Erfurt (BiP). Das Marienmosaik des Erfurter Domes zählt nicht zu den bedeutendsten und wertvollsten Kunstwerken der Kathedrale, aber gewiss zu den beliebtesten. Keine Woche vergeht, in der nicht im Dombauamt, bei Küstern oder Domführern nach dessen Verbleib gefragt wird. Denn das Mosaik ist schon seit bald 50 Jahren aus der Öffentlichkeit verschwunden. 1968 musste es beim Abbau des damaligen Westgiebels über dem Langhaus des Domes abgenommen und eingelagert werden. Eine jüngst an der Fachhochschule Erfurt entstandene Masterarbeit der Fachrichtung Konservierung und Restaurierung dürfte das Interesse am Marienmosaik noch einmal verstärken. Die Untersuchung von Diplom-Restauratorin Janka Acht hat nämlich dringenden Handlungsbedarf ergeben: Alle eingelagerten Mosaikfragmente "zeigen ohne Ausnahme einen starken biologischen Befall in Form eines weißen Schimmelbelages auf. Manche Fragmente sind zusätzlich von einem schwarzen Belag betroffen", schreibt Acht in ihrer Masterarbeit. Dafür hat sie mit Genehmigung des Domkapitels und unterstützt vom Dombauamt 2015 und -16 alle eingelagerten Mosaikbestandteile gesichtet, erfasst und auf ihren Zustand hin überprüft. Und nicht nur das: Die Restauratorin entwickelte drei Konzepte, wie das Marienmosaik gesichert und erhalten werden kann. Da ein Konzept auch die die Auslagerung und erneute Präsentation des Kunstwerkes an einem geeigneten Ort vorsieht, dürfte sich das Domkapitel der Aufmerksamkeit vieler mosaikbegeisterter Erfurter sicher sein. Sind es doch die Domkapitulare, die darüber entscheiden müssen, welches Konzept realisiert wird.
Dass es das gar nicht so alte Mosaik überhaupt gibt, hängt mit der jüngeren Baugeschichte des Domes zusammen, oder besser gesagt: mit seiner Umbaugeschichte. 1868 wurde das aus dem Spätmittelalter stammende Walmdach des Langhauses durch ein neugotisches Satteldach mit Giebelfenstern ersetzt. Solche Neu- und Umbauten entsprachen dem Zeitgeist des Historismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Anders als beim Walmdach, das keine Giebelwände kennt, gab es nun über dem Westportal eine große Fassade mit einem Spitzbogen, für den ein Mosaik in Auftrag gegeben wurde. Dem Patrozinium der Domkirche entsprechend, sollte es ein Marienmotiv zeigen. Den Entwurf lieferte der Historienmaler August Theodor Kaselowsky (1810-1891), Professor an der Königlich Preußischen Akademie der Künste in Berlin. Er entwarf eine Muttergottes-Figur mit Jesuskind auf dem linken Arm und stellte diese auf goldenem Grund in eine mandelförmige Ellipse (Mandorla), die wiederum ein blauer Hintergrund mit goldenen Sternen umgibt. Der Auftrag zur Fertigung und Anbringung des Mosaiks ging an die Firma von Antonio Salviati (1816-1890) in Venedig. Noch heute schwärmen ältere Erfurter von dem funkelnden Glanz, der bei Sonnenschein vom Marienmosaik ausging, das auch aus großer Entfernung gut zu erkennen war. Immerhin maß das Kunstwerk 6,13 Meter in der Breite und 8,63 Meter von der Unterseite bis zur Spitze und nahm somit eine Fläche von rund 44 Quadratmetern ein. Der Glanz verdankte sich den verwendeten Materialien. Die Figuren, der Goldgrund und die Sterne bestehen aus farbigen Glas-Elementen, der blaue Hintergrund dagegen aus blauer Keramik, die von der Charlottenburger Tonwarenfabrik March stammte.
Im Juli 1870 war das Mosaik fertiggestellt. Doch es sollte kein Werk für die Ewigkeit werden, zumindest nicht an diesem Ort. Das neue Dach und seine Regenwasser-Ableitungen durch das Mauerwerk erwiesen sich schon bald als undicht, Nässeschäden traten auf. Immer wieder durchgeführte Reparaturmaßnahmen lösten das Problem nicht. Als in den 1960er Jahren Schwammbefall am Mauerwerk und Dachgebälk festgestellt wurde, gab es keine Alternative: Rückbau! Das Langhaus des Domes musste wieder ein giebelloses Walmdach erhalten, sonst drohten die Mauern über kurz oder lang auseinanderzubrechen. Nicht wenige Erfurter fragten sich damals, was mit dem Marienmosaik geschehen würde, ja, es gab sogar Proteste gegen die Abnahme. Seitens der Kirche hoffte man, das Mosaik einlagern und später an einem geeigneten Ort wieder aufstellen zu können. In den folgenden Jahrzehnten wurden verschiedene Standorte wie die Kavaten des Domberges oder die Stützmauer seitlich der Toten Treppe und andere diskutiert, aber alle erwiesen sich als nicht geeignet. Das Marienmosaik musste eingelagert bleiben, zunächst im Kreuzgang der Severi-Kirche auf dem Domberg, später dann in einem der Domkeller.
Die Umlagerung hat sich im Nachhinein als ungünstig erwiesen. Denn vor allem das Raumklima der aktuellen Lagerstätte verursacht den jetzt von Janka Acht festgestellten biologischen Schadensbefall der Mosaikfragmente. Feuchtigkeit im Mauerwerk, der Luftaustausch und die niedrige Raumtemperatur führen im Zusammenwirken zu einer hohen Luftfeuchtigkeit, die die Schimmelbildung begünstigt. Räumlich gab es aber keine Alternative. Weil im Severi-Kreuzgang die neue Glaswerkstatt des Domes ihren Platz finden sollte, musste das Mosaik 1994 an einen neuen Ort gebracht werden. Dabei wurde ausgeführt, was eigentlich schon 1968 beim Abbau des Westgiebels in Erwägung gezogen worden war: Das Marienmosaik sollte mittels Strappo-Technik von seinen Trägersteinen abgenommen werden. 1968 entschied man sich stattdessen, den Giebel Stein für Stein abzubauen und die dadurch entstehenden Mosaikfragmente auf den Steinen, die auf der Rückseite numeriert wurden, zu belassen. Dass dabei an den Rändern der Mosaikfragmente einzelne Tesserae, wie die Glas- und Keramikteilchen von Fachleuten genannt werden, abbrachen, bedarf keiner großen Vorstellungskraft. Erst 1994 kam die Strappo-Technik durch die Restaurierungsfirma Ochsenfarth zur Anwendung: Nach der Reinigung der Mosaikoberfläche wurde dort eine Schicht Japan- oder Seidenpapier und dann eine Lage Baumwoll und/oder Leinenstoff aufgeleimt. Kaschierung ist der Fachbegriff für diese Leim-Papier-Stoff-Schicht. Flache Meißel lösten schließlich die Mosaikflächen von der Steinoberfläche. Verbliebene Mörtelreste auf der Mosaikrückseite wurden entfernt und alle Mosaikfragmente in Holzkisten in einem der Domkeller eingelagert. So sollte der Zusammenhalt der einzelnen Mosaikfragmente garantiert werden.
Dann kam der Schimmel. Der weiße Schimmelbelag ist zwar für Menschen im Normalfall nicht gesundheitsschädigend, wie Janka Acht in ihrer Masterarbeit festhalten konnte, doch die "Kaschierungen der Mosaikfragmente machen einen instabilen Eindruck. [...] Mit ihrer Funktion als ‚Träger‘ der Mosaikfragmente, der den Zusammenhalt der Tesserae garantieren soll, ist dieser Zustand aus konservatorischer Sicht bedenklich." Neben den schon erwähnten Verlusten an den Rändern der Fragmente ließen sich Ablösungen der Tesserae von der Kaschierung beobachten, fast alle Fragmente würden eine leichte Verwölbung zeigen, manche seien sogar von Verformungen und Aufwerfungen betroffen. Innenliegende Fehlstellen gibt es dagegen kaum. Die Tesserae selbst sind in einem guten Zustand, wenige nur haben Risse, Brüche und Abbrüche erlitten. Insgesamt existieren 133 kaschierte Mosaikfragmente, deren kleinste nur wenige Zentimeter Seitenlänge haben, während die größten bis zu 1,80 Meter in der Länge und 65 Zentimeter in der Breite messen. Außerdem gibt es noch kleinere unkaschierte Fragmente und zahlreiche einzelne Tesserae, die vor allem 1968 bei der Trennung der Steine an den Fugen abgebrochen sind, aber auch von der Umlagerung herrühren.
Die für die Zukunft des Marienmosaiks entscheidenden Passagen der Masterarbeit von Janka Acht beginnen auf Seite 36: "Ziel einer Konservierung und Restaurierung der Marienmosaikfragmente sollte in erster Linie die Erhaltung des Kunstwerkes sein. Ein Fortschreiten der Schadbildprozesse sollte vermieden oder zumindest verlangsamt werden. [...] Alle Maßnahmen sollten nach Möglichkeit reversibel sein." Die von der Diplom-Restauratorin erarbeiteten möglichen Maßnahmenkataloge fasst sie in drei Konzepten zusammen:
Das erste Konzept sieht die Konservierung und erneute Umlagerung des Mosaiks vor. Dazu müssten die Fragmente gereinigt und Schimmelbildung durch Desinfektion vorgebeugt werden. Durch die Umlagerung sollte jedes Fragment eine eigene Unterlage erhalten - schadstoffarm und ohne Säureabsonderung. Entscheidend wäre die relative Luftfeuchtigkeit des neuen Ortes. Ihr Wert sollte zwischen 45 und 60 Prozent liegen.
Konzept Nr. 2 geht noch einen Schritt weiter und sieht zusätzlich die Ablösung der Kaschierungen vor: "Aus konservatorischer Sicht ist eine Entfernung der Kaschierungen ratsam, da das Alterungsverhalten der Klebstoffe auf lange Sicht nicht einschätzbar ist. Die Glutinleim- und PVAc-haltigen Kaschierungen führten bereits zu großen Eigenspannungen und Ablösungen." Um die Kaschierungen abnehmen zu können, würden die Mosaikfragmente ein neues Mörtelbett erhalten.
Das dritte Konzept umfasst die Arbeitsschritte der Konzepte 1 und 2, um anschließend das wiederhergestellte Mosaik erneut präsentieren zu können: "Aus konservatorischer Sicht sollte eine Präsentation des Marienmosaiks in einem Innenraum einer Präsentation im Außenraum vorgezogen werden", schreibt Janka Acht. Angesichts der Größe des Mosaiks und seines Gewichts von 860 Kilogramm stellt das nicht die geringste Herausforderung dar. Mit einem Trägersystem erhöhte sich das Gewicht auf gut 1,5 Tonnen, rechnet Acht vor. Das Trägersystem sollte mobil angelegt sein, denn ein "heute als geeignet empfundener Standort könnte sich zu einem späteren Zeitpunkt als ungeeignet herausstellen." Das würde auch bedingen, dass eine Trägerplatte mit aufgebrachten Mosaikflächen nicht schwerer als 60 Kilogramm sein darf, um noch von zwei Personen getragen werden zu können.
Mit der Masterarbeit von Janka Acht liegt eine wegweisende Untersuchung vor. Jetzt ist das Erfurter Domkapitel gefragt, welches der nur grob beschriebenen Konzepte es umsetzen lassen will. Teuer wird es in jedem Fall werden, soll sich das Marienmosaik nicht in seine Bestandteile auflösen. Mitte September ist die nächste gemeinsame Sitzung der Domkapitulare. Ob dann schon eine Entscheidung gefällt werden kann, deutet sich im Moment noch nicht an.
15.08.2016