Hirtenbrief von Bischof Wanke zur österlichen Bußzeit 2001

Mit Jesus Christus in das neue Jahrtausend eintreten

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Papst Johannes Paul II. hat in einem Schreiben zum Abschluss des Jubiläumsjahres 2000 alle Gläubigen in der Welt eingeladen, mit Glaubensmut und Vertrauen in das neue Jahrtausend einzutreten. Der Heilige Vater hofft auf einen neuen Aufschwung im Leben der Ortskirchen. Und dann stellt er sich selbst die Frage, die einst die Volksmenge dem Petrus nach seiner Pfingstpredigt gestellt hat: "Was sollen wir tun?"

Dazu führt er aus:
"Wir stellen uns diese Frage mit zuversichtlichem Optimismus, ohne dabei die Probleme zu unterschätzen. Das verleitet uns sicher nicht zu der naiven Ansicht, im Hinblick auf die großen Herausforderungen unserer Zeit könnte es für uns eine ?Zauberformel? geben. Nein, keine Formel wird uns retten, sondern eine Person, und die Gewissheit, die sie uns ins Herz spricht: "Ich bin bei euch!"

Und dann gibt der Heilige Vater eine Anregung, die uns in dieser Fastenzeit begleiten sollte. Er schreibt:
"Es geht also nicht darum, ein ?neues Programm? zu erfinden. Das Programm liegt schon vor: Seit jeher besteht es, zusammengestellt vom Evangelium und von der lebendigen Tradition. Es findet letztlich in Christus selbst seine Mitte. Ihn gilt es kennen zu lernen, zu lieben und nachzuahmen, um in ihm das Leben des dreifaltigen Gottes zu leben und mit ihm der Ge-schichte eine neue Gestalt zu geben" (Novo millennio ineunte, Nr. 29).

Soweit der Papst in diesem bemerkenswerten Schreiben. Unser Programm hat einen Namen: Jesus Christus. Was folgt daraus für uns?


I. "Christus kennenlernen, lieben und nachahmen"

Manchen von euch ist mein Brief bekannt, den ich an die katholischen Mitchristen in Deutsch-land gerichtet habe. Mir geht es darin um unseren Auftrag, Jesus Christus denen bekannt zu machen, die ihn und seine Botschaft noch nicht kennen. Das ist eine große Aufgabe, vor der wir verzagen könnten. Kann das überhaupt gelingen? Christus bekannt machen? "Das Evan-gelium auf den Leuchter stellen - auch für Nichtchristen"?

"Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über" - sagt die Volksweisheit. Das gilt auch für uns, wenn wir unseren Mitmenschen das Evangelium nahebringen wollen. Dazu braucht es IHN, Jesus Christus selbst, der von unseren Herzen Besitz ergreifen will. Die vor uns lie-gende Fastenzeit lädt uns ein, Christus vertiefter kennen zu lernen, zu lieben und nachzuah-men.

1. Wie lernt man jemanden kennen? Wenn man mit ihm vertrauten Umgang hat. Unser wich-tigster Fastenvorsatz sollte sein: kein Tag dieser österlichen Bußzeit ohne persönliches Ge-bet. Die Jünger baten Jesus: "Herr, lehre uns beten!" Der Vater, der für sein Kind um Heilung bat, rief: "Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!" Es soll keinen Tag der Fastenzeit geben ohne ein andächtiges Vater unser, ohne das Glaubensbekenntnis, ohne einen Psalm oder ein anderes für dich hilfreiches Gebet. Suche auch die Nähe, die der Herr uns in der Eucharistie schenkt, im Bußsakrament, beim Lesen und Bedenken der Heiligen Schrift! Sorge dafür, dass dein Vorsatz in den kommenden Tagen wirklich greift und denke an den weisen Spruch: "Vorsätze sind wie Aale. Sie sind leicht zu fassen, aber meist schwer zu halten!"

Unser Bemühen um vertiefte Frömmigkeit kommt nicht ohne Klugheit aus. Wir kennen uns ja selbst nur zu gut. Markiere für das Gebet, für die Begegnung mit dem Herrn einen festen Punkt im Tagesablauf. Schränke bewusst einmal anderes ein, die Zeitungslektüre, das Fernsehen. Ü;berlege, was dir beim Beten helfen kann: das Gotteslob mit seinen Gebeten und Liedern, der Schott und die Texte der Liturgie, ein geistliches Buch, selbst dein Tagesablauf, vielleicht sogar die Nachrichten, die uns über die Medien erreichen. Das alles kann uns zum persönlichen Gebet anregen.

2. Christus tiefer lieben lernen - am besten dort, wo er bevorzugt sein will: bei den Armen und Geringen, bei den Schwachen und Hilfsbedürftigen. Ich habe vor kurzem anlässlich des "Internationalen Jahres der Freiwilligen" sehr dankbar in der Öffentlichkeit auf die vielen eh-renamtlichen Dienste hingewiesen, die von katholischen Christen in unseren Gemeinden, Ver-bänden und Gemeinschaften geleistet werden. Viele davon sind Dienste für Mitmenschen - "um Gottes Lohn", ohne Bezahlung, einfach so, weil sie notwendig und wichtig sind. Viele leisten solche Dienste eigenen Angehörigen. Darin, liebe Schwestern und Brüder, wird Chri-stus geliebt. "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan", die-ses Wort Christi gilt auch heute. Dort, wo wir selbstlos lieben, sind wir am überzeugendsten.

Öffnet in dieser Fastenzeit die Augen und entdeckt in eurer Mitte die Armen! Es gibt viele For-men von Armut, nicht nur materielle. Es gibt Einsamkeit, Allein-Gelassen-Sein, Hilflosigkeiten vielfältigster Art. Lasst uns in diesen heiligen vierzig Tagen in der Liebe zu Christus in den Armen wachsen!

3. Auf diese Weise fangen wir an, Christus nachzuahmen. Oder besser: Wir wachsen wie von allein in die Ähnlichkeit mit Jesus Christus hinein. Ein mir wichtiges Gebet nach der heiligen Kommunion lautet: "Herr, wachse in mir!" Am Tage versuche ich dann dieses Gebet ins Leben umzusetzen: wenn ich mich an meine Akten setze, wenn ich Menschen begegne, mit schwierigen Problemen konfrontiert werde, ratlos bin oder mich ärgere. "Herr, wachse in mir!" Ich spüre, dass er nach und nach immer mehr in meinem Lebensalltag Einzug hält. Eben darauf kommt es an.

Ich mache dabei eine interessante Feststellung: Wenn in mir Christus wächst, werde ich auf merkwürdige Weise selbstsicher. Ich meine damit nicht eine falsche, hochmütige Selbstsi-cherheit. Ich meine damit vielmehr eine tiefe Gelassenheit und Stärke, die mich geistig unab-hängig, ja zutiefst frei macht, z. B. vom Zwang, mich nach dem zu richten, "was alle machen". Aus der Christusverbundenheit erwächst die Kraft zum Zeugnis für das Evangelium in der Welt.


II. "Mit Christus der Geschichte eine neue Gestalt geben"

Kann es das wirklich geben - den Gang der Geschichte beeinflussen? Sind wir dazu nicht zu einflusslos und ohnmächtig? Ich meine: Nein. Immer sind es Menschen, die den Lauf der Dinge bestimmen. Vor allem Menschen, die nicht gedankenlos jedem Trend und jeder Mode nachlau-fen. Wir Christen sollten dazu gehören. Wir brauchen dazu freilich das Profil eines Lebens, das sich vom Evangelium Christi bestimmen lässt. Was gehört zu diesem Profil?

1. Sich einsetzen - statt sich um jeden Preis durchzusetzen.

Unsere Zeit redet uns ein: "Du musst dich durchsetzen!" Sicher, manchmal ist das im Sinne einer Aufgabe, eines Amtes auch notwendig. Aber sich durchsetzen um jeden Preis? Auch auf Kosten anderer? Auf Kosten der Allgemeinheit? Weil es eben alle so machen?

Wie sieht es bei euch in den Gemeinden und Gruppen aus? Wir werden beispielsweise in Zukunft vermehrt nach neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Pfarrgemeinden fragen müssen. Manchmal ist es schon ein Problem, eine lieb gewordene Messzeit am Sonntag zu verändern. Gilt da auch das Prinzip: Das war immer so und hier bei uns darf sich nichts än-dern? Diese Haltung möchte ich anfragen.

Ich lade euch ein, eure Pfarrgemeinden, eure Familien, eure Gruppen und Gemeinschaften zu Schulen einer wahren christlichen Gemeinschaft zu machen. In unserer Gesellschaft mangelt es oft am Geist einer guten Gemeinsamkeit. Was kann diesem Mangel abhelfen? Sich einset-zen - statt sich um jeden Preis durchzusetzen! Christen könnten so zum Sauerteig für das Ganze der Gesellschaft werden. Wir müssen freilich noch mehr lernen, unseren egoistischen Versuchungen zu widerstehen, der Versuchung zur Rivalität, zum Karrierestreben, zum Misstrauen, zur Eifersucht. Dazu nein zu sagen, das heißt: "Das Evangelium auf den Leuchter stellen!"

2. Die Dinge dieser Welt sinnvoll gebrauchen - statt sie sinnlos verbrauchen

Neuerdings hat das Stichwort "Verbraucher" Konjunktur. Die BSE-Krise macht aus jedem von uns einen Verbraucher. Die ganze Gesellschaft scheint - wenn man die Reklame ernst nimmt - nur noch aus Verbrauchern zu bestehen. Wer nicht konsumiert und verbraucht, existiert ei-gentlich nicht. Eines der ernsthaften Probleme der Zukunft unserer Welt ist diese Mentalität, die Dinge zu verbrauchen, statt sie zu gebrauchen.

Zum Unwort des Jahres würde ich beispielsweise gern den Ausdruck erklären: "verbrau-chende Forschung". Damit meine ich jene Forschung, die ungeborenes menschliches Leben für bestimmte Zwecke aussondert und vernichtet. Wir stehen kurz vor der Freigabe solcher Möglichkeiten.

Ein Lebensstil nach Maßgabe des Evangelium muss dieser Mentalität Widerstand entgegen-setzen. Sicher, wir freuen uns an allen Dingen, die uns die Natur und menschlicher Erfinder-geist schenken und die das Leben erleichtern und verschönern. Aber wir wissen: Alle Dinge dieser Schöpfung sind uns zu schonendem Gebrauch übergeben. Sie gehören uns nicht. Wir sind für sie verantwortlich. Und zudem sind wir auch denen verantwortlich, die nach uns kommen werden. Von uns hängt es ab, welche Welt wir ihnen überlassen.

Könnte es in unserem ganz persönlichen Lebensstil Dinge geben, die wir nicht unbedingt ha-ben und konsumieren müssen? Ist wirklich jede Anschaffung notwendig und sinnvoll? Gibt es Gewohnheiten, die dem eigenen und fremden Leben schädlich sind und die abzustellen wä-ren? Gelten bei uns noch die Tugenden des Maßhaltens und der Selbstbegrenzung? Es gibt vielleicht doch mehr Stoff für das Bußsakrament als wir meinen.

Und schließlich:
3. Das kleine Licht anzünden - statt über die Finsternis zu klagen

Im Klagen sind wir Weltmeister, manchmal auch in der Kirche. Ich erlebe hin und wieder Ge-spräche, die mich deprimieren. Danach habe ich den Eindruck, dass es überall nur bergab geht. Ich gebe zu: Es gibt Dinge, die beim Namen genannt werden müssen, die man nicht unter den Teppich kehren darf.

Aber es gibt wohl im Menschen eine merkwürdige Lust, sich an den schlimmen Dingen dieser Welt zu weiden, ja dazu beizutragen, sie möglichst allen bekanntzumachen. "Hast Du schon gehört....?" Was dann folgt, ist meist wenig auferbauend. Man kann die Welt auch durch sol-che Art von Reden dunkel machen.

Das kleine Licht anzünden - statt über die Finsternis zu klagen! Das Licht des Evangeliums mag manchmal sehr klein und unscheinbar sein. Aber es hat eine erstaunliche Ausstrahlungs-kraft. Jeder Seelsorger wird das bestätigen. Haben wir doch mehr Mut, uns in Glaubensdin-gen ins Herz schauen zu lassen! Ein gutes Wort zur rechten Zeit, eine kleine Geste der Solida-riät und Hilfeleistung, ein klares Bekenntnis dort, wo alles beliebig und schwammig ist - das schafft Licht in der Dunkelheit und hilft anderen, sich richtig zu entscheiden. So kann mit Got-tes Beistand das Evangelium Christi Zugang zu den Herzen der Menschen finden und die Welt verändern.


Mit Jesus Christus in das neue Jahrtausend eintreten! Im Johannesevangelium heißt es einmal, dass Heiden an die Jünger mit der Bitte herantreten: "Wir wollen Jesus sehen!" Wir sollten von Christus nicht nur reden, sondern ihn den Menschen zeigen, ihn gleichsam "sehen" lassen. Jeder von uns ist dazu herausgefordert, auf Christus hin transparent, "durchsichtig" zu wer-den, auch unser Bistum insgesamt. Könnte es eine wichtigere Aufgabe für uns als Kirche im Freistaat Thüringen geben?

Zum Schluss bitte ich euch wieder herzlich um euer Gebet für Priester- und Ordensberufe auch aus unserem Bistum. Unsere jungen Christen rufe ich auf, auf einen möglichen Ruf des Herrn zu achten und ihm gegebenenfalls großherzig zu folgen.

Es segne euch der gute und mächtige Gott: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

Bischof Joachim Wanke


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