Christus birgt Marias Seele (Kölner Dom)
Predigt von Bischof Wanke zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel
Manchmal sagt man von einem Menschen: Er (oder sie) ist Lehrer "mit Leib und Seele". Damit soll ausgedrückt werden: Hier ist jemand ganz und mit Begeisterung in seinem Amt engagiert - gleichsam "mit Haut und Haaren" - was in diesem Zusammenhang beinahe das Gleiche meint wie "mit Leib und Seele". Ich freue mich etwa sehr, wenn ich von einem Pfarrer sagen kann: Er ist Pfarrer "mit Leib und Seele". (Gab es da nicht einmal eine Fernseh-Serie mit diesem Titel?) Oder: Diese Frau ist ganz engagiert als Gemeindereferentin in der Seelsorge am Werk - mit "Leib und Seele"!
Dieser alltägliche Sprachgebrauch führt uns zu dem Festgeheimnis, das die Kirche heute feiert: die Aufnahme Mariens in den Himmel "mit Leib und Seele" - eine Aussage des Glaubens, die sagen will: Maria, die jungfräuliche Mutter des Herrn, die ganz und ohne Vorbehalt dem Werk der Erlösung gedient hat - sie ist auch ganz und gar in das neue Leben hineingerufen worden, zu dem uns allen unser Herr die Tür geöffnet hat. Sie ist ganz bei Gott - mit Leib und Seele ("mit Haut und Haar"!) und sie ist dort bei Gott - was sie auch in ihrem irdischen Leben war: Dienerin an unserem Heil, Fürsprecherin für die Menschen bei ihrem Sohn, Helferin der Betrübten und Trösterin in allem Leid, das ihr selbst nicht erspart worden war.
Bleiben wir noch ein wenig bei diesem Gedanken: Mit Leib und Seele bei Gott sein. Was ist damit gemeint, wenn wir das sagen? Ist gemeint: Mit Körper und Seele? Unsere alltägliche Sprache hilft uns, das Wort "Leib" hier weiter zu verstehen. Wenn wir im Glauben bekennen: Maria ist mit Leib und Seele bei Gott, so ist damit etwas anderes gemeint als unser jetziger "Körper", also der nach biologischen Gesetzmäßigkeiten funktionierende Organismus. Die Bestandteile dieses Organismus werden bekanntlich schon während eines längeren Lebens in allen stofflichen Bestandteilen mehrfach völlig ausgewechselt. Im Tod wird dieser Organismus dann endgültig aufgelöst. Aber heißt das, dass auch der Mensch aufgelöst wird? Um eine etwas banale Analogie zu bemühen: Bleibt nicht einer auch dann "Autofahrer", wenn er nach einiger Zeit von einem Renault zu einem VW-Typ wechselt? Oder wenn ein Architekt seine unverwechselbare künstlerische Note einmal in einem Wohnhaus verwirklicht und ein anderes Mal in einem Kirchbau - aber immer so, dass man seine "Handschrift", seinen Stil darin erkennt?
"Leib und Seele" meint den ganzen Menschen - und der ist immer mehr als ein stofflicher Organismus. Es gibt eine Leiblichkeit, die mehr ist als "Körperlichkeit". In diesem irdischen Leben basiert die Leiblichkeit auf Körperlichkeit - aber so dürfen wir einmal kühn fragen - muss das notwendig für jede mögliche Form von Leben gelten, gerade auch für das Leben nach dem Tod, für das österliche Leben bei Gott?
Wir merken ja schon jetzt - etwa, wenn ich das faltige, zerfurchte Gesicht eines alten Menschen anschaue und erkenne, wie sich darin Güte, Weisheit und Menschenfreundlichkeit widerspiegeln - da sehe ich mehr als nur eine bestimmte Form von Haut, Fleisch und Knochen!
Oder was können nicht menschliche Augen zu erkennen geben. In ihnen können sich Freude und Leid, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, Ehrlichkeit oder Verlogenheit eines Menschen offenbaren! Warum sind gerade die Augen eines Kindes so beglückend?
Oder menschliche Hände - sie können als heilend, segnend und Vertrauen erweckend erlebt werden - oder eine Stimme kann wärmend und ermutigend, oder auch kalt und abweisend klingen. Solche und ähnliche Beobachtungen fallen unter den Begriff "Leib"! Leib meint den in die menschliche Biographie hineingezogenen "Körper", der also vom Charakter und der Lebensgeschichte eines Menschen sichtbar geprägt ist. Mit diesem "Leib" ihres ganzen Lebens ist Maria bei Gott - und mit einem solchen - freilich von aller Sünde geläuterten neuen "Leib" werden auch wir einmal Gott schauen!
Ich ziehe daraus diese Konsequenz:
Was ich während meines Lebens tue, wie ich mich verhalte, worauf ich mich einlasse, wovon ich mich prägen lasse usw., das alles wird mich auch prägen, wenn ich einmal "mit Leib und Seele" bei Gott sein darf, also ganz und gar - im Blick auf meine Sünde und Schuld freilich als einer, der von Gott her Vergebung und erbarmende Heilung erfahren hat. Ein wenig mit Lächeln formuliert: In der Ewigkeit werde ich Mozart an seiner Musik erkennen und mit Johann Sebastian Bach Gott loben können. Das Beste, Größte und Wertvollste, das Menschen je hervorgebracht und geschaffen haben, wird in Gottes Ewigkeit nicht verloren gehen - sondern "aufgehoben" sein in diesem dreifachen (Hegelschen) Sinn: zum einen (1) aufbewahrt, um zu bleiben, fortzudauern - aber auch (2) in seiner Mangelhaftigkeit und Begrenztheit aufgehoben, d. h. außer Kraft gesetzt bzw. gereinigt sein - und schließlich (3) aufgehoben sein im Sinn des "Emporhebens", des "Vollendet-Werdens" in Gott, wie es uns auf Erden selbst im geglückten Kunstwerk z. B. nie vollkommen gelingen kann. Zumindest sagen das die Künstler über ihre eigenen Werke!
So ist das heutige Fest ein Fest des Trostes. Es ist ein Hinweis auf die noch ausstehende Vollendung unseres Mensch-Seins: Alles, was wir an bewahrenswerter "Frucht" unseres Lebens mit in die Vollendung bringen, wird von Gottes Liebe entgegengenommen und durch sie zur vollen Reife gebracht, gleichsam "emporgehoben" werden.
Das tut gut zu wissen: Die Vollendung unseres Lebens ist mehr als nur das Resultat unseres eigenen Tuns und Wirkens. Das wäre bei den meisten von uns doch recht dürftig und fragmentarisch. Heil und ganz wird unser Leben erst, wenn unser Sehnen in die Erfüllung übergehen wird - in die endgültige geglückte Gestalt, die Gott vor Augen hatte, als er uns schuf! Dazu sind wir berufen - und in dieser Perspektive zu leben ermuntert uns Maria, die Mutter des Herrn und unsere Schwester im Glauben - die mit "Leib und Seele" geglaubt, gehofft und geliebt hat, und darum "mit Leib und Seele" bei dem ist, der auch uns in unendlicher Liebe schon jetzt an sich zieht und einmal vollenden wird. Amen.
Predigt gehalten am 15. August 2008 im Erfurter Dom
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