Neues ist möglich: Jesus will beim Sünder Zachäus zu Gast sein.
Tief bewegt bin ich bis heute von der Erzählung einer Rom namens Rita, der ich am Mittwoch in der Karwoche in Würzburg begegnen konnte. Sie ist ein anerkanntes Holocaust-Opfer. Ihre Mutter wurde von den Nazis vor die Alternative gestellt, sich sterilisieren zu lassen, um mit ihrer Familie der Internierung in das KZ Dachau zu entkommen. Als die Mutter zugestimmt hatte und in der Klinik sterilisiert werden sollte, stellte man eine Zwillingsschwangerschaft fest. Nun hieß es: Wenn sie die beiden Kinder für medizinische Experimente der Nazis zu Verfügung stellt, kommt die Familie nicht ins KZ. Die Mutter stimmte zu. Nach vier Wochen aber hielt sie es nicht mehr aus. Sie entführte den einen Zwilling aus dem Krankenhaus. Der andere Zwilling war schon durch die Experimente zu Tode gekommen. Freunde verhalfen zur Flucht. Das Kind wurde in der Rita-Kapelle in Würzburg notgetauft. Dieser Zwilling war die Frau, die mir am Karmittwoch begegnete. An ihr hatte man auch schon Experimente vollzogen, aber sie hatte überlebt - wenn auch mit schweren Schäden. Das erzählte sie mir beim Abendessen mit Trauer und doch auch Dankbarkeit gegenüber ihrer Mutter und den Freunden, die ihr das Ü;berleben ermöglicht hatten. Sie kann noch nicht lange darüber reden. Die Prozesszeit von sechs Jahren zur Anerkennung ihrer dauerhaften Schädigung hatte sie sprachfähig gemacht. Bei einem Gottesdienst in Würzburg konnte sie authentisch beten für alle, die in der Not von Gewaltherrschaften stehen und leiden müssen.
Am Osterfest wird an die Schuld der Menschen und an die Vergebung der Schuld erinnert. Im Exsultet der Osternacht wird die Schuld sogar als "glücklich" bezeichnet, weil sie einen so großen Erlöser - Jesus Christus - gefunden hat. Ostern kann nur derjenige feiern, der erlebt hat, was Schuld und auch die Befreiung von Schuld bedeutet. Ich sorge mich derzeit, weil die Beichtstühle und Beichtzimmer immer mehr leer bleiben, und das Bewusstsein von Schuldfähigkeit in der Gesellschaft und der Kirche zu schwinden scheint. Wie ein Hoffnungsschimmer sind dann Beichtgespräche von Konvertiten und ausgetretenen Christen, die wieder in die Kirche eintreten wollen. Wie groß ist meine Freude, wenn ein Pfarrer von der Firmvorbereitung erzählt, dass alle Jugendliche diese Chance des Neubeginns in der heiligen Beichte genutzt haben - manche waren zum letzten Mal vor ihrer Erstkommunion zur Beichte.
Angesichts von schwerer Schuld in den Verfolgungen, die durch ungerechte gesellschaftliche Mächte verursacht oder auch durch konfessionelle und religiöse Streitigkeiten bewirkt wurden, ist eine Erlösung und Heilung dringend erforderlich. Das Problem scheint mir nur zu sein: Kann ich mich auch selbst als Ursache von Schuld erkennen? Die alte Rom musste sechs Jahre kämpfen, um vor den Richtern Recht in der Anklage zu bekommen, dass ihr die deutsche nationalsozialistische Justiz die Gesundheit ruiniert und der Zwillingsschwester das Leben genommen hatte. Oftmals ist es ein langer Prozess, der vielleicht dadurch verhindert wird, weil der Schuldige keinen Ausweg sieht. Schuld wird von mir lieber verdrängt, damit ich sie nicht anschauen und sühnen muss. Schuld wird auf andere abgeschoben, damit ich sie los bin. Aber ich täusche mich dabei und schade mir und meiner Seele, denn ich weiß um das Täuschungsmanöver.
Die Predigt das Apostels Petrus in Cäsarea, wohin ihn der Hauptmann Cornelius eingeladen hatte, geht davon aus, dass alle von Jesus Christus wissen. Es hatte sich herumgesprochen, was Jesus seit der Taufe im Jordan gesagt und getan hatte. Es waren Wundererzählungen, die man auch leicht ausbauen kann beim Weitererzählen. Sicherlich sind auch Inhalte seiner Predigt weitergegeben worden - vielleicht die Seligpreisungen am See Genezareth. Daran muss der Apostel nicht mehr erinnern. Er erinnert jedoch daran, dass Jesus die Menschen aus der Gewalt des Teufels befreit hat. Jesus spricht den Teufel und die Dämonen bei den Heilungen an. Sie betteln um ihr Dasein und wollen sogar in Schweine flüchten, um nur zu überleben. Jesus hat die Macht über die Mächte der Finsternis - das ist Petrus wichtig zu betonen. Petrus scheut sich nicht, von der Schuld der Juden zu sprechen, die den Tod Jesu am Kreuz gefordert haben, denn er weiß: "Gott aber hat ihn am dritten Tag auferweckt" - das ist die Antwort Gottes auf die Forderungen nach dem Tod Jesu und diese Antwort kommt ohne Schuldzuweisung und Rachegelüste. "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23,34) spricht Jesus am Kreuz im Lukasevangelium. Stephanus wiederholt diese Worte sinngemäß bei seiner Steinigung: "Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an." (Apg 7,60). Es zeigt sich ein Weg aus der Schuld und dem Bösen auf, der gangbar ist, wenn an die Erlösung und Heilung durch die Macht Gottes geglaubt werden kann. Ich sorge mich um unsere Kirche und auch um unsere Gesellschaft, wenn es diese Perspektive nicht mehr gibt und der Glaube verdunstet. Dann sind wir nur noch auf uns selbst gestellt und müssen mit der Schuld zurechtkommen. Das überfordert uns gewaltig und macht uns unmenschlich.
Ostern ist das Fest des Neubeginns. Die Erwachsenen, die in der Osternacht getauft, gefirmt und zur Eucharistie geführt wurden, haben sich einen neuen Start in ihrem Leben schenken lassen. Mich bewegen ihre Biografien. Ich kann darin erkennen, wie weit Gott denkt und nach Wegen sucht, um uns anzusprechen und zur Erlösung zu führen. Wie oft heißt es da: "Ich habe jahrelang mit diesem Gedanken gerungen, mich taufen zu lassen. Jetzt habe ich es gewagt und bin glücklich." Das beschämt uns bisweilen, weil wir als "Langzeitchristen" den Glauben kaum noch in der Werthaftigkeit gesehen haben. Die Feiern auf dem katechumenalen Weg, d.h. die Feier der Aufnahme in den Katechumenat mit der Ü;bergabe der Bibel und des Kreuzes, die Feier der Ü;bergabe des Glaubensbekenntnisses und Vaterunsers, die dreimaligen Bußfeiern, in denen die Gemeinde zum Gebet für die Taufbewerber eingeladen wird, die Feier der Wiedergabe des Glaubensbekenntnisses und der Katechumenensalbung und natürlich die Feier der Eingliederung in die Kirche selbst durch Taufe, Firmung und Eucharistie, machen uns deutlich, womit wir ausgerüstet sind auf dem Lebensweg: Mit der Heiligen Schrift, mit der Gemeinde, mit den Sakramenten und mit der jahrhundertealten Tradition der Kirche, die uns lehrt, dem Heiligen Geist zu trauen, der zu jeder Zeit seine Zeugen hat und der Kirche eine Gestalt geben kann, die dem Heute entspricht und eine Sprache findet, die im Heute verstanden wird. Der Zuwachs an neuen Christen - seien sie nun Säuglinge oder Erwachsene - ist eine Chance für die Kirche und eine Herausforderung zugleich.
Was aber macht der Pfarrer und der Pfarrgemeinderat, wenn der Neugetaufte fragt: "Wo kann ich mich in der Gemeinde engagieren?" Fällt dem Pfarrer und dem Pfarrgemeinderat mehr ein als der Dienst des Lektors, Sängers im Kirchenchor oder der notwendige Kirchenputzdienst? Viellicht kann dieser Neugetaufte besonders gut Suchende erkennen und einladen. Vielleicht hat er technische Fähigkeiten, die die Pfarreiverwaltung erleichtern, was jedoch bedeutet: Der Pfarrer muss sich in die Karten schauen lassen! Der Apostel Paulus weist darauf hin, dass es neben dem Entdecken der Gnadengaben auch die Notwendigkeit des richtigen Ein- und Zuordnens gibt. Und wenn ein Christ durch das Leid hindurchgegangen ist wie unsere liebe Rom Rita, dann haben wir einen Schatz in der Gemeinde, der zum Leuchten gebracht werden muss. Und ich kenne viele Menschen, die mich in ihrer Tapferkeit trotz zugefügten Unrechts beeindrucken. Sie sind ein lebendiges Zeugnis für die Kraft, die wir am Osterfest feiern: die Kraft des Sieges Jesu Christi über Tod und Teufel.
"Jeder, der an Jesus glaubt, wird durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfangen" - bekennt Petrus in Cäsarea vor der Familie des Hauptmanns Cornelius. Wer wird diese gute Nachricht heute am Osterfest außerhalb der Kirchenmauern hören? Werden die angekündigten Fernsehsendungen diese Botschaft transportieren? Wenn unser Leben von der Zusage des Petrus und der Kirche erfüllt ist und wir selbst der Kraft Jesu etwas zutrauen, dann geht diese Nachricht aus dem Dom heraus. Wenn wir erzählen, warum uns die Osterkerze, das Osterwasser und die festlichen Gottesdienste am Tag und in der Nacht so wichtig sind, dann werden die Menschen aufmerksam auf eine Wirklichkeit, die so anders ist als das, was sie bisher als wichtig anerkannt haben. Wenn wir heute wieder die altehrwürdige Gloriosa hören, die mit ihrem Klang seit 1497 die Herzen der Erfurter höher schlagen lässt, und durch unsere Freude und Zuversicht eine neue Wirklichkeit des Lebens anklingen lassen, dann kann ich mir vorstellen, dass auch Fernstehende sagen: Da muss es etwas geben, was die Menschen verzaubert!
Neues ist möglich - nicht, weil wir es uns ausgedacht und gemacht haben, sondern weil von oben her - durch die Kraft Gottes - ein Neuanfang geschieht. ER - Gott der Vater - hat ihn - den Sohn - in der Kraft des Heiligen Geistes zu neuem Leben erweckt. Er wird auch uns diese Freude schenken, wenn wir ihm vertrauen. Amen.
20.4.2014