Erfurt/Gnadenthal (BiP). Das "Vater Unser" darf zweifelsohne als das bekannteste Gebet der Christenheit gelten. Es ist so geläufig, dass sich selbst Nichtchristen kaum über die eigenartige Reihung der Worte "Vater" und "unser" wundern. Doch was so alltäglich begegnen kann wie das "Vater Unser", bedarf immer wieder der Neuentdeckung, um seine Kraft zu entfalten. Dazu will das Buch "Gottesnähe - Vater Unser" beitragen, das der katholische Erfurter Bischof Joachim Wanke und der Künstler Andreas Felger im Präsenz-Verlag, Gnadenthal, vorgelegt haben.
Andreas Felger hat für das Buch einen Zyklus von 14 Aquarellen geschaffen, die sich auf einzelne Passagen des "Vater Unser" beziehen. Die Technik des Aquarells sei offen für Ü;bergänge und Entwicklungen, heißt es im einführenden Kapitel. Die Bilder beanspruchten nicht, "allgemein gültige Aussagen zu treffen. Sie zeigen eine sehr persönliche Annäherung. Man gewinnt den Eindruck, diese Bilder sind betend gemalt". Die Wahrnehmung bestimmen große Farbflächen, die sich als Kreise und Vierecke mal voneinander abgrenzen, dann wieder ineinander zu laufen scheinen.
Bischof Wanke sieht darin "Verdichtung und Abstraktion", was der sparsamen Sprache des Vater-Unser-Gebetes entgegen kommen würde: "Im Vater Unser verdichtet sich die Fülle der Gottesoffenbarung Jesu zu letzter Einfachheit und Klarheit. Die Betrachtung des Textes findet in den Formen und den Farben der Aquarelle eine Anregung und Vertiefung."
Als Christ, Seelsorger und Bischof weiß Joachim Wanke nur zu gut, wie wenig selbstverständlich es ist, "an den Gott und Vater Jesu Christi zu glauben und zu ihm in der Weise Jesu beten zu können". Daher hätte ja Jesus selbst die Jünger das Vater Unser gelehrt, als sie ihn baten: Herr lehre uns beten! "Wie tröstlich", meint Wanke und hat dabei gewiss die "Botschaft" des "Vater Unser" im Sinn.
Der Bischof schreibt: "Wir Menschen sind nicht mit uns selbst allein. Es gibt einen Lebensreichtum, der alles von uns Erdachte oder Erwünschte übersteigt. Diese Fülle hat ein Herz und trägt auch einen Namen. Es ist der Gott und Vater Jesu Christi. Diesen Gott an der Hand Jesu Christi zu entdecken, ihm zu begegnen, sich von ihm faszinieren zu lassen, ihm das eigene Leben, die eigene Zukunft anzuvertrauen, von ihm alles zu erwarten - das ist die tiefste Absicht des Vater Unser."
Diese "Absicht" legt Wanke in den einzelnen Kapiteln, die dem Wortlaut des "Vater Unser" folgen, aus. Dabei bezieht er sich nicht allein auf den Gebetstext, sondern beginnt immer mit den Aquarellen Felgers, um so einen "Trialog" zwischen Text, Bild und Betrachter zu eröffnen. Bereichert wird dieser Trialog durch Gebete, die neben der Auslegung abgedruckt sind und von Betern wie Hildegard von Bingen, Philipp Melanchthon, Janus Korczak und Johannes Paul II. stammen, also einen Zeitraum von rund 1000 Jahren abdecken.
So ist ein Buch über das "Vater unser" entstanden, das zu Meditation, Gebet, Betrachtung und, ja auch, Handeln einlädt. Wanke nimmt den Vorwurf ernst, Beten sei Flucht vor dem notwendigen eigenen Handeln. "Ein Nachdenken über den betenden Jesus wird auch auf sein Tun und Handeln achten", schreibt der Bischof. Und weiter: "Gebet und Leben bilden eine Einheit. Christinnen und Christen aller Zeiten, auch die sogenannten Heiligen, zeigen: Gebet und aktiver Lebenseinsatz bilden keinen sich ausschließenden Gegensatz. Sie fordern sich gegenseitig heraus. Ja, sie bedingen einander."
Peter Weidemann
Andreas Felger, Joachim Wanke, Gottesnähe - Vater Unser. Vierzehn Aquarelle von Andreas Felger, Betrachtungen von Bischof Joachim Wanke. Mit einer Würdigung von Prof. Dr. Frank Günter Zehnder. Herausgegeben von Oliver Kohler. Präsenz-Verlag: Gnadenthal 2005. ISBN 3-87630-526-8. Preis: 29,90 Euro.
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