Seelsorge mit Pep und Rap

Ein Priester, der in seiner Heimat Ruanda das Evangelium aufsehenerregend verkündet. Er kann sich das auch für Thüringen vorstellen

Bild: Peter Weidemann

Erfurt (BiP). Auf den ersten Blick sieht Jean Francois Uwimana nicht wie ein Rapper aus, auch nicht auf den zweiten, vor allem dann nicht, wenn er in Arnstadt oder Weimar hinter einem Altar steht und die Messe feiert. Doch in seiner Heimat Ruanda ist der 34-Jährige landesweit bekannt – als der rappende Priester. Dass es dazu gekommen ist, verdankt sich der Beharrlichkeit eines Lehrers, einem zufälligen Treffen und dem Bischof von Father Jean Francois. Talent ist natürlich auch im Spiel. Sein jüngstes Youtube-Video heißt „Love-d You“ und zeigt neben dem Priester, natürlich, tanzende Afrikaner. Aber nicht nur sie: Auch das Erfurter Priesterseminar macht mit, zumindest einige seiner Bewohner.

Jean Francois Uwimana lebt seit einem Jahr in Thüringen im Priesterseminar, weil ihn sein Bischof für ein Promotionsstudium nach Deutschland geschickt hat. In seiner wissenschaftlichen Arbeit geht es aber nicht um Musik, sondern um Jugendseelsorge und Digitalisierung. Überhaupt spielte die Musik über lange Jahre seines Lebens eher eine Nebenrolle, obwohl Jean Francois´ musikalisches Talent schon früh erkannt worden war. „Ich war etwa sieben Jahre alt, als ich in der Schule als einziger auf Anhieb die Tonleiter über zwei Oktaven fehlerfrei singen konnte“, erzählt er.

Vom Vater stammt das Musik-Gen nicht. Die Mutter hingegen singt gut und gern und tanzt auch dazu. Ein Bruder verdiente sich als Jugendlicher Taschengeld durch Tanzen. Doch Jean Francois musste immer zu musikalischen Aktivitäten gedrängt werden. Ohne „Push“, wie er sagt, lief da nichts. Musik schien ihm langweilig, anderes viel spannender. Ob nun auf der Grundschule oder auf dem Gymnasium: Basketball, Karate und vor allem Fußball reizten ihn viel mehr. So konnte er auch seinen enormen Bewegungsdrang ausleben. „Ich war kein ruhiges Kind“, sagt Uwimana, der heute noch viel Sport treibt.

Auf dem Gymnasium fiel sein Talent jedoch dem Musik-Lehrer schnell auf, einem Priester, den Jean Francois als einen der bedeutendsten Komponisten Ruandas beschreibt, der erste, der die Musik des Landes in Notenschrift festhielt. Als Monsignore Dominique bei einer Chorprobe mitbekam, dass der neue Schüler quasi vom Blatt fehlerfrei sang, was andere trotz Probe nicht hinbekommen hatten, nahm er ihn sofort in die Band der Schule auf. Jean Francois lernte Keyboard, Orgel (ohne Pedal) und Trompete zu spielen – das meiste im Selbststudium. Nur zur Gitarre fehlte die rechte Lust, da reicht es gerade für ein paar Akkorde, immerhin.

 

Erste Kompositionen in der Schule und im Priesterseminar

Jean Francois hatte nie Schwierigkeiten, zu lernen und sich Neues schnell anzueignen. Ein Schuljahr konnte er sogar überspringen. Als es im vierten Jahr auf dem Gymnasium um die Planung eines Musikprogramms für einen Eltern-Lehrer-Abend ging, drängten ihn die anderen Schüler, das zu übernehmen. „Das schaffst du doch leicht!“ Jean Francois komponierte sein erstes Lied. Später im Priesterseminar sollte sich das mehr als einmal wiederholen. „Du warst doch bei Monsignore Dominique und kannst das. Wir haben jetzt keine Zeit zu üben, aber du bekommst das hin.“ Delegieren ist zwar eine zweifelhafte Methode, Arbeit zu teilen, aber die Seminaristen sollten recht behalten. „An dem Tag habe ich bis zehn Uhr abends an der Orgel gesessen, dann war ein Lied über den heiligen Thomas von Aquin getextet und komponiert.“ Uwimana muss bei der Erinnerung schmunzeln.

Mit Rappen hatte das alles noch nichts zu tun. Dazu bedurfte es zweier Anstöße, als Jean Francois schon zum Priester geweiht war. Zum Ende der Schulzeit hatte er nicht so recht gewusst, wie es weitergehen sollte. Er schwankte zwischen dem Priester- und dem Arztberuf. Nur Soldat, wie es sein Vater gewesen war, wollte er nicht werden, und auch nicht Musiker. Monsignore Dominique, der die Hoffnung auf Jean Francois´ Talententfaltung nie aufgegeben hatte, ermunterte ihn, den geistlichen Weg einzuschlagen. „Dann kannst Du auch deine Musik weiterentwickeln.“ Die Arbeit als Priester faszinierte den jungen Uwimana durchaus, und der gewaltsame Tod des Vaters hatte ihn nachdenklich werden lassen, worauf es im Leben ankommt und was wirklich zählt.

Sein Vater starb 1998, als der elfjährige Jean Francois gerade auf dem Gymnasium war. Vier Jahre zuvor hatte ein grausamer Völkermord mindestens 500.000, wahrscheinlicher sogar 800.000 bis zu einer Million Menschen das Leben gekostet. Wenn Nichtafrikanern etwas zu Ruanda einfällt, dann meist dieses unvorstellbare Gemetzel. Weniger bekannt ist dagegen, dass es auch in den Jahren danach immer wieder zu blutigen Konflikten kam. Und beinahe hätte auch Jean Francois zu den Opfern gehört.

Er hielt sich damals allein mit seinem Vater im Haus auf, als der ihn zu einer Besorgung wegschickte. „Ich war gerade fünf Minuten unterwegs und lief einen Hügel hinauf, als ich plötzlich Schüsse hörte. Dann sah ich schon Leute aus dem Dorf fliehen. Ich bin mit ihnen weggerannt und habe mich versteckt.“ Die Dörfler flohen vor Soldaten, die ins Dorf eingedrungen waren, um sich schossen und mehrere Menschen töteten, darunter auch Vater Uwimana. Zu wem diese Soldateska gehörte, weiß die Familie von Jean Francois, der seinen Vater tot im Haus finden sollte, bis heute nicht. „Wir wissen nicht, wer ihn getötet hat und warum. Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig geweint.“

 

„Den Liedern in der Kirche fehlt etwas“, sagten Jugendliche


Vielleicht muss man von diesen schrecklichen Erlebnissen wissen, um zu verstehen, warum Jean Francois so heftig reagierte, als er nach der Sonntagsmesse auf rappende Jugendliche neben der Kirche stieß. Das war auf seiner ersten Stelle als Kaplan. „Wie könnt ihr nach dem Gottesdienst solche Lieder singen?“, fragte er geradezu entsetzt die jungen Leute, die eben noch mit ihm die Messe gefeiert hatten. In der Tat: Die Botschaft von der Liebe Gottes lässt sich mit den Inhalten von Raps nicht unbedingt in Übereinstimmung bringen. „Die Hauptmerkmale populärer Rap-Inhalte zeichnen sich […] auch durch Verherrlichung von Drogenkonsum, Gewalt sowie Kriminalität, wie dem Ausleben von Trieben und Gefühlen durch (beispielsweise) Rache oder Sex aus.“ (Wikipedia).

Nach Kirchenliedern hört sich das wirklich nicht an. Aber genau hier lag auch das Problem. „Den Liedern in der Kirche fehlt etwas“, antworteten die Jugendlichen. Die seien eher etwas für die Meditation. Sie wollten aber tanzen. Das konnte der Kaplan verstehen. „In Afrika heißt Musik tanzen. Musik ohne Tanz gilt als anstrengend“, erklärt Jean Francois Uwimana. Deshalb würden die Texte von Liedern weitaus weniger interessieren als die Möglichkeit, sich zu den Rhythmen zu bewegen.

Zuvor schon hatte der Bischof von Jean Francois darüber nachgedacht und seine jungen Priester aufgefordert, kurze und moderne Lieder zu schaffen. Obwohl er selbst nichts von Musik versteht, hatte der Bischof gemerkt, „dass die Lieder und langen Litaneien in unseren Gottesdiensten besonders für junge Leute weniger attraktiv sind“, sagte er seinem priesterlichen Nachwuchs. Das wollte er geändert wissen.

Kaplan Jean Francois, der an zwei Schulen neben Religion auch Musik unterrichtete, machte sich an die Arbeit und schrieb seinen ersten Rap „Beten“. „Ich bete wie ein Mann / ich bete wie eine Frau“ heißen die ersten Zeilen des Sprechgesangs, von dem der Bischof bei der nächsten Priesterkonferenz sagte: „So müsst ihr es machen.“ Was dann aber folgen sollte, konnte auch der Bischof nicht voraussehen.

 

„Beten“ löste Medien-Tsunami aus


Uwimana hatte seinen Rap als Audio-Datei in einem Studio aufgezeichnet. Als er einen Bekannten aus Studienzeiten traf und auf die Frage „Was gibt´s Neues?“ von seinem Rap erzählte, stieß Jean Francois auf sehr offene Ohren. Denn der Bekannte arbeitete als Journalist und verbreitete ungebeten den Rap im Radio, was geradezu einen Medien-Tsunami auslöste. In Ruanda erschien es bis dahin unvorstellbar, dass ein Priester einen Rap-Song singt. Hätte der Papst mit Lady Gaga Weihnachtslieder aufgenommen, wäre die Erregung nicht größer gewesen. „Ich weiß gar nicht, wie viele Interviews ich geben musste“, sagt Jean Francois, „aber die erste Frage lautete immer: Wie kann man Priester werden und Rap-Musik machen?“

Doch nicht nur bei der Jugend kam der christliche Rap gut an und wurde landauf, landab im Radio gespielt. Der ungewohnte Medienrummel ging Jean Francois zwar auf die Nerven. Als aber Stimmen aufkamen, die von einer Eintagsfliege sprachen, ließ er sich herausfordern und komponierte innerhalb eines halben Jahres acht weitere Songs. Schließlich gab er sein erstes Konzert in Kigali, der Hauptstadt Ruandas. Besucher aus Deutschland, die ihn dort hörten, luden ihn 2016 zum Afrika-Festival nach Bad Neustadt ein. Im gleichen Jahr ging es zum Weltjugendtag nach Krakau und 2018 nach Kanada. Dort ermunterten ihn Freunde, seinen eigenen Youtube-Kanal „Ultra JFU“ einzurichten, damit seine Stücke nicht im ganzen Netz verstreut sind und Dritte mit seiner Musik Kasse machen.

Jean Francois singt auf Englisch, Französisch, Kinyarwanda, der Landessprache Ruandas, und Kiswahili, einer weit verbreiteten afrikanischen Sprache. Diese Vielsprachigkeit trägt zur Popularität seiner Musik bei. Noch entscheidender dürfte sein, dass er zwar als rappender Priester bekannt wurde, dennoch in mehreren Musikstilen unterwegs ist, oftmals in einem Stück kombiniert, wie etwa in „Araturinda“. Uwimana spricht selbst von „Rap-Musik (aber inhaltlich wie ein Gospel), Reggae, Couh und ein bisschen auch afrikanische Klassik.“ Alles tanzbar. Da er seine Videos selber finanziert, singt er nicht nur das Solo, sondern auch die Background-Stimmen, die technisch zu einem Chor verschmolzen werden.

Und das alles, weil er jungen Leuten in seinem Land helfen wollte, bessere Songs zu haben. Jetzt ist Jean Francois Uwimana in Deutschland und bereitet seine Promotion in Pastoraltheologie vor. Damit hätte er eigentlich genug zu tun, aber sobald er sich nicht nur als Priester, sondern auch als Musiker outet, stößt er auf großes Interesse und Lust, mit ihm gemeinsam Musik zu machen. So entstand das Video „Love-d you“, in dem nicht nur Afrikaner, sondern auch deutsche Mitbewohner aus dem Priesterseminar tanzen. In Ruanda war es bereits etliche Male im Fernsehen zu sehen. Weitere Pläne gibt es auch schon: Weil sich Jean Francois deutsche Gottesdienste ein wenig bewegter vorstellen kann, hofft er, einmal einen deutschen Song aufnehmen zu können à la „Imana nisingizwe mu ijuru! – Ehre sei Gott in der Höhe!“ Natürlich gerappt und gut zu tanzen.

Father Jean Francois Uwimana in Priesterkleidung am Arbeitsplatz in seinem Zimmer im Regional-Priesterseminar Erfurt  

Father Jean Francois Uwimana in Priesterkleidung am Arbeitsplatz in seinem Zimmer und in der Kapelle im Regional-Priesterseminar Erfurt

   

Father Jean Francois Uwimana an der Orgel der Kapelle des Regional-Priesterseminars Erfurt

Father Jean Francois Uwimana am Ambo (Lesepult) in der Kapelle des Regional-Priesterseminars Erfurt  

Father Jean Francois Uwimana am Ambo (Lesepult) in der Kapelle und im Garten des Regional-Priesterseminars Erfurt
 

Fotos: Peter Weidemann