Kardinal Karl Lehmann
Kardinal Karl Lehmann im Gespräch mit der Thüringischen Landeszeitung...
(BiP). Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das Kardinal Karl Lehmann, Bischof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, dem stellvertretenden Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ), Hartmut Kaczmarek gegeben hat. Das Interview ist in der Osterausgabe der TLZ am 7. April 2007 erschienen.
Die wirtschaftlich Erfolgreichen müssen noch mehr in die Pflicht genommen werden. Dafür hat sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, im TLZ-Interview ausgesprochen.
Thüringen feiert 2007 das Elisabeth-Jahr. Was hat uns die Heilige Elisabeth heute noch zu sagen?
Die Heilige Elisabeth ist ein zeitloses Beispiel für die von ihr ganz intensiv geübte Einheit von Nächsten- und Gottesliebe. Sie hat Standesgrenzen durchbrochen und Menschen ihre Zuwendung gegeben, von denen sie zu ihrer Zeit tiefe Gräben trennten. Die Heilige Elisabeth gibt jedem Einzelnen Mut und Kraft, sich selbst zuzutrauen, die Nöte unter den Menschen zu lindern. Die persönliche Zuwendung ist oft wichtiger als das Vertrauen auf staatliche Strukturen. Und mir ist noch etwas wichtig: Ich freue mich sehr, dass die Heilige Elisabeth anlässlich dieses Jubiläums in ganz besonderer Weise von den evangelischen Mitchristen entdeckt worden ist.
Lenkt die Gestalt der Heiligen Elisabeth nicht auch den Blick auf die Sozialprobleme in der Gesellschaft?
Zweifellos. Sie ist ein großartiges Beispiel dafür, wie Menschen eine besondere Sensibilität brauchen, um überhaupt das Leid eines anderen zu entdecken. Heute würde man sagen, das ist Sache des Sozialstaates. Bei ihr aber spürt man das leidenschaftliche Engagement für die Menschen, man spürt jenen Funken, den wir heute auch noch viel häufiger benötigten. Die heilige Elisabeth lernte später selbst auch die Nöte der Menschen aus eigener Anschauung kennen. Nach dem Tod ihres Mannes beim Kreuzzug haben die Verwandten sie ja ins Elend geschickt.
Einer der Ansätze für die Definition der sieben Werke der Barmherzigkeit für Thüringen ist ja auch die Erkenntnis, dass die Gesellschaft mehr Engagement benötigt. Wie dringend ist diese Mentalitätsänderung?
Wir spüren, dass wir unsere kollektiven Strukturen überstrapaziert haben. Aber die Zeit romantisch zurückzudrehen funktioniert auch nicht. Es gibt z.B. einfach nicht mehr die Großfamilie, in der man auch in der Not Geborgenheit findet. Die Menschen leben oft in kleinen Einheiten von Ehe und Familie, dazu noch weit weg von Heimat und Ursprung. Sie sind darauf angewiesen, sich selbst zu helfen. In schwierigen Situationen ist das aber dann einfach nicht möglich.
Hier stößt also das Prinzip der Subsidarität an Grenzen?
Aber trotzdem müssen wir natürlich zunächst die Verantwortung des Einzelnen in den Vordergrund stellen. Der Staat soll nicht unnötig in die Familien oder in das Leben des Einzelnen hineinregieren. In dem Augenblick, wo der Einzelne objektiv überfordert ist, muss er allerdings unterstützt werden. Diese Solidarität gehört zur Subsidiarität unmittelbar dazu. Heute ist das Pendel manchmal zu sehr zur einen Seite hin ausgeschlagen. Staatliche Unterstützung wird auch in Situationen gegeben, die der Einzelne noch gut selbst meistern könnte.
Beispiel?
Die Sozialhilfe. Ursprünglich sollten die Menschen, die in Not geraten sind, solange eine Art Ü;berbrückungshilfe bekommen, bis das normale Leben wieder funktioniert. Heute rechnen aber viele mit der Sozialhilfe als Dauerhilfe.
Wir sind alle gefordert, mehr hinzuschauen auf die Nöte des Nachbarn und Nächsten?
Jeder muss empfindsam für die Nöte des Anderen bleiben. Und da sind wir wieder bei der heiligen Elisabeth. Es ist ja kein Zufall, dass sie sich so sehr dem Ideal der franziskanischen Ordensbewegung verschrieben hat, in jedem Armen unmittelbar auch Christus zu erkennen. Elisabeth hat dieses Ideal in dem Hospital in Marburg in hervorragender Weise verwirklicht. Prägend für sie ist ja eben diese innige Einheit von Gottes- und von Nächstenliebe.
Macht es Ihnen nicht Sorge, dass die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet zwischen Arm und Reich?
Das macht uns schon seit zwei Jahrzehnten Kummer. 1997 haben die deutschen Bischöfe mit den evangelischen Kollegen ihren Sozialhirtenbrief geschrieben. Unsere damalige Forderung nach einem Armuts- und Reichtumsbericht ist erfüllt. Aber die Entfernung zwischen den sozialen Schichten ist unzweifelhaft größer geworden.
Müsste man nicht gerade diejenigen, die wirtschaftlich Erfolg haben, noch mehr mit in die Verantwortung nehmen?
Eindeutig ja. Nehmen Sie die Reform der Unternehmenssteuer. Es geht ja nicht nur um die Senkung der Steuersatzes für Unternehmen. Ziel ist es ja auch, dass die Firmen ihre Steuern wieder in Deutschland statt im Ausland bezahlen. Ich stelle schon in gewissen Bereichen eine unsoziale Mentalität fest.
Wie meinen Sie das?
Es wird oft nicht genügend anerkannt, dass unser Wohlstand auf einer hohen sozialen Kultur des Miteinander, nicht des Gegeneinander basiert, auf einer Kultur, die auch den herausragenden Anteil der Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands anerkennt. Das darf nicht zerbrechen. An diesem Punkt müssen wir fordernder werden, ohne uns auf eine bestimmte Parteiseite zu schlagen.
Fordernder gegenüber...
... dem Gesetzgeber einerseits, den Arbeitgebern und den einzelnen Unternehmern andererseits.
Muss die katholische Soziallehre in dieser Richtung weiter entwickelt werden?
Das Prinzip des gerechten Lohns gibt es in der katholischen Soziallehre ja schon. Aber wir müssen z.B. das Thema Globalisierung noch stärker in unsere Ü;berlegungen einbeziehen. Denn trotz des Drucks des internationalen Wettbewerbs dürfen wir unsere Sozialkultur nicht opfern. Wir müssen also die Vorteile, die wir haben, weiter ausbauen. Und das sind die Ausbildung der Menschen und die Qualität der Produkte.
Gerechter Lohn: Es gibt in Deutschland die Debatte um den Mindestlohn. Gute Arbeit soll auch anständig bezahlt werden. Sehen Sie das auch so?
Sicher ist, dass in manchen Branchen Mindestlöhne eingeführt werden müssen, nämlich dort, wo die Menschen nicht einmal ihre elementarsten Lebensgrundlagen durch den Lohn ihrer Arbeit decken können. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich hier nicht tarifvertraglich einigen können, muss der Gesetzgeber aktiv werden. Diese teilweise skandalösen Zustände muss man korrigieren, bevor man sich in der Frage eines nationalen Mindestlohns auseinander dividiert.
Gerechter Lohn in dem Sinne, dass man von seinem Lohn auch seine Existenz bestreiten kann?
Das muss so sein. Viele Länder in Europa praktizieren das ja schon.
Sie sehen Handlungsbedarf auf diesem Gebiet?
Unbedingt. Der Gesetzgeber muss dort eingreifen, wo es Missbrauch gibt, regional- oder branchenspezifisch.
Der Staat kann nicht alles regeln. Wie sehen Sie denn die Debatte um die Kinderbetreuung? Hier gibt es ja durchaus unterschiedliche Ansichten auch in der Kirche.
Ich selber habe von Anfang an ein Betreuungsangebot an Eltern begrüßt, die darauf angewiesen sind, dass Vater und Mutter arbeiten. Ihre Wahlfreiheit muss bleiben, ob sie es nützen oder nicht. Aber für die allermeisten - vor allem in den alten Bundesländern - muss diese Wahlfreiheit erst hergestellt werden.
Aber der Staat soll sich aus dieser Entscheidung raushalten?
Natürlich. Auf diese Gefahr haben andere Bischöfe und ich auch hingewiesen, wenn uns auch manchmal der Tonfall unterschieden hat. Der Staat soll sich in diese Eltern-Entscheidung nicht einmischen, er soll nicht Elternrechte aushöhlen. Ein Politiker aus den alten Bundesländern hat vor einigen Jahren einmal von der Lufthoheit über den Kinderbetten gesprochen. Genau das wollen wir verhindern. Und eigentlich müsste man für diese Haltung gerade in den neuen Ländern viel Verständnis haben.
Neue Betreuungsangebote allein reichen doch auch nicht, um der demografischen Herausforderung zu begegnen?
Nein. Allein deshalb gibt es noch nicht mehr Kinder. Die Menschen brauchen vor allem Vertrauen in die Zukunft. Dazu zählt auch die Sicherheit der Arbeitsplätze. Viele mussten in den vergangenen Jahren erleben, dass als absolut sicher geltende Arbeitsplätze auch in Traditionsunternehmen einfach wegfielen.
Die aktuelle Diskussion sollte nicht darauf hinauslaufen, dass diejenigen Eltern gesellschaftlich stigmatisiert werden, die sich für eine Betreuung ihrer Kinder zu Hause entscheiden?
Auf gar keinen Fall. Die Gesellschaft muss noch wesentlich mehr als bisher die Erziehungsleistung der Eltern zu Hause anerkennen. Sie leisten eine ganz wichtige Arbeit für die Gesellschaft.
Wie sollte die bessere Kinderbetreuung finanziert werden?
Es wird wohl auf einen Kompromiss aus vielen Anteilen hinauslaufen. Aber ich meine, die Bundesebene muss noch mehr leisten als bisher. Kommunen und Eltern können nicht noch stärker in die Pflicht genommen werden. Im vergangenen Jahr hatte der Bund neun Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen. Da müssten die Summen, um die man sich jetzt streitet, eigentlich übrig sein. Denn es geht ja um elementare Investitionen in unsere Zukunft.
Wie beurteilen Sie die Politik der Familienministerin?
Ich bewundere die Energie der Familienministerin Ursula von der Leyen, mit der sie für Fortschritte auf diesem Gebiet kämpft. Man muss ihre Erfolge, die sie in kurzer Zeit erzielt hat, hoch anerkennen, auch wenn man mal auf Grenzen der Planungen und Projekte aufmerksam machen muss.
Noch einmal zur Heiligen Elisabeth. Hätte eine Frau mit diesem radikalen sozialen Engagement überhaupt eine Chance in der Gesellschaft oder würde sie nicht gleich zur Außenseiterin gestempelt?
Sie wäre vermutlich eine Außenseiterin. Aber diese Chance hat wahrscheinlich nur eine Heilige. Es gibt Persönlichkeiten wie sie allerdings auch noch heute. Ein Beispiel ist die Französin Madeleine Delbr?l. Sie war in Ivry bei Paris, mitten in einem ganz kommunistisch geprägten Milieu tätig und hat dort auf sozialem Gebiet Unglaubliches geleistet. Im Augenblick läuft in Rom der Seligsprechungsprozess. Also haben wir bald eine neue soziale Selige und Heilige.