Kunst: Mittler zwischen Religion und den Menschen

Impulse aus der Kunst von Gert Weber, Maler und Grafiker, beim Pastoraltag des Bistums Erfurt 2010: "Mit dem Himmel beschenkt"

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Markus 13,24-27 (Lukas 21,26; Matthäus 24,29-34)
"Aber in jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen.
Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels."


Bereits beim Lesen dieses Textes stellen sich ein Bild oder mehrere Bilder ein. In der Regel sind es jene, die bereits zu diesem Inhalt umgesetzt wurden und in unserem kollektiven visuellen Gedächtnis existieren und abrufbar sind.

Ich denke da gerade an Hieronymus Bosch, Michelangelo, Albrecht Dürer, Goya - um nur einige zu nennen, die diesem Ereignis der Wiederkehr Christi in eindrucksvoller Weise eine Gestalt gegeben haben.

Alle diese Bilder sind für die Menschheit über Jahrhunderte wichtig, sogar überlebenswichtig geworden.

Da werden die Dinge gezeigt, die zwischen Himmel und Erde passieren, und jene, die uns noch bevorstehen.

Gezeigt werden sie vorerst nur im Bild und das meist aus einer derart ungewohnten Perspektive dargestellt, dass einem der Atem stockt.

Keine Angst, ich werde jetzt keine Bildbesprechung, gar Interpretationen vornehmen, sondern der Frage nachgehen: Wie geht so etwas? Wieso berührt uns ein Bild plötzlich? Woher kommt dieses Gefühl, das durchaus erhaben sein kann und uns auf eine andere Bewusstseinsebene führt?

Das alles hat mit Himmel und Transzendenz zu tun, weil Inspiration des Künstlers als Schöpfer des Bildes vom Schöpfer selbst, also von Gott kommt, und somit eine Information (Idee) Gestalt annimmt, die vorher noch nicht in der Welt war und somit das Unvorstellbare anschaulich macht.

Diesen Anspruch hat Kunst, alle Kunst bis hin zur Musik und Architektur - in unserem Jahrhundert neuerdings auch der Film. Mel Gibsons Werk "Passion Christi" ist eine überzeugende bildnerische Umsetzung der Worte im Neuen Testament - und hat einen wesentlichen Anteil daran, dass viele Menschen überhaupt erst mit dem Evangelium in Berührung gekommen sind!

Die Begegnung mit einer exzellenten farbigen Reproduktion des Isenheimer Altars war mein persönliches "Urerlebnis" mit dem durch Bildende Kunst umgesetzten Evangelium.

Dieses Repro zierte die Wohnung meiner Großmutter; bei jedem Besuch zog mich dieses Bild in seinen Bann.

Damals, Anfang der sechziger Jahre, war ich zwölf Jahre alt und das Bild hat mich derart tief berührt, dass es bis heute anhält.

Von diesem Augenblick an, glaube ich, hat es gefunkt - die Liebe zur Kunst und die Achtung vor gestalterischen Leistungen, das Staunen über die "ZUFÄLLE" und der rastlose Wille, zumindest in die Nähe eines solchen Werkes zu gelangen, waren geweckt.

Für mich ist dies im Nachhinein ein spirituelles Erlebnis, das meinem Leben eine Richtung gegeben hat. Dem Himmel sei Dank! Gott sei gedankt.

Nach der ersten Begegnung dauerte es noch fast 30 Jahre, ehe ich nach dem Mauerfall den Isenheimer Altar endlich im Original sehen konnte.

Dafür bin ich sehr dankbar, weil mir die Dimension dieses vergangenen Ereignisses in der Kindheit erst jetzt in vollem Bewusstsein nachvollziehbar wurde.

Es bestätigte meine bereits erlangte Erkenntnis: Wahre Kunst ist beseelt und entwickelt beim Betrachter eine Kraft, die berührt und abseits von kurzer Wahrnehmung (also Dekoration) tiefere Schichten unseres Bewusstseins erreicht und bleibende Eindrücke hinterlässt.

Dabei passieren Dinge, die mit Worten nicht zu erklären sind. Das wertet den normalen Gestaltungswillen nicht ab, der wichtig und notwendig ist für die ästhetische Bildung des Einzelnen und somit für die Entwicklung des Menschen eine große Bedeutung hat.

Aber Dekoration ist und Oberflächengestaltung bleibt oberflächlich, während die Kunst in die Schichten des Unterbewussten vordringt.

Dieser Zusammenhang offenbart sich auch im Verhältnis zwischen Kunst und Religion: Religiöse Malerei, Plastik oder Grafik haben schon immer einen Anspruch über die dekorative Gestaltung hinaus für sich reklamiert.

Kunst bildet gewissermaßen ein Medium, einen Mittler, zwischen Religion und den Menschen. Sie macht Inhalte erlebbar, fassbar, lässt gleichzeitig Raum und spendet Hoffnung, wirkt aber andererseits ebenfalls auf die Religion zurück, indem sie die Lebens- und Wesenswelt der Menschen widerspiegelt.

Die größte Gemeinsamkeit besteht meiner Ansicht nach im geistigen Handeln sowie in der Sinnreflexion über den Menschen und die Gesellschaft im Allgemeinen. Es sind die uralten Fragen, die für die man nach Antworten sucht, in jeder Generation auf immer gleiche Weise: Mensch, woher kommst du, Mensch wer bist du, Mensch wohin gehst du?

Demzufolge ist die Kunst in ihrer Intention und ihrem Antrieb durchaus religiös geprägt. Glauben und Kunst bedingen und fordern geradezu Spiritualität; die einen nennen es den Heiligen Geist, die anderen eher Inspiration.

Aus diesem Verständnis heraus sind mir die Bildwerke, die ich für Kirchen geschaffen habe, eine Herzensangelegenheit.

Ich sehe mich hierbei in der Tradition unserer abendländischen Kunst- und Kulturgeschichte. Diese ist für mich ohne Religion und speziell ohne die Kirche(n) nicht denkbar. Denn die Gotteshäuser sind immer ein besonderer Ort, und die Kirche in ihrer Gesamtheit - trotz all ihrer Widersprüche und Verirrungen - zugleich der größte Kulturträger unserer Gesellschaft seit knapp 2000 Jahren.

Die Mehrzahl des Kunstgutes in Museen und öffentlichen Gebäuden ist ohne inhaltliche Bezüge zur Bibel einfach nicht zu denken.

Stellt sich die Frage: Brauchen wir dann Kirchen noch als Raum für Bildende Kunst? Eindeutig ja! Wir selbst und auch künftige Generationen brauchen die Kirchen als besondere Gebäude, deren gestaltete Räume nicht nur die festliche Hülle für die liturgischen Handlungen der Gottesdienste bilden, die uns letztendlich auf unser Ziel im Himmel weisen.

Nur aufgrund der optischen Trennung vom Profanen wird man sich der Besonderheit dieser Stätten bewusst - ein Verweis auf die Herrlichkeit Gottes, die außerhalb unserer Vorstellungskraft liegt.

Das gilt es zu bedenken, wenn man sich der Herausforderung stellt, einen sakralen Raum zu gestalten. Die Aura des Ortes ist immer von Bedeutung, wenn man sich mit einem Bildwerk in das bestehende und meist historisch gewachsene Raumgefüge einbringen will.

In der Regel gibt es zwei Möglichkeiten: Man arbeitet bewusst gegen die vorgefundenen Tatsachen und setzt auf Kontrast oder man versucht, sicher in der Mehrzahl der Fälle, die Gestaltung in die gewachsene Umgebung einzuordnen. Man ist immer gut beraten, die vorgegebene historische bauliche und auch künstlerische Situation nicht zu negieren.

Als Beispiele dafür, dass sich auch moderne Malerei in historisch geprägten Kirchen bewähren kann, möchte ich Reichensachsen in Hessen sowie Wölfis und Herbsleben in Thüringen nennen.

Natürlich stoßen diese Konzepte nicht auf ungeteilte Gegenliebe: Die Erfahrungen, die ich mit der Rezeption meiner Bildwerke in Kirchen machen konnte, sind durchaus ambivalent und reichen von völliger Ablehnung bis hin zu jubelhochjauchzender Anerkennung. Womit auch Kirche als bauliche Hülle für die Auseinandersetzung von Kunst und Religion wieder ihre Funktion erfüllt: nämlich Ort der Begegnung, des Austauschs und der tieferen Berührung zu sein. Wir brauchen die Kunst um uns auf diese Weise unserer Bestimmung hin zu Gott und dem Himmel bewusst zu werden.


Internetseite des Künstlers mit Abbildungen seiner Werke:
www.webbs-online.de


© Bistum Erfurt / Gert Weber