Mach den ersten Schritt!

Predigt von Bischof Wanke zur Männerwallfahrt 2007

Lesen Sie die Predigt von Bischof Wanke zur Männerwallfahrt 2007

Im Folgenden können Sie den Wortlaut der Predigt von Bischof Dr. Joachim Wanke bei der Männerwallfahrt im Klüschen Hagis/Eichsfeld, Christi Himmelfahrt 2007, nachlesen:


"Ein kleiner Schritt für einen Menschen - ein großer Schritt für die Menschheit!" Das sagte der amerikanische Astronaut Neil Armstrong, als er am 20. Juli 1969 als erster Mensch den Mond betrat. Die Fotos der Stiefelabdrücke des Astronauten auf der staubigen Mondoberfläche fehlen heute in keinem Weltraumlexikon.


Erste Schritte haben es in sich. Vielleicht erinnert ihr Väter euch, bei welcher Gelegenheit und wo genau euer Sprössling auf wackligen Beinen den ersten eigenständigen Schritt getan hat. "Sieh an, er kann schon laufen!" "Sie kann schon auf den Beinen stehen!" Der Anfang ist immer bemerkenswert und Grund zur Freude.


Unsere diesjährige Wallfahrt - die 51.! - fällt ins Elisabethjahr. Ich freue mich sehr, dass unsere Bistumspatronin anlässlich ihres 800. Geburtstages so intensiv geehrt wird. Und das nicht nur in unseren katholischen Pfarrgemeinden und Verbänden. Ganz Thüringen findet Elisabeth sympathisch. Auch Leute, die mit Heiligen sonst wenig anfangen können! Wie kommt das wohl?


Das Lebensbeispiel unserer großen Patronin steht für eine überzeugende Barmherzigkeit. Von ihrem Leben geht ein Strom von Licht und Wärme in die Welt - damals wie heute. Und so ganz nebenbei bekommt man auch mit, was die Energiequelle ihrer barmherzigen Menschenliebe war: die Liebe Gottes, die Elisabeth im Anschauen des gekreuzigten Herrn so machtvoll und unwiderstehlich in ihren Bann gezogen hat.


Elisabeth hat verstanden: Gott ist es, der den ersten Schritt auf uns zugeht. Ehe wir lieben, sind wir geliebt. Ehe wir vergeben, wird uns vergeben. Ehe wir Gutes tun, haben wir Erbarmen gefunden, mehr als wir verdienen. Das ist die Quelle, aus der Elisabeth schöpfen kann - und die auch uns offen steht.


Heiligenleben haben freilich so ihre Probleme. Sie stehen gleichsam auch im übertragenen Sinn auf einem hohen Podest. Und da guckt man so aus den Niederungen des eigenen Alltags auf sie, wie sie da oben in luftigen Höhen stehen und glänzen - und sagt sich: Das ist nichts für mich. Ich bin nicht so heroisch, nicht so selbstlos, nicht so fromm. Bei mir langt es nicht zur Heiligkeit. Ich bin schon froh, wenn ich so einigermaßen anständig über die Runden komme. Mehr will ich nicht. Und im Ü;brigen sind auch heute die Zeiten anders als damals.


"Mach den ersten Schritt!" Unser Wallfahrtswort bekommt auf einmal angesichts dieser Ü;berlegungen anspruchsvollere Konturen. "Mach den ersten Schritt! Stillstehen heißt aufgeben. Du musst in Bewegung kommen, in Bewegung bleiben!" In welche Richtung? Auf den Nächsten zu; auf die Kirche zu; auf Gott zu.


1. Mach den ersten Schritt - auf den Nächsten zu.

Da braucht es nicht viele Worte. Elisabeth ist nicht nur zu feiern - sie ist nachzuahmen. Vor drei Wochen haben Frauen und Männer aus unseren Gemeinden, Verbänden und Gemeinschaften bei einem Pastoraltag unseres Bistums darüber nachgedacht, wie das heute aussehen könnte.


Unser Papst schreibt in seiner Enzyklika "Deus caritas est": "Es gibt keine gerechte Staatsordnung, die den Dienst der Liebe überflüssig machen könnte. Wer die Liebe abschaffen will, ist dabei, den Menschen abzuschaffen. Immer wird es Leid geben, das Tröstung und Hilfe braucht. Immer wird es Einsamkeit geben. Immer wird es auch die Situationen materieller Not geben, in denen Hilfe im Sinn gelebter Nächstenliebe notwendig ist. Der totale Versorgungsstaat, der alles an sich zieht, wird letztlich zu einer bürokratischen Instanz, die das Wesentliche nicht geben kann, das der leidende Mensch - jeder Mensch - braucht: die liebevolle persönliche Zuwendung" (Nr. 28 b).


Es ist gut, dass es Sozialeinrichtungen gibt. Ich freue mich immer, wenn ich die kleinen Flitzer der Eichsfelder Caritas-Sozialstation auf den Straßen sehe. Mir steht vor Augen, welches Pensum diese Frauen abzuarbeiten haben. Ich möchte ihnen bei solchen Begegnungen immer ein Danke zurufen!

Und es ist gut, dass wir kirchliche Häuser haben, die sich junger Menschen annehmen wie die Villa Lampe in Heiligenstadt oder das Mutter-Kind-Haus Teresa in Kirchworbis und das Kinderheim St. Josef, von den Vinzentinerinnen in Heiligenstadt geführt.


Der barmherzige Samariter, der dem unter die Räuber Gefallenen erste Hilfe leistete, war sicher froh, dass es eine Herberge gab mit einem Wirt und seinen Leuten, wo er den Blessierten zur Dauerpflege abliefern konnte. Aber: Er hat später noch einmal hereingeschaut und den Wirt nicht mit seinen Kosten und der Sorge um den Verletzten allein gelassen.


Ihr merkt, was ich sagen will: Redet und denkt gut von denen, die in Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Rotem Kreuz und anderen sich professionell um Mitmenschen kümmern. Steht zu den kirchlichen Einrichtungen im Bereich eurer Pfarreien, den Krankenhäusern, Senioren- und Pflegeheimen, Sozialstationen und - aus gegebenem Anlass füge ich das hinzu - nicht zuletzt auch zu den kirchlichen Kindergärten. Wir waren froh, sie in kommunistischer Zeit zu haben. Steht jetzt zu ihnen auch in marktwirtschaftlichen Zeiten! Ein kirchlicher Kindergarten ist mehr als ein Kostenfaktor. Er ist eine Pflanzstätte des Gottesglaubens.


Das ist der eine Appell. Aber ich füge auch diesen zweiten hinzu: Sagt nicht: Wenn wir solche Einrichtungen haben - das reicht! Gut, dass die das machen - ich selbst, wir als Pfarrgemeinde sind dann von der Nächstenliebe dispensiert. Nein, und ich sage das gerade auch im Elisabethjahr: Jeder von uns, unsere Pfarrgemeinden insgesamt müssen barmherzige, aufmerksame und einfühlsame Samariter bleiben!


Gottlob, da geschieht schon viel Gutes über die bezahlte, beruflich ausgeübte Nächstenfürsorge hinaus - in den Familien, in den Nachbarschaften, in Verbänden und Dorfgemeinschaften. Aber ruhen wir uns nicht darauf aus! Ich rege an, einmal im Jahr eine PGR-Sitzung ausschließlich diesem Thema zu widmen: Was sind heute bei uns vor Ort Nöte, um die sich kein Sozialamt und keine Sozialstation kümmert? Ich vermute einmal, da werden wir mehr zu sehen bekommen, als uns lieb ist.

"Mach den ersten Schritt - auf den Nächsten zu!"


2. Mach den ersten Schritt - auf die Kirche zu!

Heute morgen habt ihr euch auf den Weg gemacht, mit Auto, Fahrrad und zu Fuß. Ein wichtiger Teil des Gottesdienstes ist der Weg zum Gottesdienst, das Unterwegs-Sein, das Sich-Aufmachen, kurz: der erste Schritt, dem viele andere Schritte folgen.


Liebe Wallfahrer, wir müssen wieder die Kirche entdecken, zu der man sich aufmachen muss! Ihr Diasporakatholiken seid das gewohnt. Da ist nicht immer die Kirche gleich um die Ecke. Hier steht uns auch im Eichsfeld ein Lernprozess bevor.


Es ist kein Geheimnis: Das Netz unserer Pfarreien im Eichsfeld und im Bistum insgesamt wird weitmaschiger. Wir müssen das Kleid der Kirche den veränderten Verhältnissen anpassen. Es gibt weniger Priester - ganze drei Priesteramtskandidaten hat unser Bistum im Erfurter Seminar und die Häupter der vorhandenen Priester und Ordensleute werden immer grauer. Auch müssen wir uns überlegen, was an Gebäuden und Aufgaben und Personalbestand zu halten ist - und was nicht. Viele von Euch tragen diese Veränderungsprozesse in den Pfarreien und ihren Gremien verantwortlich mit. Dafür möchte ich an dieser Stelle sehr herzlich danken.


Aber unabhängig von der Notwendigkeit von Veränderungen in Pfarrgrenzen, Immobilienbestand und Gottesdienstangeboten gilt: Wir werden in Zukunft noch mehr eine bewegliche Kirche werden müssen.


Mach den ersten Schritt - auf die Kirche zu. Das bedeutet:


Die Treue im regelmäßigen Gottesdienstbesuch wird uns auch weiterhin Entschiedenheit und Kraft abverlangen. Ich freue mich, dass es in allen Gemeinden einen guten Kern gibt, der weiß, wie wichtig der Messbesuch am Sonntag ist. Ich möchte euch darin bestärken! Haltet unbedingt daran fest.


In Zukunft werden freilich die Wege zur sonntäglichen Eucharistiefeier länger werden. Der eine oder andere Wortgottesdienst, gehalten durch Diakone und Diakonatshelfer mag Entlastung schaffen, besonders für jene, die weniger beweglich sind. Doch können wir auf Dauer keine eucharistielose Kirche werden. Gerade Familien mit Kindern, gerade jungen Leuten rate ich, die Eucharistiefeier in einer größeren Gemeinde in der Nachbarschaft, in der Stadt, in einem Kloster, an einem Wallfahrtsort bewusst zu suchen.


Mach den ersten Schritt - auf die Kirche zu. Das bedeutet:

Es muss in Zukunft möglich sein, ein persönliches Dankamt zum Silbernen oder Goldenen Ehejubiläum auch mit einem Gemeindegottesdienst zu verbinden, oder auch den erbetenen Gottesdienst anlässlich eines Jahrgangstreffens oder eines Vereinsjubiläums. Ist das nicht eigentlich auch erfreulich zu wissen: Wir feiern in der Familie, in der kleineren Gruppe nicht allein! Viele in der Gemeinde freuen sich mit uns. Sie beten mit, nehmen Anteil und freuen sich mit an dem, was uns als Eheleuten von Gott geschenkt wurde.


Gottesdienst ist letztlich nie Privatsache, so sehr die vorhandenen Priester sich bemühen werden, den Familien und ihren Anliegen entgegenzukommen, besonders beim Sterbeamt, zu dem auch die auswärts wohnenden Angehörigen kommen wollen. Und ist es eigentlich schlimm, wenn zwei Silber- oder Goldpaare sich zusammentun, um gemeinsam in der Kirche in einem gemeinsamen Festamt Gott für ihren Jubeltag zu danken? Das meine ich mit Beweglichkeit, die heute gefordert ist - im Gegensatz zu einer Mentalität die sagt: Das war immer so und das muss immer so bleiben.


Mach den ersten Schritt - auf die Kirche zu. Das bedeutet:

Nicht überall, nicht in jeder der kleineren Gemeinden wird das volle Seelsorgeangebot für alle vorgehalten werden können. Schon jetzt ist es so, dass Kinder- und Jugendarbeit sich in den größeren Orten konzentrieren muss. Vorträge, geistliche Angebote und Verbandsarbeit können schon heute nur ortsübergreifend angeboten werden. Ein positives Beispiel etwa sind die in den letzten Jahren immer besser angenommenen Abende des Katholischen Eichsfeldforums mit Themen, zu denen wir als katholische Christen eine Meinung haben sollten. Und ist nicht auch diese Wallfahrt - und manches andere, was auf dem Hülfensberg, dem Kerbschen Berg und in Leinefelde-Südstadt passiert - ein Angebot über den örtlichen Rahmen hinaus?


Wege sind nicht nur etwas Negatives. Sie sind eine Chance. Sie können uns bereichern. Sie halten beweglich. Sie helfen uns, lebendige Kirche zu bleiben.

Mach den ersten Schritt - auf die Kirche zu.


3. Mach den ersten Schritt - auf Gott zu!

Das ist die entscheidende Grundbewegung unseres Lebens. Wir gehen an der Hand Christi dem Vater im Himmel entgegen. Da sind wir alle miteinander immer noch Lernende beim Laufen. Zugegeben. Aber sind wir wirklich noch am Laufen?


Lasst es mich einmal so sagen: Meine große Sorge als Bischof ist, dass viele, all zu viele das Laufen und Sich-Abmühen auf dem Weg zu Gott hin aufgegeben haben.

Regelmäßige Sonntagsmesse? - Was soll?s.

Gebet im Alltag? - Das bringt ohnehin nichts.

Die lassen sich scheiden. - Na und?

Der ist aus der Kirche ausgetreten. - Das ist mir doch egal.


Es legt sich ein Grauschleier der Gottesferne über das Eichsfeld und unser Land. Ich behaupte einmal: Im Sozialismus haben uns die Parteifunktionäre geholfen, unseren Gottesglauben zu schätzen. Aber heute? In dieser "Alles-egal-Mentalität"? In den öffentlichen Diskussionen spielt der Gottesglaube kaum noch eine Rolle. Sittliche Standards werden als Privatsache abgetan. Kirchenzugehörigkeit wird abgelegt wie ein alter Anzug.


Nein - hier wird nicht mehr gelaufen. Hier hat man sich zur Ruhe gesetzt. Hier ist das Ziel aus dem Blick geraten. Statt an den Himmel Gottes zu denken heißt jetzt die Devise: Fit bleiben für die Marktwirtschaft - koste es, was es wolle. Dran bleiben an der Unterhaltungsgesellschaft, mag darüber auch Glaube und kirchliche Praxis verloren gehen.


Liebe Wallfahrer,

mein Problem ist immer, dass ich euch, die ihr hier seid, Dinge sagen muss, die eigentlich für die nicht hier Anwesenden bestimmt sind. Aber dennoch sage ich es - in der Hoffnung, dass es sich im Eichsfeld herumspricht:


Ihr Eichsfelder katholischen Männer, verratet nicht für Westgeld euren angestammten Glauben! Und Ihr Christen aus der Diaspora: Bleibt wie damals in kommunistischer Zeit Christus treu, auch wenn dieser Glaube nicht von Mehrheiten gestützt wird. Wer auf Gott und seine Verheißungen setzt, kann auch in gewendeter Zeit gerade und aufrecht gehen und muss nicht nach neuen Ersatzgöttern suchen.


Ein Ersatzgott ist heute ohne Zweifel das Geld. Und zwar das Geld, das man hat - oder haben könnte. Es gibt nicht nur auf Vorstandsetagen von Aufsichtsräten Geldgier. Es gibt sie unter uns, bei den kleinen Leuten. Bei denen, die - wenn sie ehrlich sind - sagen müssten: Wir haben heute mehr als früher, und manchmal mehr als wir brauchen. Ist das zu hart gesagt?


Ich verkenne nicht die Mühsal des Alltags und den harten Existenzkampf, den manche um ihrer Familien willen führen müssen, gerade manchmal auch Selbständige oder jene, die in der Ferne ihr Brot verdienen müssen oder die keine Arbeit haben. Aber, liebe Wallfahrer: Die Freude an ehrlich verdientem Geld und die Gier nach immer mehr und um jeden Preis sind zwei verschiedene Paar Schuhe.


Nochmals: Wer Gottes Anspruch auf Anbetung und die Heiligung des eigenen Lebens dem Mammon opfert und seine Ehe als beliebig zu wechselndes Hemd ansieht, und das noch rechtfertigt mit dem Hinweis: Na und? Das machen doch heute viele so! - der verleugnet den Glauben. Er ist, auch wenn er noch Weihnachten mal zur Kirche geht, nicht mehr katholisch.


Und um der Klarheit willen füge ich hinzu: Katholisch sein meint nicht nur, ein anständiger Mensch zu sein. Anständige Leute gibt es gottlob auch außerhalb der Kirche.


Katholisch sein heißt - Jesus lieben. An seinem Wort und Gebot festhalten.

Katholischer Christ sein heißt - dem Gottesdienst nichts vorziehen.

Katholischer Christ sein heißt - das Ziel des Lebens jenseits dieser Welt nicht aus dem Auge verlieren, im Vaterhaus Gottes anzukommen.


Wer das tut, der wird wie von allein auch lernen, dem Bösen zu widerstehen und - jetzt gebrauche ich dieses große Wort - vor Gott immer mehr heilig zu werden wie Elisabeth.


Mach den ersten Schritt! Auf den Nächsten zu, auf die Kirche zu, auf Gott zu! Bleib am Laufen, auch wenn du manchmal stolperst und es dir mühsam ankommt. Hilf anderen, wieder ins Laufen zu kommen und nicht aufzugeben. Christus ist für uns den ersten, entscheidenden Schritt vorausgegangen, der Herrlichkeit des Vaters entgegen. Heute dürfen wir das wieder feiern. Die Mondlandung durch Menschen war sicher eine große wissenschaftliche und technische Leistung. Aber bei Gott ankommen - diese "Landung" ist wichtiger. Da möchte ich doch eher dabei sein, zusammen mit euch allen. Amen.



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