Interessante Einsichten

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr zum Bistumsjugendtag am 17. Juli 2021

Bild: Doris Schug; In: Pfarrbriefservice.de

Liebe Jugendliche,


das Leitwort des diesjährigen Bistumsjugendtages besteht aus drei Worten: welt*voll*leben. Wenn man diese Begriffe miteinander kombiniert, führt das zu interessanten Einsichten:

Wenn welt und voll miteinander kombiniert werden, kann einem schnell aufgehen, wie voll, wie erfüllt die Welt ist. Die Größe des Kosmos, der uns umgibt, ist für uns genauso unvorstellbar wie das, was schlaue Menschen über den Mikrokosmos oder die Mikrobiologie in Erfahrung gebracht haben. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich Berichte über den Kosmos höre oder wenn ich mir Zeit nehme, eine kleine Fliege zu betrachten. Da mein Lieblingsfach in der Schule Physik war, kann ich mich auch für technische Produkte oder auch für den Fortschritt in der Medizin begeistern. Die unglaubliche Vielfalt an Kunst und Kultur ist ein weiterer Ausdruck der vollen, gefüllten Welt. Diese Einsichten wecken in mir die Dankbarkeit gegenüber Gott. Die Weisung aus dem Buch Deuteronomium ist mir wichtig: „Nimm dich in Acht, dass dein Herz nicht hochmütig wird und du den Herrn, deinen Gott, nicht vergisst.“ (Deuteronomium 8,11). Ich bleibe mir auch dessen bewusst, dass die Welt ambivalent ist. Zur Welt gehört auch Sterben und Tod, sowie Töten und Zerstören. In meiner Heimatstadt Worms ist am dortigen Dom die Welt als ein Mensch dargestellt, der von vorne hübsch und anziehend aussieht, auf dessen Rücken aber Eiter und grässliche Ungeziefer zu sehen sind. Beides gehört zur Welt. Ich sehe lieber das Schöne, freue mich daran und staune darüber, weiß aber auch, dass es die andere Seite gibt, die immer noch erlösungsbedürftig ist.

Weitere Einsichten ergeben sich aus dem Leitwort des diesjährigen Bistumsjugendtages, wenn die Begriffe voll und leben miteinander kombiniert werden. Welche Vielfalt und welche Möglichkeiten des Lebens wir haben, haben wir während der Kontaktbeschränkungen erlebt, als es viele Lebensmöglichkeiten nicht mehr gab. Hoffentlich kehrt das alte Leben bald wieder zurück. Wenn wir uns bewusst an den vielfältigen Möglichkeiten des Lebens, die wir hier haben, erfreuen, müsste das die Solidarität mit den Menschen wecken, die diese Möglichkeiten nicht haben. Auch junge Menschen können sich dafür einsetzen. Ich denke an eine Spendensammelaktion von Firmlingen der Innenstadtpfarrei Erfurt, die sehr erfolgreich für das kirchliche Hilfswerk Misereor gesammelt haben. Im Evangelium, das wir gehört haben, hat Jesus die Frau, die er am Brunnen getroffen hat, zur Erkenntnis geführt, dass es nicht nur Wasser gibt, das aus einem Brunnen kommt und das den Durst des Körpers stillt, sondern dass es auch eine Quelle gibt, „deren Wasser ins ewige Leben fließt“ (Johannes 4,14). Unsere deutsche Sprache weist darauf hin, dass es einen Durst der Seele gibt, den auch das erfüllteste Leben nicht stillen kann. Wir haben nämlich im Deutschen keinen Begriff für den Zustand, in dem wir keinen Durst mehr haben. Wer nicht mehr hungrig ist, ist satt, wer nicht mehr durstig ist, ist:?  Der Getränkehersteller Lipton hat 1999 zusammen mit dem Duden einen Wettbewerb veranstaltet, wie der Zustand heißen soll, in dem wir keinen Durst mehr haben. Gewonnen hat der Begriff „sitt“. Er steht heute allerdings nicht mehr im Duden. Am besten fand ich den Vorschlag „wamp“, einem Begriff aus der mittelhochdeutschen Sprache, der sich auch heute noch im Wort „Wampe“ wiederfindet. Wir leben also mit einer Sprache, die uns darauf hinweist, dass der Durst der Seele nicht zu stillen ist, sodass es dafür keinen Begriff gibt. Als Christen können wir uns darüber freuen, dass für uns die Quelle, die diesen Durst stillt, Jesus Christus ist, der uns in seinem Evangelium die Liebe des barmherzigen Vaters im Himmel verkündet hat.

Die dritte Kombination der drei Begriffe, welt und leben, könnte zur Einsicht führen, diese Fülle an Welt und Leben zu bewahren. Die Lesung aus dem ersten Timotheusbrief hat mit der Aufforderung geendet: „Timotheus, bewahre, was dir anvertraut ist!“ (1 Timotheus 6,20). Mittlerweile haben viele Forscherinnen und Forscher nachgewiesen, dass die Bewahrung der Schöpfung nicht nur wegen der Schöpfung geboten ist, sondern eine Überlebensfrage der Menschheit auf unserem Globus darstellt. Diese Aufgabe kann nicht nur den politisch Verantwortlichen oder den technisch Erfindungsreichen übertragen werden. Wir wissen, dass jede und jeder Einzelne dazu beitragen muss. Ihr wisst, dass dies auch für Jugendliche gilt. Das Projekt einer Elektroschwalbe ist offensichtlich nicht sehr aussichtsreich, wäre aber ein schöner Beitrag zur Co2-Einsparung. Als Christen glauben wir an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Aus diesem Schöpfungsglauben erwächst für uns der Auftrag, nicht nur in der Schöpfung und von der Schöpfung zu leben, sondern auch mit der Schöpfung und für die Schöpfung.