Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
im Eichsfeld habe ich einen sehr schönen Begriff kennengelernt, nämlich den Begriff des „Trösterkaffees“. Meist wird die Zusammenkunft nach einer Beerdigung mit dem unschönen Wort „Leichenschmaus“ bezeichnet oder sie wird neutral „Trauerkaffee“ genannt. Mit dem Wort „Trösterkaffee“ ist der Sinn der Zusammenkunft nach der Beerdigung sehr schön beschrieben. Nach der schmerzlichen Erfahrung des Todes eines lieben Angehörigen und des Erlebens der Endgültigkeit des Todes bei der Beerdigung, setzen sich die Angehörigen und Freunde zusammen, um über den verstorbenen Menschen zu reden, nicht nur über die Umstände seines Sterbens, sondern auch über gemeinsame Erlebnisse aus seinem Leben. Diejenigen, die sich nur selten sehen, tauschen sich aus über die Neuigkeiten ihres Lebens und es wird gegessen und getrunken. Diese Zusammenkunft ist ein erster wichtiger Trost für alle, die in der Trauer um den lieben verstorbenen Menschen unterzugehen drohen.
Die gute Erfahrung des „Trösterkaffees“ zeigt, wie wichtig der Trost ist, mit dem wir Menschen uns gegenseitig beistehen. Manchmal genügt die schlichte Anwesenheit. Manchmal ist es wichtig, über den Verstorbenen zu reden. Manchmal ist es hilfreich, von der Trauer des Anderen zu wissen und mit ihm über ganz andere Themen zu reden. Meist brauchen die trauernden Angehörigen auch Unterstützung in der Gestaltung eines neuen Alltags ohne den Verstorbenen.
Die Corona-Pandemie verstärkt die Trauer der Hinterbliebenen mitunter bis ins Unerträgliche. Oft konnten sie den geliebten Menschen auf seiner letzten Etappe in diesem Leben nicht begleiten, weil das im Krankenhaus oder im Pflegeheim nicht möglich war. Der Gedanke an die Einsamkeit des geliebten, sterbenden Menschen ist kaum zu ertragen. Die Bestattung konnte nur in ganz kleinem Rahmen stattfinden, sodass auch das Mitgefühl lieber Menschen nicht tröstend erlebbar war. Mir ist es wichtig, diese schlimmen Erfahrungen nicht zu verdrängen, gerade jetzt wo durch die mögliche Lockerung der Infektionsschutzmaßnahmen vieles vom gewohnten Leben wieder zurückkehrt und die Freude darüber fast mit Händen greifbar ist. Gerade jetzt dürfen wir die Opfer der Corona-Pandemie nicht übersehen.
Ich feiere diese Heilige Messe und pilgere auf den Hülfensberg im Gedenken an die Verstorbenen in der Zeit der Corona-Pandemie und an ihre Angehörigen. Ich hoffe, dass diejenigen unter Ihnen, die einen lieben Menschen verloren haben, die Gemeinschaft dieses Gottesdienstes als Trost erleben.
Als gläubige Christen erfahren wir Trost nicht nur aus dem Mitgefühl und der Sympathie von Menschen, die unsere Trauer mittragen, sondern wir erfahren auch den Trost aus unserem Glauben. Paulus hat es im zweiten Korintherbrief so geschrieben: „Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteilgeworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil.“ (2 Korinther 1,5)
Die Gnadenbilder am Klüschen Hagis und auf dem Hülfensberg führen uns den Trost unseres Glaubens vor Augen: Sie zeigen uns Christus, der den Tod erlitten hat, so wie unsere lieben Verstorbenen. Am Klüschen Hagis zeigen sie uns auch Maria, die den Schmerz der Trauer aus eigener Erfahrung kennt und uns Fürsprecherin und Trösterin ist. Auf dem Hülfensberg schaut uns der Gekreuzigte mitten in seinem Leid liebevoll und tröstend an. Möge allen, die an diesen Gnadenorten Zuflucht suchen und am Gnadenbild eine Kerze entzünden, der überreiche Trost unseres Herrn Jesus Christus zuteilwerden.
Den Trost aus unserem Glauben können wir auch erfahren, wenn wir für unsere lieben Verstorbenen beten. In jeder Heiligen Messe beten wir für unsere Verstorbenen. In unserem persönlichen Gebet wissen wir mitunter nicht, ob wir für sie beten, damit sie das Seelenheil erreichen, oder ob wir zu ihnen beten, damit sie uns in unseren Nöten beistehen. Es ist kein Zufall, dass die Gedenktage Allerheiligen und Allerseelen direkt aufeinander folgen.
Unser Glaube gibt uns aber nicht nur in diesem Leben Trost. Wir hoffen auch für uns, dass Christus uns nicht nur am Schicksal seines Todes Anteil gibt, sondern auch am Schicksal seiner Auferstehung. Wir hoffen, nicht nur für unsere lieben Verstorbenen, sondern auch für uns, dass der Tod nicht das Ende unseres Lebens ist, sondern der Beginn seiner Vollendung. So hören wir auch in der Trauer um liebe Menschen den Satz aus der Bergpredigt: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ (Matthäus 5,4)
Der Apostel Paulus weist im zweiten Korintherbrief auch daraufhin, dass der Trost, den wir aus dem Glauben schöpfen, uns dazu befähigt, selbst Tröster zu sein: „Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden.“ (2 Korinther 1,4) Zu Beginn der Kirchengeschichte dachten viele Römer, die kleinen christlichen Gemeinden seien so etwas wie die ihnen bekannten Bestattungsvereine. Die Mitglieder dieser Bestattungsvereine sorgten dafür, dass jedes Mitglied eine würdige Bestattung erhält und sie kümmerten sich tröstend um die Hinterbliebenen. Wenn unsere christlichen Gemeinden heute auch noch in diesem Sinne als Bestattungsvereine angesehen würden, hätte ich gar nichts dagegen. Es ist gut und wichtig, dass die Gemeinden im Eichsfeld auch und gerade dann zusammenstehen, wenn einer aus ihrer Mitte stirbt und wenn sie sich gegenseitig Trost spenden. Möge dies ohne die Gefahr einer Corona-Infektion möglichst bald wieder voll und ganz möglich sein.
Lesung: 2 Korinther 1,3-5
Evangelium: Matthäus 5,1-12