Ohne die Leidensgeschichte kein Ostern

Predigt von Weihbischof Reinhard Hauke für den Palmsonntag 2020 - auch als Podcast

Bild: Christine Limmer; In: Pfarrbriefservice.de

Tagesgebet:

Allmächtiger, ewiger Gott,
deinem Willen gehorsam, hat unser Erlöser Fleisch angenommen, er hat sich selbst erniedrigt und sich unter die Schmach des Kreuzes gebeugt.
Hilf uns, dass wir ihm auf dem Weg des Leidens nachfolgen und an seiner Auferstehung Anteil erlangen. Darum bitten wir durch ihn, Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn und Gott, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in Ewigkeit. Amen.


Predigt: Mit Christus sterben und auferstehen


Was passiert, wenn man nur sonntags zur Kirche geht? Ich bin schon sehr froh, wenn Eltern mit ihren Kindern oder auch Erwachsene, Jugendliche und Kinder allein sonntags zur Kirche gehen, aber werden wir das auch in der kommenden Woche tun? Dann würden wir am Palmsonntag im Gottesdienst eigentlich vom siegreichen Einzug Jesu in Jerusalem hören und am Ostersonntag von der Auferstehung Jesu von den Toten. Da wird jeder sagen: Hier fehlt doch was? Wie kann Jesus von den Toten auferstehen, wenn er gerade vom Volk in Jerusalem mit Jubel empfangen wurde? Aus diesem Grund haben die Verantwortlichen für die liturgische Gestaltung der Karwoche schon vor langer Zeit am Palmsonntag die Lesung der Passion angeordnet. In diesem Jahr ist es die Matthäus-Passion, die wir hören oder lesen. Auch deutet die rote liturgische Farbe auf das Leiden Jesu schon am Palmsonntag hin, obwohl eigentlich die weiße Farbe wegen des Jubels angebracht wäre.


Ich bin sicher: Um Ostern zu verstehen, braucht es das Wissen um das Leiden und Sterben Jesu.
Ich rede jetzt als Christ. Andere Zeitgenossen brauchen zur Gestaltung dieser Tage weder die Passion noch die Auferstehungsbotschaft. Vielleicht genügen das Ostereiersuchen, das gute Essen und der Schoko-Osterhase an diesem Osterfest 2020. Vielleicht wird das wieder teilweise so sein wie jedes Jahr, aber doch anders – sowohl bei Christen als auch bei Nichtchristen. Die Festtage in den Familien werden vermutlich nur im kleinen Kreis der Hausgemeinschaft stattfinden.  Vielleicht gelingt der gute Braten – ich wünsche es der Hausfrau von Herzen! Ich wünsche mir aber auch, dass es gelingt, durch das Glockenläuten aller Kirchenglocken am Ostertag um 10.00 Uhr und besonders der Gloriosa in Erfurt am Ostersonntag um 10.50 Uhr das Besondere des Tages anzukündigen und zum Nachdenken anzuregen. In den gestreamten oder auch in den anderen Gottesdiensten, die von öffentlich rechtlichen Fernsehsendern übertragen werden, wird es die Auskunft darüber geben, was Grund ist für unsere christliche Freude am Ostersonntag und eigentlich an jedem Sonntag.  


Das Glockenläuten ist ein Wachrütteln unserer Herzen. Es ist eigentlich zweckfrei, denn man produziert damit nichts. Mancher fühlt sich vielleicht auch belästigt durch den lauten Klang am Sonntagsvormittag. Es ist das kraftvolle Schwingen von gegossenem Metall, das aber doch in die Herzen dringt und dort Schwingungen erzeugen kann. Freude und Leid werden mit dem Glockenklang zum Ausdruck gebracht. Das Schweigen der Glocken in der katholischen Kirche von Gründonnerstag ab dem Gloria bis zum Gloria in der Osternacht ist für mich beklemmend wie die Tatsache, dass in diesem Jahr der Glockenklang lediglich mitteilt, dass Gottesdienst gefeiert wird, wenn auch ohne das gläubige Gottesvolk. Irgendwie ist daher schon mehrere Tage das Gefühl des Karfreitags und Karsamstags in mir. Der Glockenklang hellt alles etwas auf. Wir spüren das Sterben und den Tod Jesu stärker als seine Auferstehung.


Wenn wir wieder mit allen Gläubigen Gottesdienst feiern dürfen, dann ist die Osterfreude mit Sicherheit da und die Freude wird durch kräftiges Glockenläuten ausgedrückt. Wir spüren die Freude dann wohl noch umso mehr, weil wir jetzt das Leid heftig spüren. So erscheinen mir Leid und Freude zu korrespondieren, sich gegenseitig zu bedingen und herauszufordern. So ist nicht die Freude des Einzugs Jesu in Jerusalem die Parallelerzählung zum Osterevangelium, sondern die Passionsgeschichte.


Wenn es nicht möglich ist, im Gottesdienst die Passionsgeschichte zu lesen, kann man sie selbst zu Hause lesen – vielleicht sogar in verteilten Rollen, wie es oft in der Kirche an diesem Palmsonntag praktiziert wird. Vielleicht kann die Familie auch eine gute Verfilmung des Lebens Jesu anschauen, in der die Passion dargestellt wird. Immer ist es zu empfehlen, den biblischen Text daneben zu legen, denn er ist besser als jede Verfilmung, die ja das Äußerliche darstellen muss und nur wenig zum Ausdruck bringen kann, welche innere Dramatik in diesen Ereignissen steckt. Vom eigenen Volk zum Tode verurteilt werden, nachdem man noch wenige Tage zuvor in Jubel über das Kommen des Messias ausgebrochen ist – das hat seine eigene Spannung.


Die Einsamkeit Jesu nachspüren, der von einem Freund verraten und von einem anderen verleugnet wird. Die Trauer erkennen, die der Gekreuzigte in sich trägt, der am Kreuz lediglich nur noch einen seiner Jünger, seine Mutter, Maria Magdalena, zwei Mörder und ein paar Neugierige um sich hat.


Die Musik der großen Meister wie Johann Sebastian Bach konnten mit ihrer Kunst bisweilen auch das Innere zum Ausdruck bringen. So kann auch das Hören der Johannes-, Markus oder Matthäuspassion dieses Komponisten zu einer tieferen Einsicht führen, die der Film vermutlich nur ungenügend ermöglichen kann. Ich bin sicher, dass in diesen Kompositionen immer schon das Osterlicht zu erkennen ist. Auch das Altargemälde mit der Darstellung der Kreuzigung Jesu im Erfurter Dom hat eine Lichtquelle, die nur das österliche Licht vom Himmel her sein kann. Wir schauen nicht in einer Schockstarre auf das Leiden und Sterben Jesu. Wir erkennen das österliche Licht, wenn wir die Worte der Evangelisten lesen und hören, denn die Evangelisten waren keine Chronisten, denen es ausschließlich um die exakte Widergabe der Ereignisse ging, sondern waren Zeugen für Jesus Christus, der im Leiden und Sterben bewiesen hat, wie ernst es ihm mit uns war.


Ich lade dazu ein, am Palmsonntag den Jubel mit gemischtem Gefühl zu hören und das Evangelium der Passion dazuzulegen. Wir schaffen die Verbindung zwischen dem Einzug Jesu in Jerusalem und der Passion, wenn wir die Tradition pflegen, die Zweige von der Palmsonntagsliturgie hinter das Kreuz zu stecken. Vielleicht ist es Ihnen möglich, auch in diesem Jahr solche gesegneten Zweige zu bekommen. Im Erfurter Dom werden wir sie nach der Liturgie, die der Bischof mit dem Domkapitel hinter verschlossenen Türen gefeiert hat,  für Interessenten auslegen. Wer dazu nicht die Möglichkeit hat, sollte selbst Zweige suchen und ein freies Segensgebet darüber sprechen, in dem es wie in der Liturgie des Palmsonntag heißt:

Allmächtiger, ewiger Gott, segne diese Zweige, die Zeichen des Lebens und des Sieges,
mit denen wir Christus, unserem König, huldigen.
Mit Lobgesängen begleiten wir ihn in seine heilige Stadt;
gib, dass wir durch ihn zum himmlischen Jerusalem gelangen,
der mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Ame
n.

Fürbitten:
-    Wir beten für alle, die sich in diesen Tagen zur Rettung von Gesundheit und Leben einsetzen. Belohne sie mit deinem Segen.
-    Wir beten für alle Politiker, die wichtiger Entscheidungen zum Wohl der Völker zu fällen haben: Gib ihnen die Kraft zur Unterscheidung der Geister, die sie beeinflussen wollen.


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Die Predigt gibt es auch als Podcast