Predigt zur Eröffnung des Interdiözesanen Pastoralseminars
Gehalten am 8. September 2008 im Erfurter Dom St. Marien - Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Mitbrüder! Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Fest des guten Anfangs - so könnten wir, etwas frei formuliert, den heutigen Festtag der Geburt Mariens nennen. Mit ihrer Geburt - so die Ü;berzeugung der Kirche - wurde der Raum dafür geschaffen, dass Gott ein Mensch dieser Erde werden konnte. Ihre Geburt ist quasi die ?Initialzündung? des Neuen Bundes Gottes mit den Menschen. Doch Maria steht mit ihrer einzigartigen Berufung nicht isoliert in der langen Geschichte des Heils Gottes in unserer Welt. Mit ihrer Erwählung steht sie auf den Schultern ihrer Vorfahren im Gottesvolk Israel. Deshalb begegnet uns heute auch der Stammbaum Jesu im Evangelium. Er stellt den guten Neu-Anfang Gottes mit der Berufung Marias zur Mutter seines Sohnes in den weitaus größeren Zusammenhang der Heilsgeschichte, die mit Abraham, dem Stammvater des Volkes Israel begonnen hat und in der Geburt Jesu aus Maria ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluss findet. So weit die geschichtliche Erinnerung Israels reicht, so sehr weiß sich das erwählte Gottesvolk unter Gottes besonderem Schutz und seiner treuen Führung.
Der Anfang eines neuen Kapitels der Heilsgeschichte, den wir heute mit der Geburt Marias feiern, steht aber nicht nur in einer langen und zweifellos wechselvollen, mitunter sogar hochdramatischen Geschichte. Er ist in der Perspektive des Matthäus-Evangeliums kein neuer Meilenstein in der Evolution der Welt, sondern ein geschenkter Anfang, ein unverdientes Geschenk Gottes, der zu allen Zeiten auf die Menschen zugeht und sein Bundesversprechen, seine Zusage "Ich bin für euch da" einhalten möchte. Er ist in der Tat der Immanuel, der "Gott mit uns", der uns in Jesus Christus sein menschliches Antlitz zugewandt hat.
Seither dürfen wir Christen uns als Menschen verstehen, denen Gott auf den noch so unterschiedlichen und verschlungenen Lebenswegen die Möglichkeit eines neuen Anfangs schenkt. So sehr wir uns bemühen, an den Wendepunkten unseres Lebens, aber auch im Alltag selbst neue Anfänge zu setzen, sie zu gestalten und mit ihrer Hilfe einen guten Weg zu gehen - so sehr dürfen wir uns begleitet und getragen wissen von Gottes gütiger und beharrlicher Führung, die manchmal auch ungewohnte Herausforderungen und Veränderungen mit sich bringt.
Liebe Mitbrüder! Schwestern und Brüder im Glauben!
Einen Anfang ganz besonderer Art setzen wir heute hier in Erfurt - und wir vertrauen darauf, dass es nicht nur ein von uns gesetzter Auftakt zu einem neuen Wegabschnitt, sondern auch ein von Gott geführter und begleiteter Anfang ist. Die heute offiziell beginnende Kooperation der Pastoralseminare in unserer Kirchenprovinz ist ein mutiger, aber auch notwendiger Schritt in die Richtung einer effizienten Priesterausbildung mit den vielfältigen Ressourcen, die unseren Diözesen zur Verfügung stehen.
Bei allen Bemühungen um eine fundierte und auf den späteren seelsorglichen Dienst ausgerichtete Ausbildung im neuen Pastoralkurs dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, worum es geht, wenn wir die Synergien der bereits bestehenden Ausbildungskonzepte nutzen und "Neuland unter den Pflug" (vgl. Hosea 10,12) nehmen. Alle praktischen Ü;berlegungen und Konzeptionen müssen sich daran messen lassen, wie sehr die angehenden Diakone und Priester auf ihren Dienst in der Nachfolge Jesu Christi vorbereitet und eingestimmt werden.
Es geht also auch unter den neuen Rahmenbedingungen der Seminarausbildung um die Begleitung junger Männer auf ihrem Weg der schrittweisen Einübung in die Aufgaben des Diakon- und Priester-Seins. Dieser Prozess, der sich im Pastoralkurs im Horizont der menschlichen und geistlichen Reifung vollzieht, steht immer im Dienst der Nachfolge Jesu. Und diese Nachfolge müssen wir uns immer wieder so einfach und herausfordernd zugleich vorstellen, wie sie uns aus den Schilderungen der Evangelien bekannt ist. Es geht um das schlichte "Hinter-Jesus-Hergehen" (vgl. Mk 1,17: "Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen!"), d. h. um ein immer tieferes Kennenlernen seiner Person, seiner Botschaft, seiner Hingabe, seiner Freuden und Leiden. Nichts wird dem erspart bleiben, der den demütigen Weg der Nachfolge Jesu antritt - sowohl in den ermutigenden und erfüllenden als auch in den schwierigen und schmerzlichen Bereichen des geistlichen Dienstes. Nicht Bewunderer Jesu sind gefragt, sondern Nachfolger, hat dem Sinn nach einmal der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard gesagt. Und zwar Nachfolger mit Haut und Haaren! Deshalb tun wir gut daran, den Leitgedanken der konkreten Nachfolge Jesu im Blick zu behalten, wenn wir über den neuen gemeinsamen Wegabschnitt der Priesterausbildung in unserer Kirchenprovinz nachdenken.
Vor diesem Hintergrund, liebe Brüder - und hier wende ich mich besonders an die neuen Seminaristen -, möchte ich Ihnen einige Aspekte für den künftigen Weg nennen, die Sie bitte als "Puncta Meditationis" verstehen und bei allem Neuen der kommenden Monate als einen geistlichen Leitfaden in den Blick nehmen:
I.
Ein erster Gedanke: Nutzen Sie die große Chance der Horizonterweiterung, die der gemeinsame Pastoralkurs mit sich bringt. Wenn Sie, liebe Seminaristen, neue, Ihnen bislang unbekannte Mitbrüder und Ausbilder kennen lernen und sich auf neue Erfahrungsbereiche einlassen, dann lernen Sie gleichzeitig neue Ortskirchen, neue Regionen unseres Landes und vor allem auch neue Gewohnheiten und Mentalitäten kennen. Ja, es eröffnen sich Ihnen in nächster Zeit neue Welten zwischen unseren Diözesen Paderborn, Fulda, Erfurt, Magdeburg, Görlitz und Dresden-Meißen. Lernen Sie die unterschiedlichen pastoralen Erfahrungsräume in Ost und West im Sinne einer guten "Unterscheidung der Geister" kennen und schätzen - und reflektieren Sie diese vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Glaubens- und Lebenserfahrungen! Wenn Sie mit offenen Augen und Ohren und vor allem mit einem offenen Herzen auf die neue Situation zugehen, dann bin ich mir sicher, dass Sie das Neue nicht als Last, als reine Infragestellung oder womöglich als Bedrohung erfahren, sondern als Bereicherung Ihrer Ausbildung, als Stärkung Ihres geistlich-theologischen Profils und Ihrer pastoralen Kompetenz!
II.
Ein zweiter Punkt: So günstig ich die Chancen der neuen Kooperation der Pastoralseminare beurteile, so sehr möchte ich daran erinnern, dass die Differenzierung des neuen Ausbildungskonzepts ein besonderes Maß an Aszese braucht - also Verzicht und Entsagung, oder anders ausgedrückt: die Bildung von Prioritäten und Posterioritäten, die Fähigkeit, das Wichtige zu tun und anderes (getrost) zu lassen. Wenn Sie in den kommenden Monaten in unterschiedliche Welten ?eintauchen?, müssen Sie der Gefahr widerstehen, alles unterschiedslos an sich heran zu lassen, alles für gleich wichtig zu halten und sich dann möglicherweise zu verzetteln und dadurch innerlich unruhig und heimatlos zu werden. Anders ausgedrückt: Es wird bei allen neuen Schritten, die Sie in der nächsten Zeit unternehmen, nicht nur darum gehen, Ihr JA zu neuen Herausforderungen zu sagen, sondern auch ein NEIN zu dem zu sagen, was Sie in der Vielfalt der Angebotspalette unserer Tage ablenkt und auf falsche Wege bringt. Es geht in allem, was sie an den unterschiedlichen Orten Ihrer Ausbildung erleben, immer wieder und immer neu darum, in der Verbundenheit mit Jesus Christus zu wachsen, sich seinem Geist zu öffnen und den vielen Aber-Geistern innerhalb und außerhalb unserer Kirche zu widersetzen. Auf diese Weise kann sich - begleitet und unterstützt von den Verantwortlichen in der Ausbildung - auf organische Weise Schritt für Schritt ein menschlich-geistlich-theologisches Profil des Diakon- und Priesterseins herauskristallisieren. Dann können Sie auf Dauer der Gefahr widerstehen, zu einem ruhelosen ?Tausendsassa? zu werden, der zwar über alle möglichen Kompetenzen verfügt, aber letztlich eines nicht ist: ein im Herrn verwurzelter und in ihm ruhender Seelsorger der ihm anvertrauten Menschen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass die Seminarzeit für Sie das wird, was sie seit Jahrhunderten unter sich stets wandelnden Bedingungen war und ist: eine Pflanzstätte der geistlichen Ausbildung, die zum inneren Wachstum des Seminaristen beitragen will und einen sicheren Weg zwischen den Straßengräben der Unterforderung und Ü;berforderung, der Praxisfixierung und der Theorieflucht zu finden hilft.
III.
Und ein dritter Aspekt, der hier gleich anschließt: Wenn in den kommenden Monaten der Vorbereitung auf die Diakonen- und Priesterweihe der praktisch-pastorale Bereich der Ausbildung im Vordergrund steht, dann geht es stets darum, auch die theologische Dimension Ihrer Arbeit nicht aus dem Blick zu verlieren. Gegen einen mitunter merkwürdigen und kontraproduktiven Gegensatz von Theorie und Praxis sollten Sie sich für eine weiterhin ernsthafte Auseinandersetzung mit theologischen Fragen und Themen entscheiden - und sich nicht scheuen, Ihre theologischen Anfragen, Probleme und Ideen zu artikulieren und ins Gespräch zu bringen. Dann wird die Theologie kein praxisfernes Glasperlenspiel sein, sondern die Membran zwischen Ihren persönlichen Lebens- und Glaubenserfahrungen und der pastoralen Praxis, der Sie in der kommenden Zeit begegnen. Der pastorale Alltag wird für Sie dann nicht zu einer Bühne der reinen Befindlichkeit oder eines planlosen Handelns nach Gutsherrenart. Bei all unseren Bemühungen sollten wir den klugen Hinweis von (Gilbert Keith) Chesterton bedenken: "Theologie ist das Element der Vernunft in der Religion; der Vernunft, die verhindert, dass sie nur Gefühl ist."
Nutzen Sie also die Chance der theologischen Horizonterweiterung und Infragestellung, und lassen Sie sich auf den Weg einer vernunftgleiteten Auseinandersetzung mit den künftigen Praxiserfahrungen ein. Ich bin mir sicher, dass das bewährte Konzept des Schulpraktikums in Erfurt hierbei eine wichtige Rolle spielen wird.
IV.
Und ein letzter Gedanke: Vergessen sie bei allen wichtigen und notwendigen Lernschritten der kommenden Monate nicht, worauf die kommende Ausbildungsphase ausgerichtet ist: auf Ihre Befähigung zum seelsorglichen Dienst in der Kirche. Es geht, um den Altmeister der Seelsorge, den Hl. Ignatius von Loyola zu zitieren, um das "iuvare animas", um das Heil der Menschen. Dabei ist das "Know how" der Pastoral wichtig, aber bei weitem nicht der Schlüssel zu allem, was Ihnen in den Gemeinden begegnet. Behalten Sie deshalb im Blick, dass Pastoral jedweder Art dem Menschen nur in dem Maße gerecht wird, wie sie in dem Bewusstsein geschieht, dass Gott selber an ihm und in ihm wirkt. Andernfalls kommen oft unbemerkt und ungewollt "pastorale (und persönliche) Interessen" ins Spiel, die, weil sie zu flach und zu kurz ansetzen, dem Heil der Menschen nicht zugute kommen. Verantwortete christliche Seelsorge ist immer nur in Kooperation möglich - und zwar mit Gott, wie es der Mystiker Johannes vom Kreuz gerne betont. Erst eine solche "kooperative Seelsorge" wird dem anderen kein pastorales Konzept überstülpen oder ihn mit einer pastoralen Methode "behandeln" und verunsichern, sondern die Freiheit des Gegenübers respektieren und ihn für seine eigentliche Bestimmung öffnen. Alle Seelsorge steht im Dienst der vorausschauenden "Seelsorge" Gottes!
In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie bei aller notwendigen und hilfreichen Kenntnis seelsorglicher Methoden auch das Ziel und die konkreten Erfahrungen Ihres Ausbildungsweges reflektieren und so zu guten Hirten des Gottesvolkes heranreifen! Je mehr Sie mit Leidenschaft Ihre Berufung zur Nachfolge Jesu Christi annehmen und pflegen, um so mehr werden Sie auch mit Herzblut Ihren seelsorglichen Dienst wahrnehmen.
Und genau das wünsche ich Ihnen, liebe Brüder, und allen, die Sie in der kommenden Zeit in der Pastoralausbildung begleiten: viel Herzblut in Ihren jeweiligen Aufgaben. "Herzblut" - das ist ein Begriff, der zu den schönsten Worten unserer Sprache gehört und eine besondere Botschaft in sich birgt: Wer mit Herzblut bei der Sache ist, der setzt sich ein bis zum Äußersten. Wer mit Herzblut seiner Aufgabe nachkommt, setzt seine Kräfte frei für eine große Vision und ein anspruchsvolles Ziel. Eben das wünsche ich Ihnen - heute, am Fest Mariä Geburt, an dem wir einen guten Neu-Anfang Gottes mit uns Menschen feiern.
Allen hier im Raum, die sich dieser wichtigen Aufgabe, an welchem Ort in unserer Kirchenprovinz auch immer, mit Herzblut verschrieben haben, wünsche ich eine tiefe und sich immer wieder bestätigende Erfüllung in ihrem Dienst und den Segen des Herrn, von dem es im Buch Deuteronomium heißt:
"Der Herr befiehlt dem Segen, an deiner Seite zu sein:
in deinen Speichern und bei allem, was deine Hände schaffen.
Der Herr segnet dich in dem Land, das er, dein Gott, dir gibt." (Dtn 28,8)
Amen!
Ost- und westdeutsche Bistümer haben ein Interdiözesanes Pastoralseminar gegründet

