In der Liturgie der Osternacht könnte man den Eindruck haben, dass der Höhepunkt der Feier gleich zu Beginn ist: Die Osterkerze, die am Osterfeuer entzündet wurde, wird in die dunkle Kirche getragen und unter dem Ruf „Lumen Christi“ verteilt sich das Licht der Osterkerze in der Runde. Anschließend wird mit einem wunderbaren alten Gesang das Osterlob, das Exultet gesungen. Dieses Osterlob ist ein einziges Frohlocken über den Ostersieg Jesu Christi, dessen Auferstehung den Tod bezwingt.
Das Exultet steigert sich in die Osterfreude hinein bis zu einem Punkt, in dem es fast schon problematisch wird. Da wird gesungen: „O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, du wurdest uns zum Segen, da Christi Tod vernichtet ist.“ Im Lateinischen heißt es: „O certe necessarium Adae peccatum“ – „O wahrhaft notwendige Sünde des Adam“: Musste Adam sündigen, damit an Ostern diese Sünde getilgt werden kann? Und dann heißt es weiter: „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden.“ Die Formulierung „O glückliche Schuld“ – „O felix culpa“ ist problematisch: Kann die Schuld als glücklich bezeichnet werden, da sie ja in jedem Fall Unglück über Menschen gebracht hat? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die beiden Verse des Exultet als anstößig empfunden wurden, denn sie wurden in vielen deutschen und französischen Handschriften am Ende des 10. Jahrhunderts gestrichen. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Abt Hugo von Cluny im 11. Jahrhundert. Im Spätmittelalter wurden die beiden Verse jedoch wieder in die Liturgie aufgenommen und mit dem Missale Romanum von 1570 wurden sie in der ganzen Kirche gesungen. Ein Grund dafür dürfte die theologische Autorität des Hl. Thomas von Aquin gewesen sein. Er erwägt die Frage, ob Gott auch dann Mensch geworden wäre, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, und kommt zu dem Schluss, dass es in größerem Maße gut ist, aus Schlechtem Gutes zu machen als nur das Gute gut sein zu lassen. Dieter Fugger erklärt das in seiner Masterarbeit von 2016 so: „Damit vergleichbar ist die Aussage des Sprichworts, dass man durch Fehler lernt. Dies sagt ja weder, dass man jetzt Fehler machen sollte, um daraus zu lernen, noch dass Fehler als solche gut sein, sondern ein Fehler wird dann und nur dann zu einem „guten Fehler“, wenn die nötige Lernerfahrung daraus gemacht wird. Entsprechend wird Schuld dann „glücklich“, wenn sie erlöst wird.“ (1)
Eine weitere Überlegung kann die Formulierung von der „notwendigen Schuld Adams“ oder der „glücklichen Schuld“ verständlich machen, eine Überlegung, die sich aus dem Aufbau des Exultet ergibt. Denn diese beiden Verse sind eingerahmt von einem Jubel, der sich ins Paradoxe steigert: Im überschwänglichen Osterjubel wird nicht nur Christus besungen, der den Himmel verlassen hat, um uns Menschen mit Gott zu versöhnen, sondern die Gedanken gehen auch an Gottvater, der das Erlösungswerk Christi mitträgt. So kann es im Exultet heißen: „O unfassbare Liebe des Vaters, um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin.“ Dieser Gedanke ist inspiriert vom Johannes-Evangelium, wo es heißt. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ (Joh 4,16)
Ein Paradoxon beschließt auch den überschwänglichen Jubel des Exultet: „O wahrhaft selige Nacht, dir allein war es vergönnt, die Stunde zu kennen, in der Christus erstand von den Toten. Dies ist die Nacht, von der geschrieben steht: Die Nacht wird hell wie der Tag, wie strahlendes Licht wird Nacht mich umgeben.“ Es ist das einzige wörtliche Bibelzitat im Exsultet. Im Psalm 139 heißt es: „Würde ich sagen: Finsternis soll mich bedecken, statt Licht soll Nacht mich umgeben auch die Finsternis wäre für dich nicht finster, die Nacht würde leuchten wie der Tag, die Finsternis wäre wie Licht.“ (Ps 139,11f.) Vom Paradoxon der „hellerleuchteten Nacht“ fällt Licht auf den Gedanken von der „heilbringenden Sünde Adams“ und der „glücklichen Schuld“: In dieser Nacht fallen Gegensätze zusammen. In dieser Nacht wird aus Dunkelheit Licht und aus Schuld Erlösung.
Lassen Sie mich noch einmal zum Eingangsgedanken zurückkommen Das Exultet ist der erste Höhepunkt der Liturgie der Osternachtsfeier, aber nicht der einzige. In der Tauffeier werden heute Nacht Erwachsene hineingetaucht in das Erlösungswerk Christi. Was im Osterlob besungen wurde, wird an ihnen heute Nacht Wirklichkeit. Und uns allen wird die Frucht des Ostersieges, die Erlösung zuteil in der Eucharistiefeier, in der wir staunend und freudig begehen, dass Christus seinen Leib und sein Blut auch für uns hingegeben hat zur Vergebung der Sünden.
(1) „Der liturgische Begriff und das Motiv der „felix culpa“ in dogmatischer und spiritueller Perspektive unter besonderer Berücksichtigung der Menschwerdung Christi.“