Daniel Bertram, Referent in der Hauptabteilung Pastoral und u.a. verantwortlich für die Klinik- und Gefängnisseelsorgenden war am Gründonnerstag (17.4.) mit Weihbischof Reinhard Hauke und Sebastian Alt, Seelsorger in der JVA Tonna, in der JVA. Nachfolgend berichtet er von diesem außergewöhnlichen Ereignis.
„Dass es in Rom anlässlich des Heiligen Jahres vier Heilige Pforten der päpstlichen Basiliken gibt, war mir bekannt. Sie sind ein fester Bestandteil jedes Jubiläumsjahres und Ziel von Pilgerreisen aus der ganzen Welt. In 2016, dem „Jahr der Barmherzigkeit“ bin ich selbst schon durch die Pforten geschritten.
Überrascht war ich dann doch, als ich las, dass Papst Franziskus am 26.12.24 eine weitere Heilige Pforte geöffnet hat. Wo konnte das sein? Es ist ja nicht so, dass es in Rom einen Mangel an prachtvollen Kirchen und prunkvollen Pforten gäbe. Aber Franziskus ist eben Franziskus und so findet sich diese fünfte Pforte gerade nicht in Santa Irgendwas, sondern im großen römischen Gefängnis Rebibbia; und die Pforte ist der Eingang der Gefängniskapelle.
Der Papst begründete seine unkonventionelle Wahl so: Er wolle den Blick auf Menschen in Haftanstalten lenken und damit auf Menschen am Rand der Gesellschaft verweisen. In Anlehnung an das Motto „Pilger der Hoffnung“ sollte dies Solidarität zeigen und Hoffnung vermitteln.
„Ein starkes Zeichen“, dachte ich mir. Ein Gefängnis, das ist ein Ort, den viele (wer kann es ihnen verdenken!) lieber meiden. Etwas, womit man „nichts zu tun haben möchte“ und den man, ähnlich einem Krankenhaus, lieber von außen als von innen sieht. Glauben Sie mir, wenn ich schreibe, dass ich das grundsätzlich ähnlich sehe; allerdings sind diese beiden Orte Teil meiner Arbeit im Bistum als Ansprechpartner für die Seelsorgenden vor Ort. In dieser Rolle war ich schon im Arrest, Vollzugsanstalten und Krankenhäusern, um mit den Seelsorgenden dort zu sprechen. Sie, das ist meine feste Überzeugung, haben einen kirchlichen Auftrag und erfüllen sichtbar und glaubwürdig einen Grundvollzug unseres Glaubens und sind bei den Menschen sind.
An diesem Gründonnerstag hat mich meine Arbeit wieder in eine Vollzugsanstalt geführt: Zusammen mit unserem Weihbischof Dr. Reinhard Hauke haben wir uns von Erfurt auf den Weg nach Tonna gemacht. Vor Ort wurden wir von vom dortigen Seelsorger Sebastian Alt begrüßt. Nach einer Führung durch die Werk- und Arbeitsorte nahm sich der Anstaltsleiter Zeit für ein Gespräch. Am späten Nachmittag folgte dann der eigentliche Anlass unseres Kommens: das gemeinsame Feiern der hl. Messe am Gründonnerstag mit Fußwaschung.
Nach einer Einführung haben wir die Leidensgeschichte Jesu gelesen, vom letzten Abendmahl bis zur Kreuzigung und an entsprechenden Punkten innegehalten: Bei der Schilderung des Mahles haben wir zusammen gegessen. Sebastian Alt hatte ein Sedermahl vorbereitet (Das Sedermahl ist eine rituelle Mahlzeit an dem Abend vor dem jüdischen Pessachfest und erinnert an die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft) . So sind wir miteinader ins Gespräch gekommen.
Nach der Erzählung von der Fußwaschung, haben wir den Gefangenen die Füße gewaschen und schließlich sind wir zum Kreuz in der Gefängniskapelle gezogen. Nach einer kurzen Predigt, Fürbitten und gemeinsamen Gebet haben wir uns verabschiedet und wurden wieder vor die vielen Türen gebracht.
Wer von außen aus der Perspektive des „normalen“ Betriebsablaufs einer JVA durch die Glasscheibe geschaut und uns mit liturgischen Gewändern inmitten der Justizvollzugsbeamten und der Gefangenen gesehen hat, wie wir in verteilten Rollen die Leidensgeschichte lesen, mag vielleicht gedacht haben, hier gastiere eine Laiengruppe, die ein Theaterstück aufführt. Exoten, die nicht so recht hierher passen.
Wer aber drin und dabei war wie ich, der hat gemerkt: hier passiert etwas. Hier ereignet sich gerade etwas. Sonst nicht um Worte verlegen, kann ich gar nicht recht beschreiben, was sich ereignet und mein Herz bewegt hat.
Ich persönlich habe jedenfalls gefühlt: Ich bin genau an dem Ort, an dem ich gerade sein will, soll und sein muss. Begegnungen und Geschehnisse wie diese sind der Grund, warum ich diese Arbeit mache. Nicht zuletzt ist auch meine Hochachtung vor der Arbeit, die Menschen hier tun, noch einmal gestiegen.
Am Ende des Tages und am Anfang des Osterwochenendes steht für mich neben einer besonderen Erfahrung auch eine Erkenntnis: Ein Gefängnis ist keinesfalls der Rand der Gesellschaft. „Rand“ suggeriert, es wäre das Ende, ein Abgrund, dahinter nichts. Aber wer in einer Strafanstalt ist, merkt schnell: Hier ist sehr wohl etwas. Hier gibt es auch keinen Abgrund (jedenfalls nicht mehr als sonst wo in der Gesellschaft auch – auch in mir) und hier ist auch kein Nichts - nur etwas „anderes“.
Doch um wieder auf die Worte von Franziskus zu kommen: Solidarität und Hoffnung braucht es hier wahrlich. Ich möchte noch ergänzen: Die Bereitschaft, sich trotz Berührungsängsten anrühren lassen."