Weihnachten ist das glückliche Ende einer längeren Geschichte. Die himmlischen Heerscharen hatten allen Grund zu jubeln. Sie mussten sich nämlich tüchtig für die Geburt des Jesuskindes engagieren. Beide Weihnachtsevangelien berichten von ihrem Einsatz.
Der Evangelist Lukas schildert, dass sogar der Erzengel Gabriel die Aufgabe übernommen hat, Maria dafür zu gewinnen, die Mutter des Kindes zu werden, von dem er sagte: „Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“ (Lk 1,32-33)
Und der Evangelist Matthäus schildert, dass ein Engel zu Josef kam, um ihn davon zu überzeugen, Maria nicht zu verlassen: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ (Mt 1,20-21) Es ist interessant, dass die Evangelisten auch die Geschichten vor der Geburt Jesu erzählen. Die Menschwerdung Gottes beginnt nicht erst mit der Geburt, sondern seine Existenz beginnt wie bei jedem Menschen im Mutterleib.
Das ist eine große Herausforderung an den Glauben. Der Grund-Satz des christlichen Glaubens lautet: Jesus von Nazareth ist der Sohn Gottes, wahrer Gott vom wahren Gott. Der gläubige Mensch kann nur beten oder singen:
„Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehe.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen!“ (GL 256,4)
Die Weihnachtsgottesdienste laden uns dazu ein, wie die Sterndeuter aus dem Osten zu sagen: „Wir sind gekommen, ihn anzubeten.“ (Mt 2,2)
Nach der Anbetung können wir uns aber leicht inne werden, was es heißt, dass der große Schöpfergott ein Mensch wird, ein Kind, ein Mensch von Anfang an: Von nun an darf keinem Menschen die Existenzberechtigung abgesprochen werden. Die derzeitige Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch in unserem Land bewahrt zwar noch die Fiktion, das Recht des ungeborenen Menschen auf Leben zu schützen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Schon ab dem dritten Kind müssen Eltern sich für eine Schwangerschaft rechtfertigen. Pränatale Diagnostik hat sicher ihre hilfreichen Aspekte, führt aber häufig zur Selektion ungeborener Menschen, denen eine Behinderung diagnostiziert wird.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid öffnet die Tür, dass schwer pflegebedürftigen Menschen die Existenzberechtigung abgesprochen wird. Auch durch die Todesstrafe wird Menschen die Existenzberechtigung abgesprochen.
Ich bin sehr dankbar, dass Papst Franziskus für die Lehre der katholischen Kirche entschieden hat, dass die Todesstrafe nicht nur abgelehnt, sondern auch weltweit bekämpft wird. Im Blick auf die Krippe hat jeder Mensch ein Recht zu leben. In der Bergpredigt begründet Jesus das Gebot der Feindesliebe damit, dass „ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45).
Die Anbetung des menschgewordenen Gottessohnes verweist aber nicht nur auf das unbedingte Lebensrecht eines jeden Menschen. Sie eröffnet auch den Blick für den tiefsten Grund der Menschenwürde, die jedem Menschen zukommt, auch dem Beter, der anbetend die Krippe und das Weihnachtsgeheimnis betrachtet. In der Taufe wird diese Würde, die jeder Mensch als Geschöpf Gottes hat, nochmals sehr vertieft.
In einem Lied singen wir: „Ich bin getauft und Gott geweiht durch Christi Kraft und Zeichen. (…) Gott hat mir seinen Geist geschenkt. Ich bin in Christus eingesenkt und in sein Reich erhoben.“ (GL 491,1) Diese Würde, die uns durch das Erlösungswerk Jesu Christi zukommt, können wir nicht genügend bestaunen und wir können nicht genügend dafür dankbar sein.
Als Getaufte stehen wir nicht als Zuschauer an der Krippe, sondern wir sind in der Taufe hineingetaucht in das, was wir bestaunen. Die weihnachtlichen Feiertage laden dazu ein. Im Alltag wird diese große Gabe einer solchen Menschenwürde zur Aufgabe, die auch im Lied besungen wird: „Christus, der Herr hat mich erwählt, ihm soll ich fortan leben. Ihm will ich dienen in der Welt und Zeugnis für ihn geben.“ (GL 491,3)