Theologische Vordenker

Ansprache zur ersten Verleihung von Ehrenpromotionen der Erfurter Katholisch-Theologischen Fakultät


Zur ersten Verleihung von Ehrenpromotionen der Erfurter Theologischen Fakultät

Von Prof. Dr. Benedikt Kranemann, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt


Ganz herzlich begrüße ich Sie im Namen der Katholisch-Theologischen Fakultät zu dieser feierlichen Verleihung des Doctor honoris causa. Zugleich begrüße ich Sie aber auch zu einem neuen Kapitel unserer Fakultät.


Es ist das erste Mal in der über 50jährigen Geschichte der Fakultät, dass wir eine solche Ehrendoktorwürde verleihen - ein wichtiger Schritt für die Fakultät, über dessen Bedeutung und Konsequenzen sich das Professorium sehr bewusst ist. Es ist uns eine Ehre, dass die drei Theologen, die wir für ihre Leistungen in Forschung, Lehre und Publizistik heute auszeichnen, sehr rasch ihre Bereitschaft erklärt haben, die Doctor honoris causa unserer Fakultät anzunehmen. [...]


Unsere Fakultät hat sich diese Verleihung von Ehrendoktorwürden zu einem besonderen Anliegen gemacht. Viele haben mitgedacht, viele mit geplant und die Chance erkannt, die in einem solchen Akt liegt.


Was ist das Besondere der Verleihung des Doctor honoris causa? Für die Professorenschaft war frühzeitig klar, dass die Fakultät nur solche Persönlichkeiten auszeichnen wird, die sich wirklich um die theologische Wissenschaft verdient gemacht haben, wobei wir dieses Verdienst in ganzer Breite verstanden wissen wollen. In einem Wissenschaftsbetrieb, in dem auch in der Theologie immer stärker Sekundäres in den Vordergrund rückt, ist es ein Wert an sich, auf den alten Ritus der Ehrendoktorwürde zurückzugreifen und für ein wissenschaftliches Werk, für Herausragendes in Forschung, Lehre und Vermittlung einen Ehrentitel zuzusprechen. Der heutige Abend ist schon insofern von Bedeutung, weil er die Wissenschaft um ihrer selbst willen wieder einmal in den Vordergrund rückt und - das darf man bei den drei Persönlichkeiten heute wohl sagen - das Ü;berzeugende und Gewinnende eines wissenschaftlichen Lebenswerks vor Augen stellt.


Dass die drei Ehrendoktoren in sehr unterschiedlicher Weise und in ganz unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen als Theologen gearbeitet haben, dass sie unterschiedliche wissenschaftliche Charaktere vertreten, tut dem keinen Abbruch, sondern unterstreicht die Vielfalt der Theologie und ihrer Wirkmöglichkeiten. Die Ehrendoktorwürde zeichnet drei Theologen für in der Vergangenheit Geleistetes aus, aber sie belegt auch für die Gegenwart die Vitalität der Theologie, die Peter Hünermann, Klemens Richter und P. Schmied bis heute mitprägen. In den Laudationes wird gleich deutlich werden, welche vielfältigen Impulse von den dreien ausgegangen sind. Die drei Ehrendoktoren sprechen für die Stärke der Theologie in der Gegenwart. So ist der heutige Abend eine Ehre für unsere kleine Fakultät und eine weitere Motivation, aber auch eine Verpflichtung für unsere Arbeit.


Mit der Annahme der Doktortitel zeigen Sie ihre Verbundenheit gegenüber dieser Fakultät mit einer besonderen Geschichte in einer religiös besonders geprägten Landschaft Deutschlands, sie verpflichten uns aber auch. Wir zeichnen bewusst drei Theologen aus, die sich dem Zweiten Vatikanischen Konzil ganz eng verschrieben haben. Darauf werden sicherlich die Laudationes eingehen. Doch soviel darf hier schon gesagt werden: Im Werk der drei zu Ehrenden wird immer wieder neu beschworen, dass das Zweite Vatikanischen Konzil nicht das Gestern und damit Vergangenheit ist. Ob es um die Ekklesiologie geht, um Fragen der Liturgie, um die Ökumene, das Gespräch zwischen den Religionen - Hünermann, Richter und Pater Schmied fordern nachdrücklich ein, dass das Konzil weiterhin der Rezeption harrt, auch wenn das [...] ein dornenvoller Weg ist, der aber lohnt - vielleicht mehr denn je.


Dekan Kranemann und die Ehrendoktoren Hünermann, Richter und Schmied (v.l.)




Das unterstreicht ein unverdächtiger Zeuge, den Peter Hünermann in einem Band über das Konzil und die Zeichen der Zeit zu Wort kommen lässt. Dort schreibt Karl Kardinal Lehmann:


"Wir lassen uns durch die Besinnung auf das Konzil an ein geistiges und geistliches Erbe erinnern, das wir der Vergesslichkeit unserer schnelllebigen Gesellschaft entreißen und in Dankbarkeit neu annehmen wollen. Solche Erinnerung führt uns durch Verkrustungen aller Art wieder zurück zu den unverbrauchten Quellen christlichen Lebens, vor allem zum Wort Gottes. So kann die Erinnerung neue schöpferische Kräfte entbinden, die faszinierender und wagemutiger sind als die neuesten Moden des Zeitgeistes, die morgen schon wieder von gestern sind. In diesem Sinne ist das Gedächtnis des Konzils ein herausforderndes Abenteuer, das die Wachheit und Bereitschaft, die Umkehrfähigkeit und die Sensibilität unseres Glaubens auf die Probe stellt."


Es hat manchmal den Eindruck, als sei diese Begeisterung um das Konzil für viele immer weniger eine Größe, mit der zu rechnen ist, dies nicht nur in der Kirchenpolitik, auch in der Theologie. Damit steht viel auf dem Spiel. Es geht um das Bild, das sich die Kirche von sich selbst macht, es geht um die Kirche in der Welt, um die innerkirchliche Diskussionskultur, das Miteinander von Laien und Klerikern, das Verhältnis der Kirche zu den großen Kulturräumen - es geht um zentrale Themen kirchlichen Lebens. Die nachlassende Erinnerung kann man auf die Vergeschichtlichung des Konzils zurückführen, das langsame Verstummen der Stimmen derer, die nicht nur Zeugen, sondern Teilnehmer auf diesem Konzil und Gestalter dieser Kirchenversammlung waren; sicherlich ist es etwas anderes, ob man den Aufbruch der 1960er Jahre in der Kirche aus nächster Nähe miterlebt und vielleicht mitdurchfiebert hat oder ob man ihn nur aus zweiter und mittlerweile dritter Hand kennt. Die Erfahrungen mit der politischen Wende in Deutschland lehren ja ein ähnliches.


Umso wichtiger ist es, sich an die zu wenden, die diese Aufbruchszeit bezeugen und aus erster Hand berichten wie wissenschaftlich reflektieren können, was war und was geworden ist; und warum vieles anders geworden ist, was vormals als verkrustet erlebt worden ist; und - um es nichts schön zu reden an diesem festlichen Abend - warum vieles nicht so geworden ist, wie es hätte werden können und hätte werden sollen. Die kritische Auseinandersetzung mit der kirchlichen Gegenwart gelingt gerade im Gespräch mit denen, die um den schon erwähnten dornigen Weg der Konzilsrezeption wissen, ist getragen von Solidarität oder sagen wir feinfühliger: von Liebe zur Kirche und verrennt sich nicht in einer fundamentalen Opposition, die bisweilen ja zur Versuchung werden kann. Die drei Ehrendoktoren der Fakultäten stehen für eine solche Beziehung zur Kirche, die zukunftsfähig aus persönlicher Bindung ist und Perspektiven aus kritischem Blick eröffnet. Die Qualität, die sie dabei ins Spiel bringen, ist Anlass genug, sie mit dem Ehrendoktorat auszuzeichnen.


Man kann die heutigen Ehrenpromotionen aber auch anders wenden. Vielleicht ist das Problem gar nicht oder nicht allein das Geschichtewerden des Konzils. Die Probleme der Theologie könnten heute auch ganz woanders liegen, sie könnten mit Regression auf die Inseln theologischer Binnenmeere zusammenhängen, mit fehlendem Mut, vielleicht auch mangelnder Abenteuerlust in der Auseinandersetzung mit dem, was man "die Welt" nennt, möglicherweise auch mit fehlendem Weitblick, was eigentlich von der Theologie heute gefordert oder besser: was von ihr erwartet wird - in der Wissenschaftswelt, in der Gesellschaft - und natürlich auch in der Kirche, doch sollte man nicht immer mit dem ansetzen, was schon Tradition und gewohnter Brauch ist. Blickt man in neuere Ü;berblicke zu dem, wie man heute "Glauben denken" kann, dann begegnet man durchaus Aufregendem.


Aber begegnet man auch genug, was einen begeistern könnte für Theologie? Das war in den Jahren nach dem Konzil nicht nur gefühlt, sondern nachweisbar anders. Unsere heutigen Ehrendoktoren gehören zu denen, die Vordenker waren, die dem, was "man" in der Theologie dachte, häufig ein gutes und auch weites Stück voraus waren. Das Konzil im Rücken, nein, bleiben wir korrekt: das Konzil im Herzen und vom Auftrag des Konzils umgetrieben, den Gaudium et Spes im Schlusswort (GS 91) so formuliert:


"...allen Menschen unserer Zeit [zu] helfen, ob sie Gott glauben oder ihn nicht ausdrücklich anerkennen, klarer ihre Berufung unter jeder Hinsicht zu erkennen, die Welt mehr entsprechend der hohen Würde des Menschen zu gestalten, eine weltweite und tiefer begründete Brüderlichkeit zu erstreben und aus dem Antrieb der Liebe in hochherzigem, gemeinsamen Bemühen den dringenden Erfordernissen unserer Zeit gerecht zu werden."


Die Vitalität von Glauben und Kirche, die man in diesen wenigen Worten spürt, durchzieht die Theologie der drei heute zu Ehrenden. Gegenüber mancher Verzagtheit und Erstarrung, für die es natürlich auch institutionell bedingte Gründe gibt - keine Frage -, müsste solche Theologie und müssten solche Theologen aufrütteln, ja: als heilsame Provokateure und Ruhestörer empfunden werden. Dieser Provokation muss sich gerade unserer Fakultät stellen.


Manche Rückzugsmöglichkeiten sind in der hiesigen Situation von Kirche und Gesellschaft verstellt - man kann ruhig sagen: Gott sei Dank. Hier muss der Weg zu neuen theologischen Denkansätzen und Lösungen gesucht werden, sonst haben Theologie und Kirche keine Chance und enthalten auch der Gesellschaft Wesentliches vor. Werk und Person von Theologen zu ehren, die uns dabei Anstöße geben, die uns mitreißen, die uns immer neu zum Aufbruch motivieren, haben letztlich den Anlass zu diesem Abend gegeben. Es soll keine Festveranstaltung werden, die sich selbst genügt; es soll für uns ein weiterer Baustein sein auf einem Weg, den unsere Fakultät gehen muss und den sie gehen wird. In der Begegnung mit ihnen, in den Vorträgen heute und morgen werden wir sicherlich jene Impulse finden, die uns auf unserem weiteren Weg als Fakultät Ansporn sein können, "den dringenden Erfordernissen unserer Zeit gerecht zu werden".


Lassen Sie mich einen letzten Gedanken noch anfügen. Dank der Unterstützung des Stadtmuseums Erfurt haben wir heute die Zepter der theologischen Fakultät der alten Erfurter Universität hier im Coelicum. Diese Kleinodien des 17. Jh. sind Insignien der Fakultät, d.h. sie zeigen Hoheit, Würde und Autorität an. Bei feierlichen Handlungen wurden dem Rektor die Zepter vorangetragen. In den Zeptern präsentiert sich bis heute die Fakultät als eine autonome, mit bestimmten Rechten ausgestattete Bildungsinstitution. Die Zepter strahlen das Selbstbewusstsein aus, dass diese Fakultät in einer Universität etwas darstellt und etwas Unverzichtbares beizutragen hat. Die Ehrendoktoren, mit denen sie sich zukünftig zieren kann, sind auch ein solcher Ausweis von Wissen um die eigene Identität und Zeichen eines guten Selbstbewusstseins innerhalb einer modernen Universität. Peter Hünermann, Klemens Richter und P. Augustin Schmied sind Ehrendoktoren, auf die wir gerne verweisen und von denen wir uns gerne inspirieren lassen werden - zum Wohl für die theologische Arbeit an der Fakultät und der Arbeit der Fakultät in der Universität.

Laudatio zur Ehrenpromotion - Eine Würdigung von P. Hünermann, K. Richter und A. Schmied