Predigte auf der Runneburg:
Bischof Joachim Wanke
Elisabeth-Predigt von Bischof Joachim Wanke beim Burgengottesdienst auf der Runneburg
Wer schon die Ausstellung über die hl. Elisabeth auf der Wartburg gesehen hat, oder auch jene Räume, die ihrem Andenken auf der Neuenburg, der Creuzburg oder auch hier auf der Runneburg gewidmet sind, der hat sicher auch über manche mittelalterlichen Kostbarkeiten gestaunt, die zu Elisabeths Ausstattung als Landesfürstin gehörten: Schmuck und Gewänder, kostbare Bücher und wertvolle Gegenstände des Haushaltes. Vergessen wir es nicht: Elisabeth gehörte zum Hochadel ihrer Zeit. Sie war eine reiche Frau. Wir würden heute sagen: Sie gehörte zu den "besser Verdiendenden", den oberen Zehntausend!
Und doch - als es darum ging, im Land die Hungernden zu speisen, hat sie alles drein gegeben. Sie hat ihren Reichtum nicht gehortet. Ja, sie war reich - und war im Herzen doch arm geblieben. Elisabeth - eine Frau der Gegensätze.
Und was auch zu ihrem Leben als Fürstin gehörte, war die Dimension der Macht. Sie war, gerade auch wenn Ludwig auf Reisen war - und das geschah sehr häufig - , die oberste Repräsentantin der Landgrafschaft. Sie musste entscheiden, Recht sprechen, Streit schlichten und die Linien der Politik (zumindest mit)bestimmen. Soweit wir das wissen, hat sie das auch getan. Sie hat sich auch nicht gescheut, später im Blick auf ihre fürstliche Herkunft ihre Ansprüche gegenüber einer schäbig handelnden Verwandtschaft durchzusetzen.
Und doch - als es darum ging, dem Ruf Jesu zu folgen, da hat sie alle fürstlichen Insignien der Macht abgelegt. Da hat sie einen grauen Kittel angezogen, sich hingekniet und den Kranken gedient. Elisabeth - eine Frau der Gegensätze.
An diese Gegensätze dachte ich, als ich über unser heutiges Evangelium nachdachte. Auch dort ist von Dingen die Rede, die unserem alltäglichen Empfinden und Verhalten widersprechen. Wer macht das nicht: Gleiches mit Gleichem vergelten. Im Guten wie im Bösen. "Wie du mir, so ich dir!" Und dann hören wir das Wort des Herrn: Verzichte auf Vergeltung! Leiste dem Bösen keinen Widerstand! Schaukle das Böse durch dein Tun nicht auf, - sondern lass es gleichsam verpuffen! Liebe auch deinen Feind, nicht nur deinen Nächsten. Welch ein Gegensatz zu dem, was als normal und allgemeingültig angesehen wird.
Ja, das ist offensichtlich: Elisabeth und Jesus sind miteinander geistig verwandt. Beide sind aus dem gleichen geistlichen Holz geschnitzt. Elisabeth lebte unter den Bedingungen ihrer Zeit das, was Jesus uns im Evangelium rät: dem Vater im Himmel in seinem Handeln ähnlich zu werden. "Seid vollkommen, wie es auch euer himmlischer Vater ist!" Lebt nach Gottes Art, nicht nach Art des unerlösten, egoistischen Menschen!
Die Worte Jesu sind bekanntlich nicht in kleine, handliche Lebensrezepte aufzulösen. Sie sind keine Gesetzesparagraphen. Sie sind ein Weckruf. Sie wollen Wegweisung sein für die Richtung, in die wir gehen und leben sollen. Man kann mit der Bergpredigt - wie einmal einer gesagt hat - keinen Staat machen. Aber die Bergpredigt will uns zeigen, aus welchem Geist man einen Staat, eine Gesellschaft, und auch sein persönliches Leben gestalten kann.
Elisabeth hat aus diesem Geist der Bergpredigt gelebt - auch als Fürstin, auch als Frau, die reale Macht besessen und ausgeübt hat. Fragen wir einmal: Wie hat sie ihre Macht, die ihr über Menschen gegeben war, verstanden? Wie hat sie ihre fürstliche Macht gebraucht?
1. Als Macht für das Wohl der Menschen
Vielleicht hat Elisabeth hier auf der Runneburg ihrer Dienerschaft befohlen, nur solche Speisen zur Tafel zuzulassen, die nicht durch Erpressung und Raub erworben wurden. Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass sie eine solche Anweisung gegeben und nach ihr gelebt hat - sehr zum Ärgernis ihres Hofstaates.
Elisabeth hat also durchaus beansprucht, was ihr als Fürstin zukam. Es bedarf der Macht, auch der auf materiellen Gütern beruhenden Macht, damit diese sich zum Segen für die Menschen auswirken kann. Dafür hat Elisabeth gesorgt. Aber die Macht ist nicht Selbstzweck. Sie hat dem Heil der Menschen zu dienen. Der englische Schriftsteller Chesterton hat in seiner pointierten Art einmal gesagt: Der Staat ist einzig zu dem Zweck da, dass zwei Freunde in Frieden und Ruhe miteinander ein Glas Wein trinken können.
Staatliche Macht ist natürlich noch zu vielen anderen Zwecken da. Aber richtig an dem Bonmot Chestertons ist die Einsicht, dass jede Macht gegeben ist, damit die Menschen in Frieden und Gerechtigkeit leben können, als Einzelne, in einem Gemeinwesen und als Völkergemeinschaft.
Wir denken an das andere Wort Jesu: "Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein...." (Mk 10,42f). Danach hat Jesus gehandelt. Seine göttliche Macht ist uns zum Heil geworden. Das hat sein Blut gekostet, nicht unseres. Daran erkennt man, wie Macht gebraucht werden soll.
Das hat Elisabeth uns vorgelebt. Jeder politisch, wirtschaftlich Mächtige, auch die Mächtigen unter den Medienmachern und die Einflussreichen in unseren modernen Gesellschaften können sich daran messen, auch heute: Macht ist gegeben, damit Menschen aufatmen können. Macht soll schützen, soll Lebensraum eröffnen, den Frieden wahren helfen und Gerechtigkeit befördern. Darum ist Macht nicht in sich schlecht und a priori böse - sondern, recht gebraucht, eine Gabe zum Leben. - Wie hat Elisabeth ihre Macht verstanden?
2. Als Macht, die andere freisetzt.
Soweit wir wissen, war Elisabeth keine einsame Frau. Sie hat die Menschen ihrer Umgebung zu gewinnen gesucht. Wir wissen sicher zu wenig über Einzelheiten auch ihres politischen Wirkens. Doch bezeugen Worte und Taten, dass sie Menschen einzubeziehen suchte in das, was auch sie bewegte: Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst.
"Wir sollen die Menschen froh machen!" - dieses Wort hat Elisabeth nicht allein in die Tat umgesetzt. Sie hat dazu ihre Dienerinnen motiviert, hat mit dem Ideal ihrer Armenfürsorge andere angesteckt, die Magistrate der mittelalterlichen Städte, die eingesetzten Vögte, die Ministerialbeamten, ihre fürstlichen Verwandten - ja, und auch die, die in der Kirche mächtig waren. Ihre Macht und ihren Einfluss hat sie genutzt, andere in ihrem Sinne, im Geist des Evangeliums zu beeinflussen. Das Krankenhaus am Fuß der Wartburg, das Hospital in Marburg, das von Ludwig gegründete Hospital in Gotha - solche Einrichtungen brauchten Menschen, die selbst vom Geist der Gottes- und Nächstenliebe angesteckt waren.
Elisabeth hat durch ihr Wort und Lebensbeispiel anderen geholfen, eigenständig und selbstverantwortlich den Weg der Nachfolge Jesu zu wagen - mündig zu werden als Christenmenschen. Im Blick auch auf die Wirkungsgeschichte ihres Lebens durch die Jahrhunderte bis heute, ich denke da besonders auch an die Ordensgründungen in ihrem Geist, kann man sagen: Von Elisabeth geht ein mächtiger Impuls tätiger Nächstenliebe aus. Ihre Macht, ihr Einfluss, ihr Beispiel hat andere mit einem Feuer der Liebe angesteckt, das bis heute brennt.
- Wie hat Elisabeth ihre Macht verstanden?
3. Als Macht, die sich Gott verantwortlich weiß.
Dazu brauche ich nicht viele Worte machen. Wir wissen, wie manche Politiker sich heute schwer tun, bei ihrem Amtseid den Namen Gottes zu erwähnen. Sie wollen nur ihrem Gewissen oder gegenüber dem Volk, das sie gewählt hat, verantwortlich sein. Da kann man nur hoffen, dass sie ein waches Gewissen haben, kein weitmaschiges, sondern ein geschärftes Gewissen, das weiß, wo Unrecht und Lüge anfangen.
Elisabeth hat, natürlich eingebettet in das Grundverständnis mittelalterlicher Herrschaftsideale, sich in ihrer Machtstellung Gott verantwortlich gewusst. Das kommt in ihrem Leben zum Vorschein, wenn sie immer wieder im Evangelium liest und auch in der Zeit ihres Aufenthalts auf der Wartburg die Kapelle als ihren Zufluchtsort ansieht. Ihre Entschlüsse und Taten sind vor dem Tabernakel gereift. Auch als Fürstin, nicht nur als Ehefrau, Mutter und Helferin der Armen hat sie sich dem für uns Gekreuzigten verpflichtet gewusst. Das hat sie befähigt, so erstaunliche und ihre Umgebung schockierende Zeichen zu setzen.
Derzeit müssen wir erleben, dass der Name Gottes für terroristische Taten missbraucht wird. Auch wenn wir wissen, dass dies ein Missbrauch Gottes ist, der auch dem muslimischen Selbstverständnis widerspricht, ist das eine schwere Belastung für gottgläubige Menschen. Denn das wirft einen Schatten auf die Religion überhaupt, auch auf das Christentum, weil damit der Verdacht verknüpft wird, der Glaube an Gott mache intolerant und alle Gläubigen sind letztendlich doch irgendwie Talibane.
Darum ist das Lebenszeugnis der heiligen Fürstin Elisabeth, einer Frau im politischen Machtzentrum ihrer Zeit, so wichtig. Darum ist es wichtig, sich gläubiger Politiker unserer Zeit zu erinnern, die aus dem Geist des Evangeliums für ihre Völker wie für Europa Segensreiches gewirkt haben, etwa wie Robert Schumann, De Gasperi, auch Adenauer, oder der leider so schnell vergessene Dag Hammarskjöld und viele andere. Der Gottesglaube kann auch von Mächtigen missbraucht werden. Denken wir nur an das pseudoreligiöse Reden Adolf Hitlers.
Wer sich in seiner Ausübung von Macht wirklich dem Gott und Herrn Jesu Christi verantwortlich weiß, ist gefeit vor Machtmissbrauch. Es kommt eben darauf an, welchem Gott man sich verpflichtet weiß - den falschen Göttern und Götzen etwa eines fanatischen Nationalismus oder sonstiger Ideologien, oder einem Gott, der nicht andere leiden lässt, sondern in Jesus Christus selbst für uns gelitten hat, um alle Menschen an sich zu ziehen.
Unser Gottesdienst heute auf der Runneburg, einem Machtzentrum des ludowingischen Fürstentums zur Zeit der hl. Elisabeth, hat uns angeregt, über politische Macht nachzudenken. Das Ausüben von Macht gehört zu den Fundamenten eines geordneten Miteinanders im Zusammenleben der Menschen und Völker. Aber - so haben wir im Blick auf Elisebeth gelernt - es muss eine Macht sein
- für das Wohl der Menschen,
- eine Macht, die freisetzt und nicht niederdrückt und entmündigt
- eine Macht, die sich Gott verantwortlich weiß. Denn nur so erkennt sie ihre wirkliche Bestimmung und ihre eigenen Grenzen.
Ja, es ist gut, für die zu beten, die uns regieren. Das wollen wir in diesem Gottesdienst tun. Amen.
Burgengottesdienste eröffnen die Elisabethwallfahrt