Vortrag von Bruder Paulus Terwitte zu einem Werk der Barmherzigkeit...
(BiP). Der Vortrag wurde im Rahmen der Reihe Die Werke der Barmherzigkeit - Geistliche Vorträge am 8.3.2007 in der Erfurter Brunnenkirche gehalten.
Bruder Paulus, geb. 1959 im westfälischen Münsterland, gehört dem Kapuzinerorden an und wurde nach dem Theologiestudium zum Priester geweiht. Die Zusatzqualifikation in Gestalttherapie und Supervision befruchten seine Begegnungen mit Menschen. Seit dem 2. Februar 2006 leitet er das Kapuzinerkloster Dieburg bei Darmstadt als neues Zentrum für Berufungspastoral der Kapuziner. Junge Männer sollen sich aktiv fragen lernen, in welche Lebensform Gott sie ruft.
Die Sorge um den Nachwuchs verbindet Br. Paulus mit seinen Erfahrungen in der Medienarbeit, mit der er seit 1999 in einer breiteren Öffentlichkeit die Frage stellt nach den wahren Werten des Lebens, verbunden mit der Frage nach Gott. Er ist Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) und arbeitet dort im Arbeitskreis "Pastorale Grundfragen" mit. Mit eigener Talksendung auf N24 zu Fragen der Ethik in Wirtschaft und Gesellschaft, als Moderator für eine kirchliche Sendung auf SAT1, als Gesprächspartner für HR4 und anderer Radiosender sowie als Buchautor und Kolumnist verschiedener Zeitungen spricht der Ordensmann und Priester Menschen weit über den Raum der Kirche an. ---
Wer Stimmen hört, kommt in die Psychiatrie. Wer aber Visionen hat, gilt als fortschrittlich. Das Sehen hat den Vorrang. Schauen erzwingt unsere Aufmerksamkeit.
Jener Jüngling Narziss, der gewonnen werden wollte von der Nymphe Echo, er-hörte sie nicht. Er wollte lieber sich sehen und im Sehen sich selber, sein Ich, verdoppeln. Doch im Spiegelbild sich selber sehend und narkotisiert (Narziss und Narkose gehören vom Wort her zusammen) vom Sehen fällt er schließlich in sein eigenes Bild. Er hat nicht hören wollen.
Wer nicht hört, muss sterben.
Das ist keine Auskunft und keine Abwertung gegenüber denen, die taub sind als Krankheitsbild. Gleichwohl, das Hörorgan ist nach der Haut das zweite Organ des Menschen, das in seiner embryonalen Entwicklung funktioniert. Zuerst kommt das Fühlen, und dann gleich danach das Hören.
Kinder hören im Mutterleib schon ab dem dritten Monat die Stimme ihrer Mutter und lernen den Klang ihrer Sprache. Das Grundmuster des Hörens, des Verstehens und des Sprechens, wird da grundgelegt. Dem Körper ist das Ohr so wichtig, dass nirgendwo am ganzen Leib so viele Nerven enden wie am Ohr.
Das Hören ist das Erste, was wir Menschen tun, und es ist das Letzte, was wir aufgeben. Als letztes stirbt das Ohr.
Im Hören nimmt der Mensch wahr, wohin er gehört. Ich gehöre dahin, wo mich etwas anspricht, ich gehöre dahin, wo ich angesprochen werde, wo sich z.B. ein Gesicht über den Kinderwagen neigt und sagt: du, du, du, du. Und in dieses "du, du, du, du" Hören lernt der Mensch von Schritt zu Schritt zu sagen "ich, ich, ich". Entnervten Eltern und Großeltern sage ich: Je trotziger ein Kind sagt: "Ich", um so mehr haben sie es geliebt. Martin Buber sagt: "Ich werde am Du".
Im Hören nehmen wir wahr, und wir können das Hören nicht lassen. Das Ohr ist neben der Nase das einzige Organ, das wir nicht schließen können. Wir müssen hören. Wir sind zum Hören und Gehorsam verdammt, weil wir in diese Welt gehören. Und die gewachsene Leistung des Menschen ist es, das auch aus dem Hören, dem wahllosen Hören, ein Horchen wird. Hören ist das, was ich erleide, das was ich alles hören muss, Horchen ist, mit allen Sinnen das Ohr an die Wirklichkeit halten.
Das Ohr ist das feinste Messorgan, das wir haben. Eine Geige könnte man mit dem Auge stimmen, in dem wir auf einer genaugestimmten Saite Zentimeter und Millimeter abmessen, um den bestimmten Ton zu bringen. Aber das Auge wird immer irren, es ist oberflächlich, Nur das Ohr kann wirklich messen. Musik kann man nicht sehen, Musik kann man nur hören. Musik ist die Edelsteinfassung, um die Stille. Klang und Musik ist die Verzierung um das Schweigen. Musik und Ton gibt es, um dem Schweigen die Ehre zu geben.
Die erste Bewegung der Christenheit war die Katechese. Katechese ist: Ich habe gehört, es hatte in mir eine Resonanz gegeben und ich habe zurück geschwungen. Ich habe es aufgegriffen und ich habe davon weitererzählt. Der Nächste hat sich davon begeistern lassen, er hat es weiterberichtet, da passte kein Blatt Papier dazwischen. Nur lebendiges Fleisch, von Echo zu Echo, vom Reden zum Hören, vom Hören zum Reden, vom Reden zum Hören.
Ich spreche gern hier in Thüringen, gern hier in Erfurt, weil ich während meiner sechs Jahre in Gera (1992-1998) Märtyrer des Gehorsams kennen gelernt habe, die in den Zeiten der DDR keinem Paragrafen auf den Leim gehen wollten und keinem noch so gut niedergeschriebenen Manifest. Die etwas gehört hatten, was einen Klang hervorrief, der von Wahrheit und Heiligkeit sprach. Ich habe hier Menschen getroffen, die sich in der Tiefe ihres Herzens einen Gehorsam angewöhnt hatten, der niemandem Untertan sein wollte, nur dem, der uns das Ohr geöffnet hat. "Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet" (Jes 50,5), heißt es in der Karfreitagsliturgie. Hier in der Kirche hängt vorn das Kreuz mit dem Gehorsamen, der ein Ohr zu den Menschen neigt, und der das andere Ohr an den Himmel hält. Er ist der, von dem es heißt, dass er um unsretwillen Gehorsam gelernt hat (vgl. Hebr. 5,8).
Meine Damen und Herren, wer Stimmen hört, kommt in die Psychiatrie. Das ist in vergangenen Zeiten von diesem Boden aus 40 Jahre lang möglich gewesen. Ich nenne nur Stadtroda, einen Ort, dem ich nach der Wende persönlich verbunden wurde. Wer Stimmen hört, und wer etwas hört, was nicht geschrieben steht, was anderen nicht in den Kram passt, der wird mundtot gemacht.
"Ich höre dir zu".
Zuhören ist gefährlich. Ich weiß ja nicht, was aus deinem Mund kommt, wenn ich dir zuhöre. Weil ich nicht weiß, was du mir zu sagen hast. Als ich Kurse zur Ausbildung von Telefonseelsorgern und Hospizhelfern in Gera durchführte, und in meiner eigenen Ausbildung als Gesprächstherapeut haben wir Stunden und Wochen damit verbracht, uns eine Haltung anzugewöhnen, die man "Ü;berraschungsohr" nennen könnte. Es geht darum, sensibel dafür zu werden, was man nicht hören will. Man muss wissen, was man gerade brauchen kann, damit man merkt, wenn man sich herauspicken will, womit man gerade noch fertig werden kann. So sensibilisiert, kann man ein starkes Ohr bekommen, das bereit ist, zu zuhören, was der Andere einem wirklich sagen will. Das aber ist oft nicht das, was er einem (in Worten) sagt.
Wenn jemand etwas sagt, sollte man gleichsam mit vier Ohren zuhören. Friedemann Schulz von Thun (1) hat dies anschaulich beendet: Ein Beispiel: Mann und Frau sitzen am Tisch, der Mann sagt zur Frau: "Die Suppe ist grün." Da machen wir unser Ohr auf - das nennt sich Sachohr - aha, der Mann teilt mir mit - Die Suppe ist grün. Gleichzeitig hören wir diese Aussage auch mit dem Beziehungsohr: Was ist zwischen dir und mir, dass du das Tischgespräch mit der Bemerkung beginnt: Die Suppe ist grün. Nun das Selbstoffenbarungsohr: Was sagt der Mann von sich, wenn er das Gespräch damit beginnt: "Die Suppe ist grün"? Vielleicht ist dies nur ein sprachliches Vehikel, mit dem er mir sagen will, dass es ihm sauschlecht geht. Er redet nicht über die Suppe sondern über sich. Vielleicht müssen wir noch das Appellohr öffnen: Welchen Appell richtet er an mich? Will er einfach nur sagen: Frau, sprich mich heute nicht an. - Vier Ohren für einem Satz. So genau müssen wir hinhören!
"Ich höre dir zu".
Was höre ich überhaupt? Hören ist gefährlich. Mein Hören verbindet sich mit dem Anderen und seiner Wirklichkeit. Im Hören lasse ich mich hineinnehmen in seine Welt. Die Begegnung damit weckt Erinnerungen und provoziert mich zu Reaktionen. All das kann ich nicht planen. Hören verwandelt mich und darum ist Zuhören gefährlich, weil herausfordernd.
Manche sagen, heute werde weniger zugehört als früher. Geben Sie nicht zuviel auf das ganze Gerede über das Ü;bermaß an Radio hören, Fernsehen oder Walkman und Podcasts. Ich bin kein Kulturpessimist. Das Hören ist nicht schlechter geworden. Es ist überhaupt nichts schlechter geworden. Es bleibt eben immer neu der Befund, das die Menschen sich immer schwer durch Hören verwandeln lassen. Hören ist gefährlich. Die Berufungsgeschichten des Alten Testamentes sind Geschichten von Menschen, die wissen, wenn sie das zulassen, was sie da gehört haben, können sie einpacken und müssen neu anfangen.
Es sei denn, sie machen es wie jene junge Frau, die in vorgerückter Stunde beim Schmusetango dem jungen Mann, der sie zum dritten Mal aufgefordert hat und ihr ins Ohr flüstert: Ich liebe dich, antwortet: "Ich nehme es zur Kenntnis", wohl wissend, wie gefährlich es ist, zu hören, was er sagen will, wohl wissend, dass, wenn sie das hört, sich ihre und die ganze Welt verändert. Hören ist gefährlich.
Das Werk der Barmherzigkeit "Ich höre dir zu" ist eine Wahnsinnstat. Einem zuhören kann ich nur, wenn ich bereit bin, mich zu verwandeln. Und dies kann ich nur, wenn ich ein Fundament unter den Füßen habe, dass es mir erlaubt, mich zu wandeln. Wenn ich aber nicht weiß, wo ich hingehöre, heimatlos bin, nicht weiß, was ist in dieser Welt, dann kann ich auch nicht richtig hinhören. Hören ist gefährlich. Nein, oft wird nicht gehört, es wird nicht auf das Design gehört, auf das Fremde, was herbeigehört wird: Und soll sich alles so entfalten, wie ich es mir für mein Leben er-hört habe. Ich lasse mich nicht ein auf meine Wirklichkeit. Ich bin ungehorsam, weil ich an Vorstellungen von Leben und Freiheit festhalte, die mich überhören lassen, wie mich die Liebe und die Wahrheit jetzt ansprechen, konkret mich einfordern. Solcher Art Ungehorsam kommt daher mit der Behauptung: Das ist Freiheit. Dabei vertuscht er, wie sehr er einengt. Wer sich frei wähnt, in dem er sich ungehorsam macht und niemandem Untertan ist und gar nichts hören will, wer nur auf seine Sache und seine Vorstellungen hört, ist letztlich unfrei. Denn wer kann ihn herausrufen aus seinem Kreisen um das Eigene?
Deswegen bin ich mit großer Freude in den Orden gegangen, denn hier darf ich von ganzem Herzen gehorsam sein. Hier darf ich mich mit ganzem Herzen täglich neu aufschließen für den Anspruch des Anderen. So wie ein Mann es in seiner Familie macht und seiner Frau untertan ist und so wie seine Frau von ganzem Herzen ihm gehorsam ist. Wie beide ihren Kindern von ganzem Herzen gehorsam sind, für sie etwa auf eine glänzende Karriere verzichten, tolle Aussichten begraben, hineinhören, was sie für Fähigkeiten haben und mit ihnen zu einer Existenz zu wachsen, die sie sich vorher nicht ausgemalt haben. Die Kinder ihrerseits werden erst im Erwachsenenalter ganz gehorsam werden und begreifen, dass menschliches Leben und menschliche Entwicklung nur dann wahrhaft menschlich ist, wenn sie im Gehorsam gegenüber der Wahrheit und der Wirklichkeit erfolgt und nicht im Gehorsam gegenüber selbstgestrickten und selbstverstrickten Vorstellungen, was zu werden hat. Menschwerden meint, gehorsam zu sein und nicht ständig Opfer der Urversuchung des Menschen zu sein: Ungehorsam gegen die Wahrheit zu sein (die Gott ist, wie wir als Glaubende sagen).
Manchmal reifen Mann und Frau nicht zu der Entscheidung, dem anderen Gegenüber gehorsam sein zu wollen. Dann heiratet man das Bild, das man sich vom anderen gemacht hat und das hat der andere dann auch zu erfüllen. Und wenn dann die Liebe zu dem anderen den Anderen wachsen lässt, ihn neu werden lässt in dieser Liebe, dann wird er nicht mehr wiedererkannt und allzu leicht zum Teufel geschickt. So bemerkt der Ungehorsame gar nicht, das die Person, die er heiratet, gar nicht so bleiben kann, weil die Liebe sie ja erst zu dem macht, die sie werden soll.
"Ich höre dir zu" - heißt dann: Ich bin stark, das Abenteuer anzunehmen, mich zu verwandeln in dem was ich höre. Ich bin stark, mich von dir verwandeln zu lassen. Eine Elisabeth von Thüringen, das war keine Frau, die irgendwo thronte, die irgendwie egozentrisch vor sich hin lebte, die früh in ihren Make up-Spiegel schaute und feststellt: Was bin ich für eine schöne Prinzessin, und dann noch feststellte: Ach, wie bin ich doch so christlich und da ich gelesen hab, dass ich um fromm zu sein, die Gesetze anwenden muss, werde ich jetzt einmal "barmherzig"
So funktioniert nicht heilig werden. Heilig wird man, wenn man gehorsam ist, dem Sein (Gottes, so sagen wir Glaubende), der Zeit und der Wirklichkeit gegenüber. Elisabeth hat das Rufen der Armen gehört. Sie hat es so gehört, wie wir es vorhin gesagt haben: Sie hat sich dadurch verwandeln lassen. Ihre Reaktion war nicht: Ich nehme es zur Kenntnis, um dann zur Tagesordnung überzugehen.
Man wird verwandelt in eine Richtung, die man nicht in der Hand hat. Als ich im Oktober 1977 in der Landvolkshochschule Freckenhorst mit 20 Jugendlichen in einem Seminarraum saß, wo uns ein Priester erklärte was Kirche ist und mir - und 19 anderen - als katholischem Ministranten vor Augen führte, das Kirche nicht heißt, oben Papst, Bischöfe und Priester und unten die Laien, sondern dass Kirche Volk Gottes ist, dass die Mitte der Kirche nicht der Papst ist oder der Vatikan sondern die Eucharistie ist und das daraus ein Baum wächst, und das dass ganze Volk Gottes mit unterschiedlichen Gaben und Begabungen seinen Dienst in der Welt zu leisten hat, habe ich das gehört und mir ging ein Kronleuchter auf - ich wusste in diesem Moment: Ich will ein Freund von diesem Jesus von Nazareth werden.
Das war eine Freiheitsentscheidung. Endlich eine Gemeinschaft, in der es kein oben und unten gibt. Endlich eine Gemeinschaft, in der ein gegenseitiger Gehorsam auf der Fahne geschrieben steht. In der das gegenseitige Zuhören und Respektieren der Gnadengaben und Charismen, das Grundmaterial ist: Alle sind einer in Christus. Es zählt nicht Mann oder Frau, Bischof oder Domkapitular oder was weiß ich. Alle sind wir eins in Christus.
Sie können sich vorstellen, was das für mich bedeutet hat, als ich nach Hause kam. Ich wusste, dass ich meinen Eltern nur gehorchen darf, wenn sie die Stimme Christi sprechen. Das ist das, was man "aktiven Gehorsam" nennt - horchenden Gehorsam. Aus dem Wort des Oberen die Stimme Christi hören. Aus dem Wort der Ehefrau suchen: Was will Gott mir sagen mit diesem Wort? Auch wenn es mich zu Tode ärgert, es ist mir von ihr gesagt und ich werde mich Gott stellen. Im Zuhören greifen wir immer mehr in die Mitte der Wahrheit hinein und ich habe es nicht in der Hand, was dabei herauskommt.
Als ich anderthalb Jahre später zu einem Informationstag bei den Kapuzinern mit anderen in deren Fernsehzimmer saß und ich das Reden und Tun erlebte, als wäre ich in einer Familie, da habe ich gesagt: Leute, ich glaube hier bleibe ich. Ich musste gehorsam sein, der Stimme Gottes gegenüber, die mir zu sagen schien: Dies ist der Ort, an dem du sein musst. Dies ist das Leben, für das ich dich geschaffen habe. Dies ist Hören im geistlichen Sinn. Es ist das innere Gewahrwerden, das innere Sich-gewiss-werden: Hier steh ich nun und kann nicht anders. Wie in der Apostelgesichte (Apg 4,20), wie bei Luther.
Mancher von Ihnen wird Glaubensgehorsam erlebt haben im Zusammenhang mit der Erfahrung, als christliches Kind von den Eltern nicht zu den Pionieren gelassen worden zu sein. Als Kind werden Sie das nicht einfach verstanden haben, warum Sie sich den Zorn oder die Häme Ihrer Mitschüler und Freunde gefallen lassen sollten. Vielleicht hatten Sie aber das Vertrauen in Ihre Eltern, dass die schon wüssten, warum. Zumindest später werden Sie verstanden haben, dass Ihre Eltern nicht dem autoritären System folgen wollten, sondern der Autorität des Rufes und der Stimme Gottes. Das ist nicht einfach. Man wird klug unterscheiden müssen. Jeder Einzelne hat zu prüfen, ob es wirklich Gott ist, der zu ihm spricht und dieses oder jenes verlangt. Jeder Einzelne hat mit ganzem Verstand zu prüfen und zu hören, ob Gott zu ihm spricht.
Zuhören ist gefährlich, weil Zuhören verwandelt. Zuhören heißt, Argumente hören, ihren Wahrheitsgehalt prüfen und wenn man den Wahrheitsgehalt für richtig hält, grundlegend sein Leben ändern.
Zuhören ist gefährlich. Was man einmal gehört hat, kann man nicht mehr vergessen. Man kann sein Ohr nicht verschließen. Wenn Jesus dem Tauben das Gehör wiedergibt, dann ist es nicht so, dass er einen Wunsch des Tauben erfüllt, sondern er gibt eine Öffnung des Hörsinns, das wir von ihm stark gemacht werden, uns im Hören auch verwandeln zu lassen. Das macht erst wirkliche Begegnung möglich. Jesus macht erst möglich, dass wir uns entwickeln und das wir weitergeben können. "Hört und ihr werdet leben".
"Höre. Höre Israel " (Dtn 6,4) ist das Grundgebet des gläubigen Juden. Sie wollten allein auf Gott hören und sind im Gehorsam miteinander und mit Gott fest verbunden. Sie folgen der Verheißung, und sind deswegen Autoritäten, die sich ein größeres Gehört verschaffen wollen, suspekt. Als Volk des Hörens haben sie diese Aussage in der Mezuza am Türpfosten angebracht: "Höre Israel. Gott ist einzig. Gott ist allen der Herr."
Wer das ernst nimmt, wird zum Revolutionär. Dann wird man unbequem, dann fragt man nach Begründungen und will sie hören. Ich bin sicher, dass Benedikt XVI. der Welt als Geschenk gegeben ist für die, die hören wollen. Weil hier eine Sprache auf uns zukommt, die zumindest für unser Ohr eine Verständlichkeit hat, dass man Bauklötze staunt. Man staunt aber auch, wie wenig auch hier zugehört wird. Wer von uns hat "Deus Caritas est" von Anfang bis Ende gelesen? Oder eine andere Frage: Wer von Ihnen hat schon einmal von vorn bis hinten ein Konzilsdokument gelesen? Oder noch eine andere Frage: Wer hat, nach dem er das Wort des Bischofs gehört hat, dieses Bischofswort noch mal von vorn bis hinten ganz gelesen?
Wer hört wird verwandelt. Es gibt aber auch einfach Verweigerungen des Hörens. Wir sind verantwortlich für unser Hören, wem wir zuhören und was wir darin aufzunehmen bereit sind.
Wir sehen am Kreuz, dass das Hören weh tut. Der Gekreuzigte ist der Innbegriff dessen, der hört, was in der Welt ist und der niemandem sein Ohr verschließt. So wandelfähig ist er. Der unwandelbare Gott. Er erbarmt sich aller und hört allen zu und will von jedem Einzelnen verwandelt werden (vgl. Gen 16,11, Ex 3,7). Ich glaube an einen Gott, der mir zuhören will und der darin die Verwandlung nicht scheut. Wir haben ihm etwas zu sagen, was ihm fehlt. In den Worten des Apostelbriefes gesagt: "Wir ergänzen an dem Leiden Christi, was ihm noch fehlt."
Hören ist gefährlich, Hören verwandelt. Hören ist aber auch aufschlussreich, weil richtiges Hören den Anderen aufschließt. In Michael Ende?s Buch "Momo" erfahren wir, das Momo so zuhören konnte, dass, wenn Momo zuhörte, ein anderer auf Gedanken kam, auf die er sonst nicht gekommen wäre. Momo konnte so gut zuhören, dass jemand im Sprechen seine eigenen Gedanken klärte. So können weise Eltern und Großeltern den Kindern und Enkeln einfach zuhören. Die Gesprächstherapie hat daraus ein ganzes Programm gemacht: "Aktives Zuhören". Das ist nichts anderes, als jede weise Großmutter und jeder weise Großvater schon lange gewusst hat. Man hört einfach zu. Das Wort des Anderen verhallt in mir. Der sieht, wie sein Gedanke von mir aufmerksam aufgenommen wird. Dieses Aufnehmen regt ihn an, den eigenen Gedanken noch tiefer zu erfassen bis zum dem Punkt, wo er erkennt: Aha, das ist es, was ich meinte.
Nehmen Sie nur als Beispiel die Begegnung Jesu mit der Samariterin am Brunnen. So zuhören können, dass dem Anderen das Herz aufgeht und das kann ich nur, wenn ich so stark bin, dass der Andere weiß, dass ich nichts von ihm will. Immer wieder werde ich in Predigten, Vorträgen und Fernsehauftritten gefragt: Wie viele haben Sie denn schon zurückgeholt? Meine Antwort darauf ist ganz einfach. Ich will gar keinen zurückholen. Ich möchte, dass durch mein Wirken und mein Leben im Anderen die Ahnung wach wird, dass es vielleicht wahr sein könnte, dass man mehr ist als eine einfache Folge der Evolution ist. Ich möchte gern, dass Menschen in sich eine Tür öffnen, zu einer Wirklichkeit, der sie sich gar nicht getraut haben, sich zu stellen.
Zu meiner schockierendsten Erfahrung in Gera gehörte es, zu erfahren, dass für viele Menschen die Kirche eine Sekte ist, ein Verein, zu dem man gehören kann, oder auch nicht. So etwas wie ein Trachtenverein, aber eben nicht relevant. Deswegen muss die Kirche alle Anstrengung unternehmen, so zu sprechen, dass man ihr, wenn sie sprich, abnimmt, was sie sagt. Und sie muss vor dem Reden so aktiv zuhören, dass die anderen merken: Wir sollen nicht etwas infiltriert bekommen, sondern uns soll aufgehen, was denen aufgegangen ist als Wahrheit: Dass nämlich Gott da ist.
Hören ist wahrnehmen. Die Wahrheit des Anderen wahrnehmen. Es geht nicht darum, den anderen zu agitieren. Sondern wir sollen ihn hören und seine Wahrheit erahnen.
Hören und Zuhören ist ein Thema für Seelsorger. Aber es ist auch ein Thema für Laien.
Als ich das erste Mal nach Profess und Priesterweihe vor einer kleinen Gemeinde mit 250 Seelen Gottesdienst feierte reagierte der Küster hinterher mit der Bemerkung: Es war ja ganz schön, aber die Predigt war halt zu lang. Er hatte sich ausgedacht, wie etwas zu sein hat. Er hatte aber nicht mir zugehört und meinem Engagement.
Für mich ist Predigen und Gottesdienstfeiern zuerst zuhören. Ich höre, wenn ich rede, auf die Reaktionen in der Gemeinde. Ich kann hier nicht etwas sagen, was ich mir vorher ausgedacht habe, am Schreibtisch, in meinem Kontext, der nicht der Ihre ist. Deswegen komme ich auch heute hierher und stehe vor Ihnen wie ein offenes Ohr. Was ich Ihnen sage, sage ich nicht aus mir, sondern auch ihm heraus.
Im Hören wird man wach zum Reden. Das passiert auch einer Mutter, die abends am Bett ihres Kindes sitzt und plötzlich von ihrem Kind gefragt wird: Kommt mein Hamster auch in den Himmel? Dann kann eine Mutter nicht das Buch aus dem Regal nehmen und eine passende Antwort daraus vorlesen. Sie macht das, was "Katechese" meint, wörtlich "Widerhallen". Sie gibt am Kinderbett weiter, was sie seit ihrer Kindheit oder später aufgenommen hat. Auch hier geht es, wie in der Glaubensverkündung, darum, eine Antwort zu formulieren, die im Hier und Jetzt Bestand hat. Diese Antwort (an das Kind) muss die Liebe zu diesem Kind mit einschließen und die Liebe zur Wahrheit in der wir leben. Predigen und verkündigen wird dann zum "Wort gebären", zum "Geburtsvorgang". Dieser Geburtsvorgang besteht nicht darin, dass ich etwas vorher schön Ausgedachtes sage, sondern, dass ich im Hören auf das Wort Gottes und die Ü;berlieferung der Kirche hineinspringe in diesen Echostrom. Mein Ohr sozusagen an der Quelle haltend, an die Zeit und an meiner Geschichte, an meinen Fähigkeiten und an die Menschen, die vor mir sitzen. Etwas zu schaffen, dass auf Grund meines Redens und Ihres Zuhörens in jedem Einzelnen von Ihnen eine neue Offenbarung bringt.
Für mich heißt Seelsorger, einer zu sein, der nicht weiß, was er päckchenweise weiterzugeben hat, sondern einer, der gehört hat und nun auch Anderen zuhören will und der versucht, mit ihnen gemeinsam das Ohr an Gottes Willen zu halten.
Deswegen haben Bischöfe früher vor ihren Namen kein Kreuz sondern ein T gezeichnet - Bischof Kamphaus hat dies bis in die Gegenwart hinein gemacht - T für Tapenius (= der Gehorsame). In Papstnamen finden wir das noch in der Bezeichnung "Servus servorum Dei" (= Diener der Diener Gottes): Im Gehorsam das Ohr ganz beim Menschen und das Ohr ganz bei Gott haben.
Ich glaube, dass die Kirche zu lange Zeit eine redende Kirche war. Sie wächst langsam hinein in den Dienst, eine gehorsame Kirche zu sein. Ich glaube, dass Gott uns die Möglichkeit schenkt, unsere Strukturen neu zu überdenken im Gehorsam gegenüber der Wirklichkeit.
Die Wirklichkeit ist keine Störung vom Eigentlichen. Das, was ist, ist der Ort wo Gott wohnt. Wir haben genau darauf zu hören und haben uns dahinein neu aussenden zu lassen. Die Gegenwart ist eine Einladung zum Hören. Was ist jetzt dran? Jeder von uns ist verpflichtet mit zuhören. Das geschwisterliche Hören, die Solidarität, ist eine Einladung, sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Wer Hören will, muss sich verwandeln.
"Ich höre dir zu"
Weil ich dir zuhöre, Welt, wie es dir geht, weil ich dir zuhöre, Welt, was du zu leiden hast, suche ich nach neuen Wegen. Ich höre dir zu: Millionen von Arbeitslose, Millionen Kinder, die ohne intakte Familie aufwachsen müssen. Scheidungen, wohin das Auge blickt, Arbeitsverträge, wo Leute 3,30 ?/Stunde verdienen. Ich höre dir zu - Welt. Ich will es hören. Du darfst es mir sagen. Du darfst bei mir auftauchen und an mein Ohr gehen. Es darf mir zu Ohren kommen und ich werde nicht umkippen, in der Kraft dessen, der mir sein Ohr leiht.
Die Menschen warten darauf, dass man ihnen zuhört.
Es ist keine Frage von zu vielen Fernseh- und Radioprogrammen, dass wir nicht mehr hören. Wir Kapuziner sind dabei zu überlegen, wie können wir mehr zuhören. Als ich in den Orden eintrat, waren wir noch 260 Brüder, jetzt sind wir noch 100. 40 Brüder sind über 70 Jahre, wir sind jetzt schon so alt wie Deutschland in 25 Jahren. Dennoch, wir haben ein Zeugnis zu geben. Wir haben uns zu fragen, was willst du Herr, das ich tun soll? Was willst du Herr, uns damit sagen? Was heißt das, das wir so viele alte Brüder haben? Wir müssen überlegen, wo können wir bleiben, wo müssen wir gehen? Wir müssen die Wirklichkeit umarmen.
"Ich höre dir zu"
Die Kunst des Zuhörens bedarf einer Einübung in die Stille. Als Kapuziner bin ich jeden Tag eine Stunde in der Meditation. Die Kapuziner haben diese lange Tradition, des in der Kontemplation Zuhörens und dann wieder Hinausgehens in die Welt. Vielleicht brauchen wir in der Kirche neue Punkte, neue Orte der Stille. Was wäre mit einem Pfarrgemeinderatsbeschluss, dass nach jeder Kommunion eine Viertelstunde Stille ist? Vielleicht kann man dann nach der Messe beim Frühschoppen auch darüber sprechen: Was hat er mir gesagt? Wozu sendet er uns? Was müssen wir tun? Es wird nicht immer angenehm sein, was dann zu Tage tritt. Denn wie gesagt, Hören ist gefährlich.
"Ich höre dir zu" - Wer nicht hören will, muss fühlen.
Anmerkungen
(1) Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek bei Hamburg 1981 u.ö.