Motto der Wallfahrt: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen"
1. Mein Name
- schenkt Identität
"Du kannst ab sofort ‚Reinhard’ zu mir sagen!" - ich habe mit diesen Worten einem Pfarrer das Du angeboten. Er hat es auch angenommen. Seitdem reden wir uns mit dem Vornamen an. Der Mitbruder ist älter als ich. Eigentlich tut man das nicht, sondern nur der Ältere bietet das Du an. Da ich aber Bischof bin, hatte er es sich nicht getraut. Also musste ich die Initiative ergreifen.
Wer meinen Namen kennt, kann mich anrufen, identifizieren, festnehmen und festlegen. Ich gebe ein Stück meiner Identität auf, wenn ich meinen Namen verrate.
Rumpelstilzchen konnte erst besiegt werden, als die Königstochter den Namen des Männchens herausbekommen hatte. Wer den Namen kennt, hat auch Einflussmöglichkeiten.
- verbindet mich mit Geschichte
Mit meinem Vornamen habe ich mich angefreundet, als ich meinen Namenspatron kennen lernen konnte. Das hat eine ganze Weile gedauert, weil man nichts Genaues vom heiligen Reinhard sofort erfahren konnte. Mein Namenspatron war Bischof in Lüttich, das heute Liege heißt und in Belgien liegt. Er starb 1037. Er wurde berühmt durch seinen Einsatz für die Domschule und die Theologie. Irrlehrer der Kirche behandelte er im Unterschied zu seinen Zeitgenossen mit Milde und versuchte, sie durch Argumente in Diskussionen von ihren falschen Lehren abzubringen. In Liege habe ich selbst einmal geforscht, was ich von ihm dort noch finden kann. Es war jedoch lediglich eine Ausgrabung unter einem großen Platz zu besichtigen, in der eine Kapelle aus der Lebenszeit meines Namenspatrons zu sehen war. Später jedoch bekam ich die Information, dass man seinen Grabstein im Museum identifiziert hat. Es gab ihn ohne Umschrift und deshalb wusste man nicht, dass es sein Grabstein war. In einem Archiv fanden Wissenschaftler eine Zeichnung dieses Grabsteins mit einer Inschrift. Dann war alles klar.
Als ich selbst Bischof wurde, hatte ich natürlich meinen Namenspatron - den heiligen Bischof Reinhard - um Fürsprache für den neuen Dienst gebeten. Ich denke, dass er es tut. Derzeit gibt es zwei Bischöfe in Deutschland mit diesem Vornamen Reinhard - einen Kardinal in München und einen Weihbischof in Regensburg. Der Vorname und der Namenspatron verbinden uns - ob wir wollen oder nicht. Er schaffte eine besondere Form von Gemeinschaft. Fällt dieser Name in der Bischofskonferenz, schauen jetzt drei Bischöfe auf.
2. Das biblische Zeugnis über die Bedeutung der Namensnennung
Im Jahr 739 vor Christus wurde Jesaja in den Dienst als Prophet von Gott berufen. Wir wissen das genau, weil es heißt, dass in diesem Jahr der König Usija von Juda starb und sein Todesdatum in den Chroniken verzeichnet ist. Jesaja versuchte sehr oft, das Volk daran zu erinnern, dass es sich allein auf Gott verlassen soll und keine politischen Bündnisse braucht, wenn Gott doch der Verbündete ist. In unserem heutigen Abschnitt aus dem Prophetenbuch ermutigt Jesaja das Volk Israel, sich ganz auf Gott zu verlassen, weil er ja das Volk mit Namen angesprochen und gerufen hat. Naturkatastrophen werden aufgezählt: reißende Flüsse und Feuersbrünste. Gott hat immer dieses Volk gerettet. Der Wert des Volkes wird sogar finanziell geschätzt: teurer als ganz Ägypten, teurer als das südarabische Reich Seba und Kusch, das heutige Ätiopien, - alles reiche Länder mit kostbaren Kultur- und Bodenschätzen. All das setzt Gott ein, um sein Volk zu retten und zu schützen! Seine Liebe zeigt sich letztlich auch in der Zusammenführung aller Mitglieder des Volkes, die in der Welt verstreut sind. Weil alle den Namen Gottes kennen, sollen sie zu einem Volk werden.
Alles dreht sich um Namengebung und Namensnennung. Gott kennt unseren Namen und wir kennen seinen Namen. Dadurch ist ein Dialog möglich - oder wir sagen auch: Das Gebet. Diese Gemeinschaft ist für Gott unschätzbar wertvoll. Darum wird er niemals aufhören, alle, die seinen Namen kennen, beim Namen zu rufen, um daraus ein Volk zu machen.
Im Evangelium hörten wir, wie Jesus seine Freunde das Gebet des Vaterunser lehrt. Weil sie nicht wie die Heiden plappern sollen, gibt er ihnen ein konkretes Gebet. Jesus weiß, dass manche Menschen meinen, mit vielen Worten Gott beeindrucken und sich vor ihm produzieren zu können. Nein: Kurz und knapp soll das Gebet zum Vater im Himmel sein, aber es hat es auch in sich, wenn man darüber nachdenkt. Viele kennen den Dialog zwischen dem Beter des Vaterunsers und Gott, den Clyde Lee-Hereng aufgeschrieben hat. Gott antwortet in diesem Dialog auf die Worte "Vater unser im Himmel" mit "Ja?" und der Beter ist verunsichert, was diese Störung soll. Gott sagt: "Du hast mich doch angesprochen!" Der Beter aber empfindet dieses Antworten Gottes als störend. Dabei lautet auch die Frage Gottes nach dem Abschnitt des Gebets "Geheiligt werde dein Name": "Meinst du das ernst? Willst du meinen Namen wirklich heiligen? Was bedeutet denn das?" Gott hilft zur Antwort und sagt: "’Geheiligt werde dein Name’ bedeutet: Du willst mich ehren, weil ich dir einzigartig wichtig bin." Wir sehen darin eine Wertschätzung Gottes, die wie eine Antwort auf das aussieht, was Gott schon zu Jesaja gesagt hat: "Ich gebe ganze Völker dafür her, damit du gerettet wirst!"
Das Thema des heutigen Wallfahrtstages "Beim Namen gerufen" lenkt unseren Blick also in zwei Richtungen, die jedoch eng zusammen gehören: auf Gott hin, den wir mit Namen ansprechen können, und auf uns hin, die wir von ihm beim Namen gerufen wurden. Als Christen kennen wir diese doppelte Ausrichtung und dürfen uns freuen, dass uns diese doppelte Sicht möglich ist. Heute sollen wir sie neu schätzen lernen.
3. Der Dialog: Gott kennt meinen Namen und ich kenne seinen Namen
Bei meiner Taufe am 6. Dezember 1953 wurde mein Name genannt. Jeder von uns, der getauft wurde, ist mit seinem Namen bei Gott bekannt. In bilderreicher Sprache sagen wir: "Unsere Namen sind bei Gott eingeschrieben!"
Bei der Firmung frage ich die Firmlinge ebenso nach ihrem Namen! Mit diesem Namen werden die Firmlinge dann auf der Stirn gesalbt, gefirmt und gestärkt. Das bedeutet: "Es geht bei der Firmung nicht um irgendwen. Es geht um mich! Darum muss mein Name gesagt werden. Er schenkt mir Individualität. Er schenkt mir Identifikation. Er schenkt Verbindung zu einem heiligen Namenspatron."
Ebenso kenne ich aber auch den Namen Gottes: Jahwe. Zu den spannendsten Geschichten der Bibel gehört die Begegnung von Mose mit Gott im brennenden Dornbusch. Gott ruft Mose in den Dienst, das Volk Israel aus der Gefangenschaft Ägyptens herauszuführen. Mose erbittet dazu eine Legitimation. Gott offenbart ihm seinen Namen: "Ich-bin-der-ich-bin-da! Eigentlich ist es kein Name, sondern die Beschreibung seiner Aufgabe - seines Selbstverständnisses: "Gott ist für uns Menschen da". Wenn wir Gott ansprechen, dann wissen wir darum, dass er an uns ein Interesse hat und wir mit unseren Anliegen zu ihm gehen können - sei es, dass es um eine Lebensentscheidung geht, sei es, dass wir ihm einfach eine Alltagssorge anvertrauen wollen. Mit Gott reden - ihn bei seinem Namen ansprechen - das können wir in freier Formulierung des Gebetes, das können wir auch mit einem Gebetsschatz, den wir uns im Laufe unseres Lebens anlegen sollten. Psalmtexte und Liedtexte sind dazu geeignet. Manche Lieder, die wir heute bei der Jugendwallfahrt singen, können zum Gebetsschatz hinzu kommen. Als Lied nach der Lesung haben wir gesungen: "Vater, du hast uns einen Namen geschenkt, noch bevor die Erde entstand." Wir loben Gott für seine Weitsicht bei der Schöpfung und behaupten oder bekennen, dass wir damals schon in seinem Plan mit vorgekommen sind. Und schließlich singen wir das Marienlied "Ohr, das den Ruf vernahm" am Schluss des Gottesdienstes. Wir denken an Maria, die den Ruf Gottes - den Ruf bei ihrem Namen - gehört und verstanden hat und eine Antwort gab mit dem Wort: Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mit mir geschehe, wie du es gesagt hast."
Also können wir uns merken: Wir haben von Gott eine Identität geschenkt bekommen. Wir sind bei ihm persönlich im Blick und werden mit Namen gerufen. Wir kennen auch Gottes Namen und können ihn ansprechen. Das ist ein Dialog aufgrund der gegenseitigen Namenskenntnis.
4. Der "Handicapped Jesus" aus Kambodscha
Das Bild von Gott, der "für-uns-da" ist, verändert sich, wenn wir unser biblisches Wissen mit den Erfahrungen des Alltags verbinden. Die Veränderung ist zugleich eine Konkretisierung.
In diesem Jahr werdet Ihr die Kreuzesdarstellung des sogenannten "Handicapped Jesus" erhalten. Dazu gibt es folgende Erklärung des Erfinders Pater Jorge Salord:
"Ich arbeitete damals in Benteay Prieb, einem der ersten Ausbildungszentren für Menschen mit körperlichen Behinderungen in diesem Land [Kambodscha], wo unter anderem Landmienenopfern in einem Ausbildungsprogramm in verschiedenen Werkstätten eine eigenständige berufliche Zukunft ermöglicht wird. Dabei kommt es oft vor, dass Landminenopfer ein zweites oder gar drittes Mal operiert werden müssen, weil die Wunden schlecht heilen oder Splitter im Knochen zurückgeblieben sind.
Eines Tages begleitete ich einen Studenten namens Da Seum zu einer solchen Nachoperation ins Spital. Seine Angst war unbeschreiblich. Alle Erinnerungen an den schrecklichen Unfall kamen wieder hoch. Wir mussten mehrere Stunden warten, bis er endlich an der Reihe war. Nach weiteren Stunden bangen Wartens kamen die Ärzte aus dem Operationssaal. Ich fragte sofort, ob alles gut gelaufen sei und bekam zur Antwort: ‚Wir haben noch gar nicht begonnen. Ein Notfall ist dazwischengekommen.’
Mein Schützling wartete also immer noch unverrichteter Dinge im Operationssaal. Als ich in den OP stürzte, bot sich mir folgendes Bild: Die Schwestern und anderes Personal sprachen miteinander, während Da Seum auf dem OP-Tisch lag und vor Angst schwitzte. Seine Arme waren ausgebreitet, an ihnen hing jeweils eine Infusion. Als er mich sah, war er sehr glücklich. Da traf es mich: Das ist Jesus am Kreuz. Heute leidet Jesus auf diese Art und Weise mit allen amputierten Menschen in diesem Land. Ich erzählte den Leuten von Banteay Prieb von diesem Erlebnis und fragte sie, ob sie dieses Bild als Holzskulptur darstellen könnten. Heute ist der Handicapped Jesus nahezu ein Logo für die kambodschanische Kirche. Er sagt aus: ‚Jesus ist bei mir, wenn ich leide, aber auch, wenn wir ein wenig Glück finden.’"
Jeder und jede kann sich selbst im Bild das "Handicapped Jesus" wiederfinden, weil wir nicht perfekt sind und auch andere diese Fehler ebenso bemerken und es uns sagen - mit Liebe oder auch mit Verachtung. Wir sollten genau hinhören, wenn wir Kritik bekommen und nach dem Ausweg fragen. Manchmal besteht dieser allein im Aushalten. Manchmal ist Veränderung möglich. Am Ende eines Schuljahres stehen Ü;berlegungen zur Zukunft an. Die Frage kommt: Werde ich gebraucht? Derzeit suchen die Unternehmer Arbeitskräfte und bieten günstige Ausbildungsmöglichkeiten an. Es besteht wohl sogar ausreichend Wahlmöglichkeit in den Ausbildungsstätten. Im Jahr 1993 - also vor 20 Jahren - wurden nur 800 000 Menschen in Deutschland geboren. 1964 - also dreißig Jahre vorher - waren es noch 1,35 Millionen. "Ihr findet alle Arbeit" - lautete die Ü;berschrift eines Artikels der FAZ vom 28. April 2013 in Richtung "Schulabgänger". Das klingt gut! Aber sucht man nicht nur die Jugendlichen ohne Handicap? Muss es nicht zunächst eine nachweislich hohe und gute Qualifikation geben, um einen guten Posten zu bekommen? Und wie sieht es mit den Beziehungen aus, die ins Spiel kommen müssen? Ich spüre bei solchen Prognosen viel Skepsis. Oftmals wurden Jugendliche durch solche Angebote schon enttäuscht. Ich kann euch auch nicht sagen, wie seriös solche Aussagen sind. Die demografischen Aufzeichnungen scheinen diese Aussagen zu bestätigen. Aber ich kann euch sagen: Egal, welchen Wahrheitsgehalt solche Aussagen haben - es bleibt dabei: Jesus Christus sagt weiterhin zu euch: "Ich bin für euch da!"
Ich lade euch ein, nach dem zu suchen und zu forschen, was eure Identität ist - egal, ob sie in der Gesellschaft oder auch bei euren Freunden Beifall findet oder nicht. Ich behaupte, dass wir ein geplantes Mosaiksteinchen in der Weltgeschichte sind, das nicht fehlen darf, wenn das ganze Bild der Welt harmonisch und hilfreich sein soll. Um diese Prägung als Person herauszufinden, braucht es Offenheit für Gott und die Bereitschaft, das zu akzeptieren, was wir dann erkennen. Ich frage euch: Hat Gott eine Chance, bei euch anzukommen und euch beim Namen zu rufen? Oder sind die Ohren und Köpfe so voll, dass da nichts mehr ankommen kann?
5. Hören und antworten: Das Gebet
Im Dialog mit Gott zeigt sich gegenseitige Wertschätzung. Wir machen nicht viele Worte "wie die Heiden", sondern beschränken uns auf wenige Worte, die aus dem Herzen Jesu kommen. Auch die vorformulierten Gebete anderer Christen sollen uns eine Ermutigung sein, selbst nach Worten zu ringen, in denen wir Gott sagen: "Ich habe dich lieb, weil du mich so wert schätzt und sogar ganze Völker auf die Waage bringen würdest, um mich zu retten". Wir sollten oft die Worte der Bibel lesen, die uns in Erinnerung bringen, wie Gott sich für uns einsetzt. Dann fällt uns der Dialog mit ihm leichter. Manchmal darf er auch ohne viele Worte sein, wenn wir uns einfach vor ihn hinstellen und sagen: "Gott, hier bin ich! Segne mich und sende mich!" Das war beim Propheten Jesaja das Ergebnis seines Nachdenkens über Gott, der ihn beim Namen gerufen hatte. Weil wir selbst in der Taufe und Firmung gesalbt wurden wie die Propheten, sollten wir es ihnen gleichtun und diese Antwort mutig geben: "Gott, dessen Namen ich kenne, und der mich beim Namen gerufen hat, hier bin ich! Segne und sende mich!" Amen.
26.5.2013