Osterpredigt von Bischof Joachim Wanke

Gehalten am Ostersonntag 2002 über die Lesung aus dem Kolosserbrief (3,1-4)

Wer A sagt, muß auch B sagen, sagt eine bekannte Spruchweisheit. Die Erfahrung lehrt uns, dass bestimmte Dinge nicht ohne ihre Folgewirkungen zu haben sind. Dass einem das nicht immer passt, verändert nichts an der Gültigkeit dieser Feststellung.

Wer mit der Bundesbahn auf Reisen geht, hat mit Verspätungen zu rechnen. (Gottlob: nicht immer!). Wer die Weiterqualifizierung verweigert, muß dann auch die negativen Konsequenzen für seine Arbeitschancen in Kauf nehmen. Wer meint, mit Tricks und Lügen durch Leben zu kommen, muß damit rechnen, dass ihn irgendwann einmal die Wirklichkeit einholt. Es gibt Weichenstellungen, die unwiederruflich die Züge in eine andere Richtung fahren lassen, auch wenn man das im Augenblick gar nicht beabsichtigt.


Ich erinnere an diese menschliche Erfahrung, weil ich unseren Blick auf den Text der österlichen Lesung aus dem Kolosserbrief lenken will (vgl. Kol 3,1-4). Der Apostel ist von der gleichen Logik bewegt, an die ich eben erinnert habe: Wer A sagt, nämlich: Ich bin mit Christus auferweckt, der muß auch B sagen, nämlich: Das hat für mein Leben Folgen, die ich zu beachten habe. Genau davon will unser Text reden. Es gibt keine unverbindliche Auferstehungsbotschaft. Es gibt nur Auferstehung mit einschneidenden Konsequenzen - für hier und heute, für mich als einzelnem Gläubigen wie für die Gemeinschaft der Glaubenden insgesamt.


In der früheren DDR gab es diese humorige Sentenz (ich gebe zu: sie ist etwas bissig): "Das wäre ideal: Arbeiten wie in Karl-Marx-Stadt - und leben wie in Düsseldorf!" Nach der Wende hat sich das Utopische an diesem frommen Wunsch sehr schnell gezeigt. Das Fernseh-Bild vom Westens ist uns Ostdeutschen sehr bald entmythologisiert worden. Die neue Freiheit hatte ihren Preis, für manche sogar einen hohen Preis, wenn ich an so manche Verwerfungen in beruflichen Biographien denke. Die Freiheit ist nicht zum Null-Tarif zu haben. Schnell haben wir diese Lektion gelernt und versuchen nun, so gut es eben geht, auch B zu sagen zu dem, was wir ja eigentlich auch gewollt, ja aktiv mit herbeigeführt haben.


Ich vergleiche einmal diese uns noch so frische Erfahrung mit dem, was dieser frühchristliche Text uns nahe bringen will. Die Argumentation des Apostels hat - zumindest formal - die gleiche Zielrichtung wie die Bekräftigung jener Lebenshaltung, die wir jetzt in der neuen Wirklichkeit der offen, liberalen Gesellschaft der Bundesrepublik in uns ausprägen müssen: Ihr seid nun in der Freiheit! So lebt auch wie Freie! Ihr könnt nicht mehr damit rechnen, dass euch ein fürsorglicher Staat an die Hand nimmt und euch von der Kinderkrippe bis hin zum Rentenalter betreut. Ihr, die ihr zur Wende und zur Wiedervereinigung A gesagt habt, müßt nun auch B sagen zu einem Leben in größerer Eigenverantwortlichkeit.


Den Vergleich, den ich hier ziehe, ist nicht ungefährlich. Naürlich muß es auch in der offenen, freien Gesellschaft staatliche Fürsorge geben. Das stelle ich nicht in Frage. Ich will nur aufmerksam machen, dass unser Reden von der Auferstehung Christi und die uns mit der Taufe geschenkte neue Lebenswirklichkeit vergleichbare Konsequenzen hat, wie sie uns im Systemwechsel von der alten DDR mit ihrer Indoktrination und gesellschaftlichen Gängelei hin zur Bundesrepublik und ihrer freiheitlichen, aber eben auch anspruchsvollen Ordnung zugemutet werden.


Was sagt uns der Text aus dem Kolosserbrief? Ihr seid mit Christus auferweckt, so lebt auch dieser neuen Wirklichkeit entsprechend!


Der Verfasser drückt es mit diesen Worten aus: "Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!" Das ist freilich nicht in dem Sinn zu verstehen, als ob wir Christen nun weltflüchtige Himmelsgucker werden sollen. Im Gegenteil: Der Auferstehungsglaube richtet unser Augenmerk sehr konkret auf diese Erde und auf das, was auf ihr, durch uns und in unserer Mitte geschieht.


Man muß den nachfolgenden Text dazu im Blick haben, der heute nicht mitgelesen wurde (vgl. Kol 3,5-17): Dort ist dann sehr konkret davon die Rede, was das heißt: Das Irdische in uns töten. Da ist von der Ü;berwindung der Unzucht die Rede, der Schamlosigkeit, der Leidenschaften und bösen Begierden, der Habsucht, des Zornes und aller Sorten von Bosheit. Da geht es um ein Leben ohne Lüge und positiv um ein Leben, das sich mit Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde und Güte wie mit einem neuen Kleid umgibt. Das könnte auch ein Bischof im 21. Jahrhundert seinen Gemeinden schreiben (und ich denke daran, was da manchmal an Beschwerden auf meinen Scheibtisch kommt!): "Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In euren Herzen herrsche der Friede Christi...!"


Wer A sagt, muß auch B sagen. Wir können heute nicht Osterlieder singen und morgen so tun, als habe sich für uns nichts geändert. Die Auferstehung will sich im Leben ausweisen. Sie will dort in einem neuen Lebensstil, in einem veränderten Verhalten ihre Wirkung entfalten. Das ist die eindringliche Mahnung des Apostels, die es heute zu hören gilt.


Ist uns also, im Blick auf unsere Schwäche und anhaltende Sündigkeit der österliche Jubel verboten? Das ist das Großartige an unserem Text: Obwohl er Moral enthält, ist er nicht moralinsauer! Der Apostel setzt vor seine Mahnung das Positive. Er redet erst davon, was Gott mit uns gemacht hat. "Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen!" das sagt er denen, denen er gleich danach wegen Unzucht, Habgier und sonstigen Bosheiten ins Gewissen reden muß. Es ist merkwürdig: Das Christentum ist eine unverbesserlich optimistische Religion. Sie glaubt an den Menschen, aber eben nicht, weil der Mensch gut ist, sondern weil er zum Guten die besten Voraussetzungen geschenkt bekommen hat: Gottes Erbarmen, seine Vergebung, seine unbegreifliche Liebe, die sich uns am Kreuz Christi enthüllt hat.


Das Christentum hat Moral, aber es ist nicht Moral. Es ist zunächst und vor allem die Botschaft von der Neuschaffung des Menschen in einer Wende, die Gott selbst herbeigeführt hat. Er hat uns "ausgesiedelt" (bewußt gebrauche ich einmal dieses Wort!) aus dem Reich der Sünde und des Todes in den Machtbereich seiner Liebe, in dem freilich nun andere Gesetzmäßigkeiten herrschen als damals, als wir noch unter der Knute der Sünde waren.


Ich wage nochmals den Vergleich: Wer getauft ist und dennoch weiterlebt wie der alte Adam in ihm es gerne will, der lebt wie einer, der noch die alten DDR-Mentalitäten pflegt, obwohl die Welt um ihn herum eine andere geworden ist.


Vergleiche hinken. Ich gebe es zu. Aber sie lassen auch etwas aufleuchten an Einsicht, was sonst nur als fromme Rede zum einen Ohr hineingeht und zum anderen gleich wieder heraus.


"Lebt die neue Freiheit!" Wenn ich das so sage, ist dieser Aufruf in seiner Bedeutung durchaus doppelsinnig. Man kann ihn politisch verstehen, aber eben auch religiös. Nun ist die Bundesrepublik durchaus kein Paradies, und die Erbsünde ist in ihr wie in allen gesellschaftlichen Gebilden auch weiterhin kräftig am Wirken. Um das zu wissen, brauche ich keine Aufklärung durch Skandalberichte. In diesem Tatbestand hinkt also mein Vergleich. Aber eines ist mir gewiß: Wenn nicht die Mehrzahl aller Menschen in unserer Gesellschaft die uns allen geschenkte Freiheit nicht durch verantwortliches Handeln ausfüllt, wenn in unserer Mitte nicht der Sinn für das Gemeinwohl erhalten bleibt, der Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung, für das menschliche Leben, für das Leben der kommenden Generation - dann haben wir die Freiheit umsonst errungen. Dann nützt uns auch das beste Grundgesetzt aller Zeiten nichts. Es bleibt Makulatur.


Ist es vermessen, dies auf die Auferstehungsbotschaft des heutigen Tages zu übertragen? Lebt das von Gott geschenkte und in der Taufe euch zugesprochene neue Leben! An anderer Stelle sagt Paulus einmal: "Zur Freiheit hat euch Christus befreit. Bleibt daher fest und laßt euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!" (Gal 5,1). Jede Tat, die in uns und zwischen uns der Liebe Raum gibt, die die Selbstsucht überwindet, die sich der Vergeltung des Bösen verweigert, die Versöhnung zum Zuge kommen läßt, ist eine Tat der Auferstehung.


Wir erleben in diesen Tagen wieder eindringlich, welche Macht das unerlöste Leben über Menschen hat: Gewalt im Heiligen Land, unermeßliches Leid an vielen Orten der Welt, verursacht durch Einzeltaten, verursacht durch sündige Strukturen. Die Auferstehungsbotschaft muß noch viele Herzen erreichen. Aber bevor wir über das klagen, was wir doch nicht ändern können, fangen wir mit der Auferstehung, sprich: mit einem ihr entsprechenden Leben bei uns an! Laßt uns nicht nur Ostern feiern - laßt uns österlich leben! Amen.



link