Politiker und die Werke der Barmherzigkeit

Ansprache von Bischof Joachim Wanke beim Elisabethempfang

Ansprache von Bischof Joachim Wanke beim Elisabethempfang...

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Sehr geehrte Damen und Herren,

am vergangenen Samstag habe ich zusammen mit ehrenamtlich Tätigen aus unseren Pfarrgemeinden das Elisabethjahr für das Bistum Erfurt mit einem Gottesdienst im Dom feierlich eröffnet.



1. Einem Menschen sagen: Du gehörst dazu...


Ein Kennzeichen unseres politischen Lebens ist manchmal die schnelle Ausgrenzung, das Lagerdenken. Es fällt positiv auf, wenn man einem Politiker anmerkt: Da agiert nicht nur ein Parteisoldat, nicht nur ein Lobby- oder Verbandsvertreter. Da denkt einer über die Sache nach, um die es geht - und anerkennt jene, die in anderen Fraktionen sich auch mit sachlichen Argumenten zu Wort melden. Das Signal: "Du gehörst dazu...", "Du bist mir, du bist uns wichtig....!" als wertvolle Stimme im gesellschaftlichen Gesamtgespräch, das wäre hilfreich und förderlich.


Ich lese aus diesem Wort auch die Einladung, die Randgruppen der Gesellschaft, gerade jene, die sich mit den Modernisierungsschüben in der Gesellschaft schwer tun, im Blick zu behalten. Ich wiederhole, was ich an dieser Stelle sinngemäß schon oft gesagt habe: Der Wert einer Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern umgeht, den Ungeborenen, den psychisch Kranken, den Ausländern, den Alten...



2. Ich höre dir zu...


Auch Politiker können, da bin ich mir sicher. Aber hören wir nur das, was wir wollen, was uns passt? Achten wir auch auf die Untertöne, die Hintergrundmelodie? Natürlich: Die Kontroverse und der Streit um die besten Lösungen muss sein. Aber auf Dauer wird wohl jener an Gewicht gewinnen, der den anderen wirklich bei dem abholt, was er eigentlich meint. Und der sich nicht zu schade ist, auch einmal politischen Rat anzunehmen. Eben das setzt Zuhören-Können voraus.



3. Ich rede gut über dich...


In Zeiten der großen Koalition mag das leichter sein als sonst. Aber auch unabhängig von dieser Konstellation, die ja in der Demokratie meist nur eine Durchgangsphase ist, braucht es die Grundeinstellung der Hochschätzung des anderen, auch des politischen Gegners oder des unbequemen eigenen Parteifreundes. Ich rede hier nicht einem naiven "Gutmenschentum" das Wort. Aber das ist offensichtlich: Man kann seine eigene Meinung auf unterschiedliche Weise dem anderen vermitteln. Wer sie ihm nur um die Ohren haut, wird sich demnächst im Parlament einen Sturzhelm aufsetzen müssen.



4. Ich gehe ein Stück mit dir...


Vielen ist mit einem guten Rat allein nicht geholfen. Es bedarf in der komplizierten Welt von heute oft einer Anfangshilfe, gleichsam eines Mitgehens der ersten Schritte, bis der andere Kraft und Mut hat, allein weiterzugehen. Die Zielrichtung dieses Werkes der Barmherzigkeit geht auf Ermutigung: "Du schaffst das! Komm, ich helfe dir beim Start!" Unsere Sozialarbeiter der Caritas wissen, wovon ich rede. Ich wünsche mir Männer und Frauen in der Politik, die, wenn sie Gesetze machen, auch daran denken, wie Menschen damit zurechtkommen.


Umgekehrt heißt das aber auch: Ich kann loslassen, wenn meine Hilfe nicht notwendig ist. Ich konzentriere mich auf das Notwendige.


Und nicht zuletzt: Wer den Wegcharakter des politischen Handelns verinnerlicht, der wird sich trotz aller Kurzatmigkeit um nachhaltige Ansätze in Politik und Gesellschaft mühen. Es ehrt einen politisch Handelnden (auch einen Bischof), wenn er sich ab und zu einmal fragt: Wie kann es nach mir gut weitergehen?



5. Ich teile mit dir...


Es wird auch in Zukunft keine vollkommene Gerechtigkeit auf Erden geben. Es braucht Hilfe für jene, die sich selbst nicht helfen können. Das Teilen von Geld und Gaben, von Möglichkeiten und Chancen wird in einer Welt noch so perfekter Fürsorge notwendig bleiben.


Gute Politik tritt für gesellschaftliche Rahmenbedingungen ein, die den Menschen das Nötigste zum Leben gewährleistet. In dieser Hinsicht lohnt es sich, vielleicht auch über das "Bürgergeld" nachzudenken.


Gute Politik tritt ein für Beteiligungsgerechtigkeit hier und heute und für sichere Beteiligungschancen nachfolgender Generationen.

"Prekariat" oder Unterschicht - das sind höchst fragwürdige Begriffe, aber sie sind nicht so etwas wie ein unveränderlich gültiges Naturgesetz!



6. Ich besuche dich...


Meine Erfahrung ist: Den anderen in seinem Zuhause aufsuchen ist besser als darauf warten, dass er zu mir kommt. Ich weiß, wie wichtig Ihnen z. B. die Kreisbereisungen sind, die Besuche vor Ort. Darin möchte ich Sie bestärken. Ein Besuch schafft Gemeinsamkeit. Er holt den anderen dort ab, wo er sich sicher und stark fühlt.


Zudem, ein Abgeordneter, ein Minister oder Staatssekretär macht sich durch Vor-Ort-Kontakte mit der Realität unseres Gemeinwesens vertraut. Er hilft sich selbst, diese Realität zu eigenen Ansprüchen und politischen Zielen in Beziehung zu bringen. Und wenn das dann noch einer oder eine nach (!) Wahlen praktiziert - alle Achtung!


7. Ich bete für dich...


Kann ich das Politikern empfehlen? Ich meine Ja. Wohl dem, der das kann. Er muss dann nicht meinen, alles tragen, alles regeln, alles verbessern zu können. Wer betet, erkennt Grenzen an. Er bleibt demütig.


Und zudem zeigt die Erfahrung: Wer für andere betet, schaut auf sie mit anderen Augen. Er begegnet ihnen anders. Auch Nichtchristen sind dankbar, wenn ich Ihnen versichere, dass ich sie in mein Beten einschließe. Tun wir es füreinander, gerade dort, wo es Spannungen gibt, wo Beziehungen brüchig werden, wo Worte manchmal nichts mehr ausrichten. Gottes Barmherzigkeit ist größer als unsere Rat- und Hilflosigkeiten.


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Sehr geehrte Damen und Herren,

auf dem Hintergrund dieses Versuches, die Werke der Barmherzigkeit angesichts Ihres politischen Alltags durchzubuchstabieren, möchte ich einige aktuelle Themen noch kurz ansprechen:



1. Ich sage Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, dass grundsätzlichen politischen Entscheidungen in Form von Gesetzen oder Verordnungen getroffene Werteentscheidungen vorausgehen.

Mir erscheint es wichtig, dass diese sowohl im Verfahren einer Gesetzgebung als auch in der Umsetzung erkennbar gemacht werden.

Das gilt nicht nur für die großen politischen Themen wie für die Zukunft des Sozialstaates, deren große Säulen ohne grundlegende Veränderungen und tief greifende Korrekturen nicht weiter tragfähig sind. (Nicht ohne Grund wächst ja der Zweifel an der Nachhaltigkeit der aktuellen Reformen der Arbeitslosen- und Krankenversicherung.)


Das Verdeutlichen von Werteentscheidungen bei grundlegenden gesetzlichen Entscheidungen gilt auch auf Landesebene, etwa bei der Thüringer Familienoffensive, die wir kirchlicherseits auch weiterhin unterstützen. Sie setzt bei der Entscheidungsfreiheit der Familien hinsichtlich der Kinderbetreuung an und eröffnet Wahlmöglichkeiten.

(Das tragische, schlimme Ereignis von Emsdetten zeigt uns, wie fundamental für einen jungen Menschen die Erfahrung von Nähe, Zuwendung und Anerkennung ist.)

Der familienpolitische Ansatz geht sowohl von der Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern als auch von der Ermöglichung der Wahlfreiheit im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus.

Allerdings mit Blick auf die Kommunalisierung von Landesaufgaben, etwa im Kindertagesstättenbereich, wünsche ich mir bei der Umsetzung ein zeitgleiches Problembewusstsein bei Land und Kommunen - sowohl, was die oben genannte Wertentscheidung als auch, was das Verständnis der Rechte eines freien kirchlichen Kindergartenträgers betrifft.



2. Erlauben Sie mir auch eine Anmerkung zum Thüringer Ladenschlussgesetz in Verbindung mit dem Sonn- und Feiertagsschutz. Das Gesetz soll ja in dieser Woche im Landtag verabschiedet werden.

Die Einbeziehung des bestehenden Ladenschlussgesetzes in die Föderalismusreform und die damit verbundene Ü;bertragung der Regelung auf die einzelnen Länder erweist sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Nachteil für den Sonn- und Feiertagsschutz. Die Bundesländer überbieten sich gegenseitig bei der Ladenöffnung, beim Sonntagsschutz unterbieten sie sich.


Wegen der religiösen Bedeutung des Sonntags, aber auch der gesellschaftlichen und sozialpolitischen Bedeutung haben sich die Kirchen seit jeher mit Nachdruck für die im Grundgesetz garantierte allgemeine Sonntagsruhe eingesetzt. Der Sonntag, der Urfeiertag der Christen, ist für den Einzelnen und die Gemeinschaft, insbesondere für die Familien, der Tag der Besinnung und des Miteinanders. Weder wirtschaftliche Interessen noch verändertes Freizeitverhalten in Teilen der Gesellschaft rechtfertigen eine Aushöhlung und Beschädigung dieses kulturellen und religiösen Wertes.


Bezüglich einer Schutzzone um die Sonn- und Feiertage gibt es aus Thüringen durchaus positive Signale, die ich ausdrücklich verstärken möchte. Ich hoffe jedoch, dass die Sonn- und Feiertage im Gesetz ausreichend geschützt bleiben und auch auf die Möglichkeit der Öffnung der Adventssonntage durch den Gesetzgeber verzichtet wird.



3. Bezüglich eines Aufenthaltsrechts für langjährig geduldete Flüchtlinge haben die Innenminister von Bund und Ländern letzte Woche getagt.

Ich hoffe, dass es wirklich erfahrbar gelingt, dass ausländische Familien mit minderjährigen Kindern, die sich bereits über viele Jahre in Deutschland aufhalten - unter Berücksichtigung ihrer Integrationsbemühungen sowie der Möglichkeit eines eigenen Einkommens - doch ein Bleiberecht erhalten.

Doch Forderungen wie die nach einer Arbeitsaufnahme bis September 2007 müssen für die Betroffenen - gerade in den neuen Bundesländern - realistisch bleiben.



4. Als letzten Punkt möchte ich den Thüringer Bildungsplan ansprechen, der für eine zweijährige Erprobungsphase verabschiedet worden ist. Er soll (nach dem Kita-Gesetz) die Grundlage für die gesamte Arbeit der Kindertageseinrichtungen und der Schulen mit den bis 10-jährigen Kindern sein.


Ü;ber einen Beirat war die Mitarbeit der Kirchen erwünscht. Jedoch ist bisher das Anliegen einer religiösen Bildung und Erziehung im Sinn eines ganzheitlichen Bildungsbegriffes nicht adäquat zum Tragen gekommen. Ich hoffe nun auf die notwendigen Nachbesserungen, so dass wir am Ende nicht hinter einen bisher unstrittigen Konsens zurückfallen.



Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld. Es bleibt mir nur noch, Ihnen einen guten Abend zu wünschen und eine herzliche Einladung auszusprechen zu Begegnung, Gespräch und zur leiblichen Stärkung im gegenüberliegenden Martinshaus.

Für Politiker. Der Erfurter Bischof lädt Politiker aus Thüringen zum Elisabethempfang