"Nicht Präventivkrieg, sondern Kriegsprävention - friedensethische Ü;berlegungen in der aktuellen Diskussion", so lautete das Thema eines medienöffentlichen Hintergrundgespräches, zu dem das Katholische und das Evangelische Büro Thüringer Abgeordnete des Bundes- und Landtages sowie Vertreter der Landesregierung für Dienstag, 18. Februar 2003 in das Erfurter Priesterseminar eingeladen hatten. Als Referenten führten der evangelische Landesbischof Christoph Kähler und der katholische Bischof Joachim Wanke in die Thematik ein.
Im Folgenden ist das Referat von Bischof Wanke dokumentiert:
Einleitung:
Gleichsam die aktuelle Entwicklung in den letzten Wochen voraussehend, stand der diesjährige Weltfriedenstag am 01. Januar unter dem Leitwort "Pacem in terris: Eine bleibende Aufgabe".
Denn in diesem Jahr jährt sich zum 40. Mal der Tag der Veröffentlichung von "Pacem in terris", eine der bedeutendsten Sozialenzykliken Johannes XXIII.
Sie wissen, dass die Sozialenzykliken der Päpste seit Leo XIII. grundlegend dazu beigetragen haben, die katholische Soziallehre zu entfalten.
Katholische Soziallehre reflektiert, wie wir unser Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft verstehen, einzurichten und zu ordnen haben und wie wir uns als große oder kleine gesellschaftliche Gruppe verhalten. Sie besteht nicht so sehr aus überzeitlich und überörtlich geltenden "ewigen" Wahrheiten, sondern sie erwächst geschichtlich aus Lebensfragen der Gesellschaft, insbesondere aus Streitfragen, die den gesellschaftlichen Nöten und Ungerechtigkeiten entspringen.
Als Johannes XXIII. 1963 seine Sozialenzyklika veröffentlichte, war der Weltfrieden in hoher Gefahr. Gerade in diese Situation hinein entwickelt er seine Auffassung von der Weltordnung, die auf vier moralischen Säulen ruhen muss: auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit, auf Liebe und auf Freiheit - Grundwerte, auf denen ein universales Gemeinwohl gründen soll.
In "Pacem in terris" heißt es:
"Der Friede muss jedoch ein leeres Wort bleiben, wenn er sich nicht in jenem Ordnungsgefüge entwickelt, das wir voller Hoffnung in diesen Rundschreiben in den Umrissen angedeutet haben: Wir meinen ein Ordnungsgefüge, das in der Wahrheit gegründet, nach den Richtlinien der Gerechtigkeit erbaut, von lebendiger Liebe erfüllt ist und sich schließlich in der Freiheit verwirklicht" (Pacem in terris, Nr. 89).
In Anbetracht der besorgniserregenden Lage in und um den Irak und der Verschärfung des internationalen Terrorismus kommt "Pacem in terris" eine bleibende Aufgabe zu.
Hauptteil:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in meinem kurzen Statement möchte ich, mit Blick auf das gestellte Thema, auf drei aktuelle öffentliche Äußerungen der Katholischen Kirche Bezug nehmen:
1. Die Erklärung der Deutschen Bischöfe "Gerechter Friede" vom 27. September 2000
2. Die Ansprache des Papstes Johannes Paul II. beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps am 13. Januar 2003
3. Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Irak-Konflikt vom 20. Januar 2003
1. "Gerechter Friede" - Die Erklärung der deutschen Bischöfe vom 27.09.2000
Im Sinne einer ethisch begründeten Neuorientierung der Friedenspolitik entwickelt die Erklärung der deutschen Bischöfe eine Zielperspektive mit den Worten der Ökumenischen Versammlung in der DDR (1989):
"Mit der notwendigen Ü;berwindung der Institution des Krieges kommt auch die Lehre vom gerechten Krieg, durch welche die Kirchen den Krieg zu humanisieren hofften, an ein Ende. Daher muss schon jetzt eine Lehre vom gerechten Frieden entwickelt werden, die zugleich theologisch begründet und dialogoffen auf allgemein menschliche Werte bezogen ist".
Dabei wird die Kirche keine detaillierten politischen Programme oder Friedensstrategien vorlegen können; das ist auch nicht ihre Aufgabe. Jedoch stellt die Wahrung der Würde des Menschen die Schnittstelle zwischen politischer Aufgabe und kirchlichem Auftrag dar.
Nur von der Würde der menschlichen Person her ist das Leitbild vom gerechten Frieden verstehbar:
"Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig. Daraus folgt positiv: Gerechtigkeit schafft Frieden. Der Bedingungszusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden birgt in sich die Möglichkeit einer Politik der Gewaltvorbeugung und gleichzeitig die Verpflichtung, sie zu verwirklichen" (Gerechter Friede Nr. 59).
Ohne an dieser Stelle auf das biblische Friedenszeugnis und auf das Verhältnis Gewalt und Gewaltfreiheit in der (Kirchen-) Geschichte einzugehen, möchte ich die Problematik bewaffneter Interventionen ansprechen, zu der wir uns als Bischöfe in "Gerechter Friede" geäußert haben.
In bestimmten Situationen (zwischen staatlichen Konflikten, Gewalt gegenüber Minderheiten oder terroristischer Erpressung) stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt sein kann.
Grundsätzlich gilt aus friedensethischer Sicht: Die Anwendung von Gegengewalt kann nur als ultima ratio in Betracht gezogen werden. Das heißt, alle anderen Mittel, zum Recht zu gelangen, müssen ausgeschöpft werden, denn Gewaltanwendung bedeutet immer ein schwerwiegendes Ü;bel, auch wenn es sich möglicherweise um das geringere Ü;bel handelt.
Das Völkerrecht ächtet grundsätzlich jeden Angriffskrieg und verpflichtet die Staaten auf den Gewaltverzicht (Hier werden wir sicher von Herrn Professor Huber noch einiges aus völkerrechtlicher Sicht hören). Einzige Ausnahme ist die Notwehr eines Staates gegenüber einem militärischen Angriff von außen bzw. die Abwehr des Angreifers durch Dritte.
Darüber hinaus kennen wir die Fälle, in denen sich die internationale Gemeinschaft bei einer schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte entschließt, auf Grund eines hinreichenden Mandates der Vereinten Nationen militärisch zu handeln (beispielsweise im Kosovo 1999).
Hier muss es
"ein Verfahren geben, das es einzelnen mächtigen Staaten unmöglich macht, auf Grund partikularer Interessen ein Handeln der Staatengemeinschaft zu blockieren. Ebenso ausgeschlossen muss es sein, dass es einzelne Staaten unter dem Vorwand humanitärer Ziele ein UNO-Mandat erwirken, um eigene politische Zwecke zu verfolgen" (Gerechter Friede Nr. 154).
Gewaltanwendung aus den oben genannten Gründen muss sich jedoch immer folgenden Fragen stellen:
- Bleibt die Zivilbevölkerung soweit wie möglich von der Gewalteinwirkung verschont?
- Kann die Gewaltanwendung tatsächlich ihr humanitäres Ziel erreichen?
- Wird die Gewalt in unverhältnismäßiger Weise angewendet?
- Ist die militärische Intervention mit einer aussichtsreichen politischen Perspektive verbunden?
Ich bin hier nicht in der Lage, auf alle Fragen eine Antwort zu geben, etwa auch auf die gegenwärtig immer wieder gestellte Frage: Wann fängt Verteidigung bzw. Notwehr eines Staates angesichts der heutigen terroristischen Gefahren an? (Hier hoffe ich auf mögliche Antworten in der sich anschließenden Diskussion)
2. "Krieg ist niemals ein unabwendbares Schicksal" - Ansprache des Papstes am
13. Januar 2003
Die Bemühungen Johannes Paul II. um den Weltfrieden, gerade in diesen Tagen, sind vielfältig und beispielgebend. Besonders seine Ansprache zum diesjährigen Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps verdient nicht zuletzt wegen des bereits erwähnten Bedingungszusammenhangs von Gerechtigkeit und Frieden Beachtung. Sein "NEIN zum Krieg" ist eng verbunden mit einem "JA zum Leben", mit der "Einhaltung des Rechts" und mit der "Pflicht zu Solidarität".
"Krieg ist niemals ein unabwendbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit". Die Mittel der Auseinandersetzung zwischen den Nationen sind das Völkerrecht, ein offener Dialog, Solidarität zwischen den Staaten und eine kluge Diplomatie.
Der Krieg ist kein Lösungsweg in der Auseinandersetzung zwischen den Nationen. Nur im äußersten Notfall und unter strengsten Bedingungen (ich meine, diese muss die Staatengemeinschaft im Rahmen der UNO, basierend auf ihrer Charta und dem Völkerrecht gemeinsam feststellen) darf der Krieg als letztes Mittel gewählt werden. So wie das Gewaltmonopol eines Landes aus guten Gründen bei der Polizei liegt, sollte das der Staatengemeinschaft bei einer handlungsfähigen UNO angesiedelt sein.
3. "Ein Präventivkrieg wäre sittlich unerlaubt" - Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Irak-Konflikt
Die Erklärung der Deutschen Bischöfe zum Irak knüpft sowohl an den Grundsätzen von "Gerechter Friede" als auch an den Worten des Heiligen Vaters vom 13. Januar an.
Unter Hervorhebung der Gemeinsamkeit mit den evangelischen Christen wird besonders auf folgende Punkte aufmerksam gemacht:
Der Druck der Vereinten Nationen auf den Irak zur Vernichtung und zur Verhinderung der Produktion seiner atomaren, biologischen und chemischen Waffen wird bejaht. Das Mittel der Drohung zur Vermeidung eines Krieges ist sittlich erlaubt, wenn dadurch die militärische Handlungsfähigkeit des irakischen Diktators eingedämmt wird.
Abgelehnt wird ein Präventivkrieg, da ein vorbeugender Krieg nicht als Notwehr zur Selbstverteidigung betrachtet werden kann. Allein die Möglichkeit eines Angriffs rechtfertigt nicht einen Krieg zur Selbstverteidigung.
Ich bin mir allerdings darüber im Klaren, dass diese Position angesichts einer stark veränderten Bedrohung, die durch Terrorismus sowie Elemente der Ü;berraschung und des irrationalen Handelns geprägt ist, nicht die ungeteilte Zustimmung findet.
Die Völkergemeinschaft sollte durch die UNO alle Mittel und Bemühungen um Kriegsprävention ausschöpfen. Das allerletzte Mittel, mit Beschluss der UNO einen Krieg zu führen, ist kein beliebiges oder einfach eine Möglichkeit neben anderen. Wichtig ist die Abschätzung der Folgen eines Krieges: für die Zivilbevölkerung, für die Stabilität der Staatengemeinschaft, für das Verhältnis zur muslimischen Welt, für die Entwicklung des weltweit agierenden Terrorismus.
Ausblick
Ich möchte abschließend um ein Bemühen um den Frieden aufmerksam machen, das wir als Christen niemals aus den Augen verlieren dürfen. Es ist das Gebet der Gläubigen, besonders in diesen Tagen und Wochen um den Frieden in den Kirchen und Wohnungen, auf den Straßen und Plätzen.
Es ist für mich ein gutes Zeichen und eine Frucht des Geistes, dass beispielsweise über Jahrzehnte hinweg regelmäßig in dieser Stadt für den Frieden gebetet wurde und gebetet wird.
Das wöchentliche Friedensgebet in der Lorenzkirche gehört zu dieser Stadt, denn der Friede kann letztlich nur im Dialog mit Gott und den Menschen gelingen.
In diesem Sinn schließe ich mit der Bitte: "Herr, mach uns zum Werkzeug deines Friedens".
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