Predigt zum 2. Fastensonntag von Regens Wolfgang Ipolt, Erfurt
Was mir heilig ist
"Das ist mir heilig!" - Sagen Sie das auch manchmal? Vielleicht meinen Sie dann bestimmte Gepflogenheiten, die es in Ihrer Familie gibt. Das muss immer so bleiben! Das darf nicht verschwinden! Oder Sie denken an bestimmte Erinnerungsstücke, die Sie gut aufbewahren und nur bei bestimmten Gelegenheiten einmal hervorholen und dann verbindet sich etwas aus dem eigenen Leben damit.
Es kann auch sein, dass jemand dabei an wichtige Entscheidungen seines Lebens denkt, die er durchhält: "Das ist mir heilig!" - mein Versprechen, das ich meiner Frau, meinem Mann gegeben habe. Der Kirchgang am Sonntag - der ist mir heilig, daran will ich festhalten. Das abendliche Plauderstündchen in unserer Familie, wenn alle wieder von der Alltagsarbeit zurückgekommen sind - das lässt uns an den Erlebnissen, an Freud und Leid des anderen teilnehmen - das verbindet uns letztlich miteinander. Dass ich wenigstens einmal am Tag bete - das ist mir heilig! Ohne dieses kurze Gespräch mit Gott, kann ich nicht leben!
Es sieht so aus, wenn wir diese Beispiele anschauen, als ob wir etwas für heilig erklären, für wichtig und unverzichtbar halten - und dann ist es das auch.
So einfach scheint mir das nicht zu sein. Heilig wird mir etwas nicht allein dadurch, dass ich es dazu erkläre, sondern es bekommt seinen Wert von meinem Glauben her, von Gott her.
Es muss im Leben eines Menschen geschehen, dass ihn Gott selbst anrührt - dann wird ihm plötzlich manches wichtig - "heilig" - und erscheint in einem anderen Licht.
Sich vom Heiligen (Gott) berühren lassen
In Erfurt (und in anderen Großstädten Deutschlands) gibt es seit einiger Zeit eine Initiative junger Leute, die "Nightfever" heißt (der "Tag des Herrn" berichtete vor einiger Zeit davon). Sie ist aus dem Weltjugendtag in Köln hervorgegangen. Jeweils am ersten Samstag eines Monats versammeln sich Menschen zur Anbetung des Allerheiligsten in einer Kirche. Aber das ist es nicht allein.
Einige Jugendliche stehen vor der Kirche und laden andere Jugendliche, die zufällig an der Kirche vorbeikommen und die oft keine Christen sind, ein, einen Augenblick in der Kirche zu verweilen, dort eine Kerze vor dem Allerheiligsten zu entzünden und ein Wort der Hl. Schrift auf einem Zettel mit nach Hause zu nehmen. Das geschieht dadurch, dass jemand aus der Gruppe der verantwortlichen Jugendlichen diese kirchenfremden oder nichtchristlichen Jugendlichen zum Altar durch die Kirche begleitet. Dort macht er stellvertretend für sie eine Kniebeuge vor dem Allerheiligsten.
Man kann dabei erleben, wie Jugendliche, die wohl noch nie in ihrem Leben eine Monstranz mit dem Allerheiligsten gesehen haben, sich zumindest einen Augenblick hinhocken, sich klein machen und mit Interesse hinschauen. Durch leises Sprechen und kleine Hinweise wird zu ihnen vom Heiligen gesprochen, das ihnen hier begegnet. Sie zünden ein Teelicht an (auch dabei hilft ihnen jemand), nehmen dann still das Schriftwort aus einem bereitgestellten Korb, verweilen noch ein wenig in der Kirche oder verlassen sie wieder - immer in Begleitung eines gläubigen Jugendlichen.
Was ist daran beeindruckend? Zum einen, dass junge Menschen, sich einladen lassen, der Mitte unseres Glaubens in einer ihnen angemessenen Weise zu begegnen. Und zum anderen: dass es junge Christen gibt, die es fertig bringen, andere mit dem Heiligen in Berührung zu bringen und ihnen den Weg dahin zu ebnen und ihre Unsicherheit durch ein gutes Weggeleit mit zutragen.
Ich habe den Eindruck: Die Hoffnung dieser Jugendlichen, die diese Anbetung seit längerer Zeit organisieren und vorbereiten ist genau die: Man muss irgendwann einmal mit Gott in Berührung kommen - auf diese oder auf andere Weise; das wird prägen - dazu können wir nur die Wege ebnen.
Verklärung Jesu - Berührung mit der Osterherrlichkeit Jesu
Genau das tut Jesus, indem er Petrus, Jakobus und Johannes im heutigen Evangelium mit auf den Berg nimmt. Dort zeigt er ihnen sozusagen im Voraus seine Osterherrlichkeit: "Er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht." (V2) Und in dieser Erscheinung auf dem Berg wird den Jüngern vom Himmel her deutlich gemacht, wer Jesus ist: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören, " (V5) sagt die Stimme aus der Wolke, die wir als die Stimme Gottes deuten dürfen.
Das alles erschreckt die Jünger zutiefst. Diese Begegnung auf dem Berg löst zunächst Angst, aber auch die Reaktion der Ehrfurcht aus - sie werfen sich mit dem Gesicht zu Boden. Jesus selbst muss sie aufrichten und beruhigen, ja er muss ihnen sicher im Nachklang zu diesem Erlebnis auf dem Berg noch einiges erklären.
Das "Tabor - Erlebnis", wie wir es gern nennen, war eine wichtige und stärkende Gotteserfahrung für diese drei Apostel. Die Erfahrung auf dem Berg sollte ihnen ja helfen, den Weg Jesu durch seine Passion hindurch mitzugehen bis hin zu ihren endgültigen Ostererfahrungen. Das ahnten sie sicher noch nicht. Aber sie haben einen "Berührungspunkt" geschenkt bekommen, die Gegenwart Gottes hat sie erschaudern lassen - und das hat immerhin einiges bewirkt.
Gibt es ähnliche Erlebnisse auch bei uns? Haben wir Erfahrungen von der Nähe Gottes, die uns schaudern lassen - und uns doch tragen und beflügeln? Jeder gläubige Mensch lebt von solchen Berührungspunkten mit Gott, Erfahrungen des Heiligen, die stärken - das möchte ich einfach einmal behaupten.
Liturgie - der heilige Gott unter armseligen Zeichen
Ein wichtiger Ort, wo wir dem heiligen Gott begegnen, ist die Liturgie, der Gottesdienst, der immer wieder viele Menschen zusammenführt. In diesem Zusammenhang gibt es heute einen weit verbreiteten Irrtum, der sich in solchen Sätzen äußert, wie: "Die Messe gibt mir nichts - warum soll ich dann hingehen?" - "Unser Pfarrer predigt schlecht - da schalte ich lieber den Fernseher ein!" Hand auf?s Herz: Denken Sie vielleicht selbst manchmal so? Oder sagen Ihre Kinder vielleicht solche Sätze?
Worin liegt da der Irrtum? Selbstverständlich gibt es schöne und festliche Gottesdienste, die einem zu Herzen gehen - und es gibt andere, die sind eher gewöhnlich, alltäglich - ja armselig.(Das liegt übrigens nicht immer und ausschließlich am Pfarrer, es liegt auch an der manchmal etwas müden Beteiligung oder Nicht-Beteiligung der Mitfeiernden.)
Aber das Entscheidende ist: ein Gottesdienst - sei es die Hl. Messe oder eine Sakramentenspendung (Taufe, Trauung) oder eine Andacht im Kirchenjahr ist zunächst eine Versammlung um den Herrn. Und er ist der, der an uns handelt! Gottesdienst heißt: Gott dient uns - zuerst! Wir können uns nur so gut es geht, dafür öffnen.
Und dieser Gott wirkt an uns in einem festlichen Osterhochamt genauso wie in einer Messfeier auf einer kleinen Station unserer Gemeinde oder bei der Rosenkranzandacht, zu der oft nicht allzu viele versammelt sind. Nicht der Pfarrer, der Vorsteher des Gottesdienstes ist der Wichtigste - es ist und bleibt Gott.
Wir müssen heute sehr darauf achten, dass die Liturgie nicht eine "fromme Veranstaltung" wird, die religiöse Gefühle befriedigt. (Da wären wir mit Recht manchmal enttäuscht!). Liturgie ist zuerst Berührung mit Gott - und das natürlich in Gemeinschaft mit der glaubenden Schwester und dem glaubenden Bruder neben mir. Darum machen wir auch zuerst eine Kniebeuge vor dem Allerheiligsten, wenn wir die Kirche betreten - und dann geben wir vielleicht unserem Banknachbarn die Hand.
Aber bei dieser liturgischen Berührung Gottes darf es nicht bleiben.
Alltag - Begegnungsmöglichkeiten mit dem heiligen Gott suchen und finden
Der Gottesdienst ist immer so etwas wie eine Oase, in der man sich stärken kann für den weiteren Weg. Doch müssen wir Christen auch die Stellen entdecken lernen, wo wir mitten in unserem Alltag Möglichkeiten haben, Gott zu berühren. Wenn wir aus der Sonntagsmesse nach Hause gehen, dann beginnt die "Messe des Lebens" - und die ist nicht weniger wichtig als die liturgische Versammlung. In einem christlich gestalteten Alltag erweist sich erst die Kraft und die Wahrhaftigkeit unseres Gottesdienstes.
Ich meine, es würde sich lohnen, das Abendgebet mit der Frage zu beginnen: Wo bin ich eigentlich an diesem vergangenen Tag Gott begegnet? Wo durfte ich seine Größe, seine Nähe erfahren? Wer so fragt, der fängt an, den eigenen Alltag durchsichtig auf Gott hin zu machen. Ich denke, wenn wir uns diese Sicht angewöhnen, dann werden wir viele Zeichen und Hinweise sehen lernen, die Gott uns schenkt.
Und noch eins können wir leicht tun: Bei bestimmten Gelegenheiten - wenn uns etwas freudig überrascht oder wenn uns etwas schwer fällt oder Sorgen bereitet oder wenn wir uns vor einer bestimmten Aufgabe fürchten - einfach ein kleines Stoßgebet formulieren, das nach Gott sucht, das ihm dankt, ihn um Hilfe bittet. Wiederum wird diese alltägliche Lage, in der wir uns befinden, sofort in seine Gegenwart gerückt: "Herr, ich danke dir!" - "Herr erbarme dich!" - "Komm Heiliger Geist!" - solche Kurzgebete bringen ein neues Licht in den Alltag und heiligen ihn - bringen ihn mit Gott in Berührung. So wird der Gottesdienst in der Kirche wirklich ein Gottesdienst, der weiter geht im Leben.
Die bleibende Aufgabe: Sich selbst und andere Menschen mit dem Heiligen in Berührung bringen (Katechumenat) - der Gottvergessenheit entgegenwirken (Berge suchen!)
Liebe Schwestern und Brüder, wir haben miteinander eine große geistliche Aufgabe bedacht, mit der wir nie am Ende sind. Wenn uns die Fastenzeit jedes Jahr an die Bedeutung unserer Taufe erinnert, dann könnte ein guter Fastenvorsatz dieser sein: ein Mensch zu werden, der für andere die "Berge" (d. h. die Möglichkeiten, die Orte) aufspürt, an denen man Gott begegnen kann.
Es ist ein wirklicher Dienst, einem anderen - seien es die eigenen Kinder oder der eigene Ehepartner oder seien es fremde Menschen, oder nach Gott suchende Menschen - eine Brücke zu Gott zu bauen. Es gehört nur dazu, dass man sich ein wenig ins eigene Herz schauen lässt und etwas zeigt von dem, was einem selbst wichtig ist. Wenn wir andere Menschen mitnehmen auf einen Tabor - dann wirken wir der Gottvergessenheit unserer Tage entgegen und bringen jemanden in Berührung mit dem Heiligen.
Man könnte ein bekanntes Sprichwort nach dieser unserer Besinnung auch so umformulieren: "Sage mir, was dir heilig ist und ich sage dir, wer du bist!" Die Jugendlichen, die die nächtliche Anbetung in der Erfurter Lorenzkirche monatlich vorbereiten, zeigen, was ihnen heilig ist - und sie haben wohl das Evangelium dieses Sonntags und den damit verbundenen Auftrag gut verstanden. Amen.
Fastenpredigten: "Von Christus berührt - den Glauben leben"