Mit 60 Jahren wurde Frau Marianne N. im Erfurter Dom getauft. Sie starb im letzten Jahr in großer Zuversicht und ihre ungetaufte Tochter war ratlos. „Wie kann man so getrost und froh in den Tod gehen?“ – war ihre Frage. Die Tochter war froh, dass das Requiem und die Beisetzung im Kreis ihrer katholischen Freundinnen und Freunde stattfinden konnte, denn das hatte auch sie selbst getröstet, obwohl sie nicht in Worte fassen konnte, was die Ursache für den Trost war. War es der Glaube an ein Leben nach dem Tod? Sie spürte diesen Glauben bei der Trauerfeier, aber sie konnte ihn nicht selbst bekennen.
Frau N. erzählte mir im Katechumenenunterricht von ihrem Gotteserlebnis: Sie war eine junge Frau und hatte ihre 2jährige Tochter zur Mittagsstunde ins Bett gelegt. Als sie schlief, ging sie in den Hof, um Wäsche aufzuhängen. Plötzlich hörte sie ihre Tochter am Fenster rufen: „Hallo Mama!“ Die Tochter war wach geworden und hatte das Fenster zum Hof geöffnet und kniete auf dem Fensterbrett. Die Mutter wusste: „Wenn ich jetzt nach oben gehe, wird es einen Luftzug geben und das Fenster wird zuschlagen und das Kind fällt heraus.“ Aber es gab keine Alternative. Sie musste es wagen und – es gab keinen Luftzug, das Fenster schlug nicht zu und sie konnte die Tochter ins Zimmer heben. Beim nächsten Versuch mit der Tür gab es den Luftzug wieder wie immer. Frau N. sagte mir: Das war ein Wunder! Viele Jahre später konnte sie sagen: „Gott hat auf mein Kind geachtet und vor Schaden bewahrt, auch wenn ich noch kein Christ war".
Für Frau N. haben sich Berge gesenkt und krumme Wege gestreckt, so dass sie den Weg zum Berg Zion finden und gehen konnte. Kirche hat dort ihren Platz, wo eine Straße für Gott zu den Menschen gebaut werden muss, d.h. der Zugang zu Gott ermöglicht werden muss. Das können die traditionellen Wege sein wie eine Wallfahrt, die wir heute halten. Es kann auch das Internet sein, durch das manche den Weg zum Seelsorger finden und den Taufkurs beginnen können. www.katholisch-werden.de ist eine solche Adresse, die einen Weg aufzeigt und Kontakte über die Postleitzahl, die anzugeben ist, zu einem Seelsorger schafft.
Manchmal ist es aber auch einfach eine Begegnung mit einem Arbeitskollegen, der in diesen Tagen voller Freude von der Erstkommunion seiner Tochter oder der Firmung seines Sohnes berichtet und dann nachgefragt wird, was Erstkommunion und Firmung ist. Die Kommunisten haben zu diesen katholischen Sakramenten Alternativen geschaffen und mit politischer Macht durchgesetzt. Wer nicht zur Jugendweihe mit 15 Jahren gehen wollte, bei der ein Bekenntnis zum Atheismus abgelegt werden musste, sondern den Glauben bei Firmung und Konfirmation bekennen wollte, der hatte schlechte Karten bei Bewerbungen für die Erweiterte Oberschule, um Abitur machen zu können. Wenn ein katholischer Vater oder eine katholische Mutter dennoch den Glauben bekannt haben und die Jugendweihe verweigerten, konnte dieses Verhalten Unverständnis, aber auch Nachdenklichkeit auslösen. „Was ist denn der Grund dafür, diesem Druck der Kommunisten nicht nachzugeben?“ – war dann die Frage. Hier war es gut, wenn der Christ sprachfähig war, um das auszudrücken, was in seinem Herzen an Glaube und Zuversicht existiert.
Ein Vater brachte seinen 15jährigen Sohn Emanuel zur „Feier der Lebenswende“, die nach der Wende in Erfurt für Jugendliche ohne Kirchenzugehörigkeit geschaffen wurde. Damals sagte der Vater: „Mein Sohn hat zu nichts Lust. Er will kein Techniker werden, aber ich habe ihm nur die Freude an der Technik anzubieten.“ Emanuel nahm an der Feier teil und war aufmerksam dabei, als ich den Gottesdienstraum und die Arbeit der katholischen Kirche in Gesprächen vorstellte und die Jugendlichen zum Nachdenken über ihr eigenes Leben angeregt hatte, damit sie Texte für die Feier der Lebenswende gestalten konnten. Fünf Jahre später war Emanuel bei der Bundeswehr. Er lernte einen guten Militärseelsorger kennen und entschloss sich zur Taufe. Heute spricht der Vater ganz stolz von seinem Sohn, der den Weg zur Kirche gefunden hat, den er selbst noch nicht gehen will.
Robert C. war 15 Jahre, als er 2002 im Gutenberg-Gymnasium in Erfurt in die Schule ging. Am 26. April hatte er in der Schulpause das Gefühl, dass ihm eine Stimme sagte: „Geh aus dieser Etage weg!“ Er machte es und danach begann der Amoklauf, bei dem 15 Personen – Lehrer, Schulpersonal und Schüler - erschossen wurden und sich der Täter – ein ehemaliger Schüler – selbst umbrachte. Robert war ungetauft. Er bat mich jedoch um ein Gespräch, bei dem er fragte: „Wer hat mich damals aus der Etage weggeschickt? Was war das für eine Stimme?“ Ich habe ihm gesagt: ich vermute, das Gott etwas mit Dir vorhat und Dich deshalb von dort wegschickte. Robert ließ sich taufen und war während seines Studiums in Bayreuth Studentensprecher der katholischen Studentengemeinde. Die Frage, warum er gerettet wurde, brachte ihn zu Gott. Es brauchte einen, der ihm die innere Stimme deutete.
„Die Freude an Gott ist unsere Kraft“ - so lautet das Wallfahrtsthema bei dieser Fahrradwallfahrt 2019 zur Gottesmutter von Germershausen. Das Bekenntnis zu Gott wird nur dann Wirkung zeigen, wenn es mit Freude verbunden ist. Das Gotteslob und Marienlob können wir nicht mit zusammengebissenen Zähnen singen. Es braucht das freie und frohe Herz, das angefüllt ist mit der Hoffnung auf ein gelingendes Leben in der Verbundenheit mit Gott und seiner Kirche.
Der Prophet Jesaja erhält von Gott die Weisung, Worte des Trostes für die Gefangenen in Babylon aufzuschreiben. Die Gefangenschaft wurde als Strafe Gottes beschrieben, die das Volk Israel wegen seiner Untreue zum Gebot Gottes erleiden musste. Nun gab es die Chance der Rückkehr in das Land Israel und diese beginnt mit dem Bild vom guten Hirten in den Herzen zu wachsen. „Der Frondienst ist zu Ende und die Schuld ist beglichen“ – so sagt der Prophet. Sowohl Gott kommt auf das Volk Israel zu als auch das Volk wallfahrtet auf den Berg Zion in Jerusalem. Es ist ein Aufeinander-zugehen des Volkes und Gottes, das Erlösung und Freude schenkt. Der Weg zu Gott ist sogar leichter für die Lahmen und Schwachen, weil Gott die Schwachen sogar wie ein guter Hirt auf seine ´Schulter nimmt. Für Gott besteht der unabänderliche Wunsch nach Rettung uns Heil. Wichtig ist nur, dass wir es wahrnehmen und deuten, wie Gott nach uns Menschen sucht und uns mit unseren Sorgen tragen und ertragen will.
Es braucht den Propheten, den Verkünder, den Evangelisten, der das Wort Gottes selbst mit Freude aufgenommen hat. Dann kann das Wort Gottes sich entfalten und wirken. Meine Sorge ist, dass wir von diesen Propheten, Glaubenszeugen und Predigern zu wenig haben. Damit meine ich nicht nur, dass es zu wenig Priester, Diakone und Gemeindereferentinnen gibt – das sicherlich auch, sondern dass alle Getauften und Gefirmten zu wenig die Gelegenheiten nutzen, die vor uns stehen. Die Wege zu Gott sind auch manchmal durch uns verbaut und zugewachsen, so dass der Berg Zion nicht erkennbar ist. Bei der Taufe wurden wir mit dem heiligen Chrisam gesalbt und damit mit der Würde von Priestern, Königen und Propheten beschenkt.
Hat diese Tatsache Auswirkungen auf unser Handeln? Bei jeder Firmung erinnere ich daran, welche Bedeutung Taufe und Firmung für die Zukunft von Kirche haben. Ich erlebe dann in den Berichten der Pfarrer, wie sich Jugendliche im Gemeindeleben und darüber hinaus in der Firmvorbereitung engagiert haben. Ebenso hat die 72-Stunden-Aktion, die heute zu Ende geht, 80.000 Jugendliche in den Gemeinden auf die Beine gebracht und zu Projekten bewegt, die sie sonst wohl kaum in Angriff genommen hätten. Es wurden Konzerte für Senioren in Altenheimen in Nordhausen organisiert, es wurden Gemeindehäuser geputzt und Vorgärten gesäubert, es wurden Jugendhäuser hergerichtet u.v.a.m. Manchmal mussten durch gute Worte die Wege zur guten Tat erst noch geebnet werden, aber bei Jugendlichen ist es ja so, dass man sich zu etwas bewegen lässt, wenn andere mitmachen.
Radfahren auf krummen Wegen und über Hügel kann zur Meditation werden, wenn es den biblischen Text des Propheten Jesaja dazu gibt. Die verschlungenen Wege, die wir selbst gegangen sind oder noch gehen, können gedeutet werden und darauf hinweisen, dass auch sie Wege zu Gott und zum Berg Zion sein können.
Eine Wallfahrt zur Gottesmutter von Germershausen ist auch eine Einladung, die verschlungenen Wege Mariens zu betrachten, die von vielen Fragen und von Leid geprägt waren. Maria wusste nicht, warum gerade sie als Mutter des Messias ausgewählt wurde und sie nun ihre Heirats- und Familienpläne ändern musste. Sie wusste vermutlich nicht, warum sie als Hochschwangere nach Bethlehem reisen musste und damit das Leben von Mutter und Kind gefährdet war. Sie wusste nicht, warum eine Flucht nach Ägypten sinnvoll sein kann, außer, dass sie das Leben der Familie damit retten konnte. Sie wusste nicht, warum der Tod ihres Sohnes auf diese grausame Weise geschehen musste. Natürlich hat sich für sie durch Ostern und Pfingsten alles aufgelöst und die Fragen und Zweifel sind verschwunden. Wenn wir jedoch vom Leid und den Schmerzen Mariens reden, dann bekennen wir uns auch dazu, dass sie als wahre Mutter zu alldem Fragen hatte und mit den Fragen sich das Leid ergab.
Wie auch bei uns gab es für Maria die Lichtblicke und die Fenster, durch die wir mit ihr auf den Berg Zion schauen können. Mögen uns dadurch unsere verschlungenen und hügeligen Wege leichter werden und reifen lassen. Und auf dem Weg sei - wie bei Maria - die Freude an Gott unsere Kraftquelle. Amen.