitmenschen löchrig geworden ist, dann ist es für den Christen, der die Zehn Gebote und das Evangelium Jesu Christi kennt, nicht leicht, sich nach diesen Weisungen zu richten und in ihnen einen höheren und besseren Maßstab zu erkennen. Uns hilft an diesem Punkt das demütige Zeugnis der Versager wie Saulus, Petrus und Thomas, die angesichts des Lichtes der Wahrheit Gottes ihr eigenes Unvermögen bekennen und Zeugen der vergebenden Liebe Gottes werden.
"Mein Herr und mein Gott" (Joh 20, 28) ruft Thomas aus, als er die Wundmale des Gekreuzigten berühren darf. Petrus sagte zum Auferstandenen: "Herr du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebhabe!" (Joh 21, 17) und er stand damit zu seiner dreimaligen Verleugnung des Herrn. Paulus erinnert an seinen Irrtum als Saulus, der die Christen verfolgte, weil er meinte, damit Gott zu dienen. Er nennt sich eine "Missgeburt" (1 Kor 15, 8), dem sich trotzdem der Auferstandene vor Damaskus zeigte und ihn auf einen neuen Weg führte(vgl. Apg 9, 1-22).
Die Fragen und das Suchen der Menschen nach Wahrheit nimmt Gott ganz ernst. Er nimmt auch ernst, dass wir dabei manchmal auf Abwege kommen. Viele unserer Mitchristen sind weggegangen, weil sie an unserer Art zu glauben kein leuchtendes Beispiel gesehen haben. Allein das schon ist ein Grund für uns, um Vergebung zu bitten und für das neue Gesicht der Kirche zu sorgen, die sich dem Licht der Wahrheit und des Lebens neu zuwendet. Ich bin sicher, dass sich das Ansehen und die Wirkung der Kirche verbessert, wenn die Freude am Bußsakrament wieder wächst und die Priester nicht nur Beichtzeiten anbieten, sondern auch dort den Dienst der Versöhnung leisten können. Ein neues Gesicht werden wir und die ganze Kirche bekommen, wenn Verzeihen, Vertrauen und Geduld ihre wandelnde Kraft entfalten. Der Mut zur Umkehr kommt aber letztlich von der Zusage: "Gott kommt dir entgegen! Du kannst neu anfangen! Er nimmt deine mühsamen und unzureichenden Versuche in Liebe an." Diese Zusage wird im Bußsakrament hörbar.
Uns selbst und die Welt können wir verwandeln, wenn wir der Kraft Gottes neu trauen, die uns von Jesus Christus geschenkt wurde und durch den Dienst der Kirche vermittelt wird. Wir Diener der Kirche sind gleichfalls wie alle Gläubigen und Noch-nicht-Gläubigen zu einer demütigen Freude eingeladen, weil wir trotz aller Schuld von Gott als seine Kinder geliebt sind. Was können wir uns und der Welt Besseres sagen?
In der Freude am Evangelium grüße ich Euch.
Es segne Euch in dieser Zeit des Glaubens und der Erneuerung der gute und barmherzige Gott, der Vater + und der Sohn + und der Heilige Geist.
Erfurt, am 1. Fastensonntag 2014
Weihbischof Dr. Reinhard Hauke
Diözesanadministrator