Bei einer Gottesdienstübertragung im Fernsehen sind die Regisseure daran interessiert, die ganze Kirche von außen und innen zu zeigen. Neuerdings ist man mit Drohnen unterwegs, um auch eine Vogelperspektive liefern zu können. Für einen Pfarrer ist es dann auch interessant, die Kirche von den verschiedenen Seiten beleuchtet zu sehen – und das ist oftmals die Verwunderung, welche Perspektiven sich ergeben und in welchen Farben die Kirche erscheint. Natürlich ist es dann auch interessant, die Akteure des Gottesdienstes zu sehen, die mit den Gläubigen den Gottesdienst festlich gestaltet haben. Da geht es um Gesten und Aussprache, um musikalische Fähigkeiten und Kleidung, um Symbole und Gesichter.
Ich habe immer den Eindruck, dass wir im Nachhinein viele Dinge erkennen und dann auch anders machen, weil wir entdeckt haben, wie wir nach außen wirken und als Kirche wahrgenommen werden. Das darf uns nicht gleichgültig sein, denn schon in der Verkündigung Jesu und der Apostel wird von beeindruckender Redeweise und von Wunderzeichen berichtet, die die Menschen auf die Botschaft des Evangeliums aufmerksam machen konnte. Was bedeutet uns die Kirche und was bedeutet sie den Menschen außerhalb?
Als ich kürzlich für die Deutsche Bischofskonferenz einen kurzen Text nennen sollte, der mir zu diesem Evangelium einfiel, war es das Wort:
„Was wollen wir bei den Schafen? „Sie sollen eine Weide finden“ – sagt Jesus Christus, der die Tür in den Schafstall ist. Jesus Christus hat Kirche und Welt für uns als Weideplatz vorgesehen.“
Was bei den Worten Jesu auffällt ist die Trennung von Innenleben des Schafstalls und der Weide, die außerhalb des Schafstalls ist. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich diese Vorstellung dahingehend verändert, dass wir sagen: „Dieser Schafstall steht mitten in der Welt. Es geht uns um die Kirche in der Welt von heute.“ Diese Spannung auszuhalten, dass es ein legitimes Innenleben von Kirche gibt und sie zugleich auch inmitten der Welt „außen“ ist, zeigt sich fast täglich in den Diskussionen über Kirche und Welt.
Ich denke daran, was derzeit in den Diskussionen um die öffentlichen Gottesdienste geschieht. Die Religionsgemeinschaften, der Juden, Muslime und Christen haben auch öffentlich daran erinnert, dass es ein Recht auf Religionsausübung gibt, aber alle haben immer zugleich gesagt: Wir respektieren die Entscheidung der Landesregierung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Es geht uns aber beim Gottesdienst nicht um die Bewahrung einer Kultur – das könnte man „vertragen“-, sondern es geht uns um den Dienst vor Gott und an den Menschen.
„Missionarisch Kirche sein“ ist der Grundauftrag der Kirche, der sich sowohl in der Verkündigung als auch im diakonisch-caritativen Dienst zeigt. Wir stärken die Christen im Gottesdienst für ihren Dienst in der Welt. Wir begegnen Christus in den Sakramenten und in den Diensten außerhalb der Kirchenmauern. Dort sollen die Menschen die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes erkennen.
Ein anderes brisantes Thema ist immer der sogenannte „dritte Weg“, der besagt, dass die Kirchen bei ihren arbeitsrechtlichen Fragen eigene Regelungen treffen können, die in der staatlichen Gesetzgebung nicht vorgesehen sind, z.B. die Frage, ob jemand, der im kirchlichen Dienst steht, bei einer Ehescheidung aus dem Dienst entlassen werden muss. Das wurde in der letzten Zeit auch vor staatlichen Gerichten diskutiert und beurteilt. Jetzt hat man sich darauf verständigt, dass diese kirchliche Regelung nur dort angewendet wird, wo es sich um Angestellte handelt, die in gehobener Position oder im Verkündigungsdienst der Kirche stehen.
Auch bei der Feiertagsregelung spüren wir diese Spannung: Bis heute sind die christlichen Feiertage von Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Christi Himmelfahrt als ein oder sogar zwei stattliche Feiertage ausgewiesen, wenn auch der Anteil der Christen, die ja an den Festen den Inhalt feiern wollen, nur gering ist. Wir sind als Christen dafür dankbar, aber wir spüren immer dann die Spannung, wenn z.B. am Karfreitag ein Rummel nicht offen ist, obwohl es ein staatlich geschützter Feiertag mit Arbeitsfreiheit ist und die Menschen sich vergnügen möchten, jedoch die staatliche Gesetzgebung dem Charakter des Feiertages durch das Verbot von Tanz- und Vergnügungsveranstaltungen Rechnung tragen möchte. Da müssen wir uns dann gefallen lassen, dass es Unverständnis und vielleicht auch eine schlechte Meinung gegenüber der Kirche mit ihren Reglementierungen gibt.
Jesus Christus ist als Tür ein Schutz. Das ist allen wichtig, die von den Problemen der Welt überrollt werden. Sich in die Einsamkeit zurückziehen, in eine Kirche, in eine Waldkapelle oder in den Garten, um in Stille den eigenen Gedanken nachgehen zu können und auch im Gebet Ruhe und Orientierung zu finden: Das ist ein legitimes Tun von uns Christen. Die Ordensleute in den strengen Orden versuchen, die Chance dieser Zurückgezogenheit für ihre Gottsuche zu nutzen. Wer einmal die Gelegenheit hatte, ein solches „strenges“ Kloster zu besuchen, spürt den Segen und zugleich die Herausforderung, der sich ein junger Mensch stellt, wenn er oder sie in ein solches Kloster eintreten will. Jeder Christ, der jedoch diese Stille meidet und sich nur dem Anspruch des Alltags aussetzen will, der läuft Gefahr, sich selbst, seinen Glauben und Gott zu verlieren. Das Ideal besteht darin, das Innere zu nutzen, um außerhalb wirksam werden zu können. Deshalb bin ich froh, dass wir wieder mit Gläubigen in den Gotteshäusern die Eucharistie feiern können, um von hier aus den Segen, den wir empfangen haben, nach außen zu bringen.
In der Apostelgeschichte wurde vom Pfingstfest in Jerusalem und von der Predigt des Apostels Petrus berichtet. Der Fischer vom See Genezareth predigt in der Hauptstadt Israels. Die Apostel verlassen die Räume, in denen sie sich verbarrikadiert hatten, um in der Kraft des Heiligen Geistes das eigentlich Undenkbare und Gefährliche zu tun: Von der Auferstehung Jesu zu berichten, dessen Kreuzigung die Bürgerinnen und Bürger von Jerusalem gefordert hatten. Es scheint die Zuhörer sehr betroffen gemacht zu haben, was sie da zu hören bekamen – außerhalb der engen Mauern, in denen der Auferstandene den Aposteln begegnet ist. Kirche lebt davon, dass sie ein und aus geht und dabei durch und mit Christus geht, der uns auch außerhalb mit seinem Segen begleitet, wenn wir zu ihm gehören durch Taufe und aus ganzem Herzen. Amen.
Lesungstexte dieses Sonntags: Apostelgeschichte 2, 14a.36-41; 1 Petrus 2, 20b-25; Johannes 10, 1-10)