Liebe und Treue sind stärker als menschliche Unzulänglichkeit

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr beim Gottesdienst für die Ehejubilare am 18. März 2023

 

Bild: Barbara Michalczyk; In: Pfarrbriefservice.de

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,

bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes haben wir uns gefragt, welche Bibeltexte verkündet werden sollen. Nach der Liturgie der Kirche ist heute der Samstag der 3. Woche der Fastenzeit. Ich habe mich vor allem für die Lesungstexte dieses Tages entschieden, weil die Lesungen dem alttestamentlichen Buch Hosea entnommen sind. Dieses alttestamentliche Prophetenbuch ist eine tiefe Reflexion über die Liebe der Menschen und ihr Versagen, über die Liebe Gottes zu seinem Volk und über die Ehe. Der Prophet Hosea hat wohl im 8. Jahrhundert vor Christus gewirkt, also vor sehr langer Zeit. Aber seine Mahnungen zur Liebe zu Gott und den Menschen sind von so beeindruckender Sprache und von so tiefem Inhalt, dass sie fast drei Jahrtausende überdauert haben.

Sie, liebe Ehejubilare, werden wohl auch erfahren haben, dass die Liebe und die Treue, die Sie sich bei der Trauung gegenseitig versprochen haben, immer wieder einmal auf die Probe gestellt und erneuert werden musste. Da gab es Lieblosigkeit und fehlende Aufmerksamkeit, aber auch Verletzungen, sodass Sie die Worte des Propheten Hosea vielleicht auch mit konkreten Erfahrungen verbinden können: „Es gab Wunden, die geheilt sind, es gab Verwundungen, die verbunden worden.“ So schauen Sie heute und auch am Tag Ihres Ehejubiläums nicht nur dankbar darauf zurück, dass Sie vor einem schlimmen Schicksal bewahrt wurden, sondern auch darauf, dass Ihre Liebe und Treue stärker ist, als alle menschliche Unzulänglichkeit.

Diese Erfahrung einer Ehe überträgt der Prophet Hosea auf das Verhältnis des Volkes Gottes zu seinem Gott. Gott erlebt Enttäuschungen mit seinem Volk, die in der heutigen Lesung so beschrieben ist: „Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht.“ (Hos 6,4). Das Volk Gottes kann auf die Liebe Gottes nicht ununterbrochen mit ganzem Herzen antworten. So braucht es immer wieder Zeiten der Reinigung, der Klärung und der Vergebung, die Gott gewährt. Man kann es als kühn bezeichnen, dass der Prophet Hosea die Ehe als Bild für das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk verwendet. Dieser Vergleich wird im Alten Testament von den Propheten Jeremia und Ezechiel wieder aufgenommen.

Der Epheserbrief des Neuen Testamentes greift diesen Vergleich auf und führt ihn weiter. Er vergleicht die Ehe mit dem Verhältnis Christi zur Kirche: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche.“ (Eph 5,31f). Hier wird der Ehebund nicht nur mit der Liebe Christi zur Kirche verglichen, sondern angedeutet, dass die Liebe der Eheleute zueinander durchflutet ist von der Liebe Christi zur Kirche. Der Hinweis darauf verbirgt sich in dem Begriff `Geheimnis´ - auf griechisch `mysterion´. Die lateinische Bibelübersetzung spricht hier von `sacramentum´. In der Liebe der Ehepartner zueinander wirkt die Liebe Christi zur Kirche. Das Geheimnis - das sacramentum - vollzieht sich nicht nur bei der Trauung. Wir sprechen nicht vom Sakrament der Eheschließung, sondern vom Sakrament der Ehe. Das ganze Eheleben ist davon durchdrungen, dass die Liebe Christi zur Kirche in der Liebe der Eheleute zueinander wirkt.

Ich freue mich, dass Sie, liebe Ehejubilare, dies in einem langen gemeinsamen Eheleben bezeugen und ich erbitte für Sie nicht nur die Behütung vor einem Schicksalsschlag, sondern auch die Gnade, Ihre Ehe auch weiter als Sakrament zu leben, als ein Gefäß, das offen ist für die Liebe Christi zu seiner Kirche.