Maria, Mutter der Kirche

Predigt zur Seniorenwallfahrt 2022 von Weihbischof Reinhard Hauke

Lesungen:  Offb 21, 1-5a;  Mt 12, 46-50

„Gott, du Vater des Erbarmens, dein Sohn hat am Kreuz seine Mutter Maria auch uns zur Mutter gegeben. Schau hin auf seine große Liebe, lass die Kirche zur Mutter vieler Kinder werden, an deren Heiligkeit sie sich freuen kann, und führe alle Völker in ihre Gemeinschaft.“

Dieses Tagesgebet wird seit dem 24. März 2018 durch Papst Franziskus vorgeschlagen, der die Kirche vor 4 Jahren eingeladen hat, in der Zeit nach Pfingsten – am besten in der direkt folgenden Woche - eine heilige Messe zu Ehren der Gottesmutter Maria als Mutter der Kirche zu feiern, um in diesem Gedenken nach dem großen Pfingstfest die Bedeutung Mariens für die Kirche hervor zu heben. Hier auf dem Hülfensberg stehen sich der Kreuz-Altar und der Marien-Altar gegenüber. Manche zünden gern eine Kerze an  b e i d e n  Altären an, um zu zeigen, dass sie Maria als Helferin für ihre Bitten bei Christus in Anspruch nehmen wollen, wozu Jesus besonders in den letzten Worten am Kreuz einlädt, wenn er zum Apostel Johannes sagt: „Siehe da, deine Mutter!“ Johannes gilt als Vertreter der Kirche und erhält Maria als Fürsprecherin. In zahlreichen Pfingstdarstellungen sitzt Maria inmitten der Apostel und empfängt mit ihnen die Gabe des Heiligen Geistes. Auch wenn sie selbst schon durch die Verkündigung des Erzengels Gabriel als Frau „voll der Gnade“ bezeichnet wird, so ist sie doch auch weiterhin empfänglich für die Stärkung durch den Heiligen Geist und kann den Heiligen Geist uns bezeugen und erbitten, wie es alle Heiligen tun.

An den Fest- und Gedenktagen Mariens versuchen wir, ihr Leben tiefer zu verstehen:
Das Evangelium berichtet heute von der spannenden Situation, dass Maria mit ihren Verwandten Jesus sprechen möchte, während er mit den Leuten in einem Haus redete. In dieser Situation wird eine Priorität gesetzt, die nicht leicht zu verkraften ist. Jesus geht nicht zu seiner Mutter und den Verwandten hinaus. Er scheint sogar die Bedeutung seiner Mutter kleinmachen zu wollen, wenn er sagt, dass ja doch alle, die ihm zuhören seine Mutter und seine Brüder und Schwestern sind. Das entscheidende Kriterium für eine Zugehörigkeit zu Jesus ist also die Bereitschaft, ihm zuhören zu wollen. Die Mutterrolle Mariens ist also auch von ihrer Bereitschaft abhängig, dem Wort Gottes einen Platz im Leben zu geben. Dazu ist Maria ja grundsätzlich bereit und hat das durch ihr JA bei der Verkündigung durch den Erzengengel bezeugt. Ihre Rolle in der Kirche ist eine mütterliche Rolle geworden, wo sie sich nicht in den Vordergrund schiebt oder schieben lässt, sondern dienend und hörend bei Jesus Christus bleibt. Den Dienst einer Mutter kann ich mir so gut vorstellen. Ich darf sicherlich auch sagen, dass ich ihn bei meiner Mutter erlebt habe. Die Mutter war bestimmend durch ihre große Nähe zu uns Kindern, aber sie war auch in der 2. Reihe, wenn es um die großen Entscheidungen für die Familie ging – oder man kann auch sagen: Sie war gleichberechtigt neben dem Vater und hatte ihre eigenen Wege, um Entscheidungen zu bewirken. Das Muttersein Mariens in der Kirche ist keine Konkurrenz zu Jesus Christus, den wir als Haupt der Kirche bezeichnen. Durch ihre Fürsprache tritt sie bei ihrem Sohn für uns ein und bewirkt, was auch sie als sinnvoll für uns Menschen ansieht.

Die Lesung aus der Offenbarung des Johannes ist eine Beschreibung der Anwesenheit Gottes in dieser Welt im Bild der himmlischen Stadt, die zu uns Menschen kommt. Das soll geschehen, wenn die Welt am jüngsten Tag erneuert wird. Alles, was es einmal gab, wird es nicht mehr geben, denn es wird etwas Neues kommen. Gott wird in dieser neuen Stadt unter uns wohnen und dadurch alles Leid der Welt hinausschaffen. Die Kirche hat in dieser neuen Stadt auch Maria gesehen, die in dieser Stadt thront und Christus auf ihrem Schoß. Im Erfurter Dom gibt es ja dieses alte Wallfahrtsbild von Maria als „Sitz der Weisheit“ Gottes. Dort sitzt Maria auf einem Thron, der wie eine Stadt mit vier Türmen aussieht, und Jesus thront in der Mitte der Stadt auf ihrem Schoß. Seit 1182 wird dieses Bild im Dom verehrt und man konnte es ursprünglich nur sehen, wenn man die steile Treppe in den Nordturm gestiegen ist, wo die Madonna gezeigt wurde. Heute steht sie im Untergeschoß des Südturmes und viele Besucher und Gläubige schauen sie an und bitten für ihre Familien. Bei einer Taufe im Dom ist dort immer der Abschluss mit dem Marienlied. Zu Maria kehren wir immer zurück und schließen wichtiges Tun bei ihr mit einem Gebet oder Lied ab. Wie auch Kinder gern nach einer Reise wieder zu ihrer Mutter zurückkehren und erzählen, was sie erlebt haben, so können auch wir es tun, wenn wir vor dem Bild der Gottesmutter inne halten und den Weg bedenken, den wir zurückgelegt haben. Sicherlich können wir das auch vor dem Kreuz tun, aber ich habe den Eindruck, es fällt uns bei Maria leichter, da wir sie ja doch sehr stark als Frau aus dem Volke sehen, die mit ihrem mütterlichen Sorgen uns ganz nahe war und ist.

In der Kirche heute wird sehr nach den Frauen gefragt und welche Rolle wir ihnen zutrauen. Es gibt schon bedeutsame Anstrengungen des Papstes und der Bistümer, den Anteil der Frauen zu erhöhen. Schon bei der Frauenwallfahrt habe ich die Namen der Frauen im Vatikan genannt, die oftmals in der 2. Reihe arbeiten, aber doch sehr präsent sind mit ihrer Kompetenz. Hier noch einmal ihre Namen:
Raffaella Petrini, eine 1969 in Rom geborene Franziskanerin und Sozialwissenschaftlerin, wurde 2021 Generalsekretärin des vatikanischen Gouvernorats und damit die Nummer Zwei im Vatikanstaat. Seit 2019 ist sie Professorin für Wallfahrtsökonomie und Wirtschaftssoziologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Dominikaner-Universität „Angelicum“ in Rom. Auch Schwester Alessandra Smerilli ist als Sekretärin des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen an zweiter Stelle hinter Kardinal Peter Turkson. Innerhalb von 10 Jahren hat sich der Anteil von Frauen als Mitarbeiterinnen am Heiligen Stuhl von 17 auf 24 Prozent erhöht, d.h. von 385 auf 649. Auch sind seit 2017 verheiratete Frauen mit Familie und Kindern dabei, wie die beiden Untersekretärinnen im Dikasterium für Laien, Familie und Leben: Frau Gabriela Gambino und Frau Linda Ghisoni.

Seit 2021 arbeitet in Rom eine Kommission zum Diakonat der Frau, zu der neben der Theologin Barbara Hallensleben aus Fribourg auch Professor Manfred Hauke aus Lugano zählt, mit dem ich oft verwechselt werde. Der letzte Kommentar von Professorin Hallensleben lautet: „In näherer Zukunft ist ein weiteres Treffen zu erwarten – das zeigt den Willen, zu einem Ergebnis zu kommen.“

Maria wird aber nicht einfach nur als Frau verehrt, sondern weil sie als Frau auch die mütterliche Position in der Kirche eingenommen hat. Sie wirkt im Verborgenen. Wir hören von ihr immer nur im Abstand von über 12 Jahren: nach dem Wiederauffinden Jesu im Tempel von Jerusalem hören wir wieder von ihr bei der Passion und im Jerusalemer Abendmahlssaal. Deswegen wohl sind die Menschen hungrig nach neuen Informationen über sie. Die Wallfahrtsorte mit nachgewiesenen Erscheinungen oder wundertätigen Bildern und Skulpturen erfahren ein besonderes Interesse. Bisweilen gibt es dort mahnende und zukunftsweisende Worte, wie sie eine Mutter tätig, aber sie gehen niemals über das hinaus, was die Heilige Schrift uns sagt. Päpste haben nach Befragung des Gottesvolkes über die Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele oder Unbefleckte Empfängnis Mariens entschieden und Glaubensaussagen proklamiert. Alles können wir aber zusammenfassen im Bekenntnis, das der Erzengel Gabriel zu Maria sagte: „Du bist voll der Gnade.“ Weil Maria vom Heiligen Geist erfüllt ist, kann sie auch für die Kirche heilbringend wirken. Angesichts der zahlreichen Fragen in unserer katholischen Kirche heute ist ihre Hilfe besonders nötig. Mit Souveränität muss sie uns helfen, die Fragen des Synodalen Weges zu besprechen und zu entscheiden. Mit ihrem mütterlichen Rat muss sie uns helfen, die Fragen nach einer Seelsorge bei der schwindenden Zahl an seelsorglichen Personal zu beantworten. Was müssen wir aufgeben und was neu beleben? Mütterlicher Rat ist gefragt.

Das Gebet auf dem Hülfensberg gilt sicherlich für viele Pilger dem Gehülfen. Dieses altehrwürdige Bild des Christkönig am Kreuz ist uns kostbar und lieb. Aber auch die Gottesmutter soll heute in der Verehrung einen guten Platz haben. Vor allem sollten wir sie bitten, uns ausreichend Priester und Gemeindereferentinnen zu schicken, damit die 33 Pfarreien des Bistums lebensfähig bleiben. Ich bin sicher, dass vor allem dann, wenn Mütter und Großmütter zu Maria, der Mutter Jesu und der Mutter der Kirche beten, es eine große Wirkung hat. Amen.