Gottes Wort soll nicht im Bücherregal verstauben

"Gott hat nicht große Worte gemacht, sondern sein Wort Mensch werden lassen", so Diözesan-Administrator Weihbischof Reinhard Hauke in seiner Predigt zu Silvester 2013

Das Domkapitel wartet auf einen Brief aus Rom mit drei Namen. Die Gläubigen des Bistums Erfurt warten auf einen neuen Bischof, den das Domkapitel aus den drei Kandidaten zu wählen hat, die im Brief aus Rom genannt werden. Alle warten auf ein gutes Wort, das die kirchliche Situation im Bistum wieder ordnet und die Administration beendet. Dann können wir hoffen auf neue Ideen oder die Entfaltung von Ideen für das Bistum Erfurt, die schon vorgedacht wurden. Es geht um Buchstaben, um Worte, um Namen, hinter denen konkrete Menschen mit ihren Ideen stehen. So entfaltet sich unsere Menschheitsgeschichte. Sie lebt vom Wort, das uns gesagt wird oder das wir sagen. Das Wort kann heilende und zerstörerische Wirkung haben.

Personen sind für unser Bistum Erfurt bedeutsam: Weihbischof Dr. Joseph Freusberg, Bischof Hugo Aufderbeck, Bischof Dr. Joachim Wanke, Weihbischof Hans-Reinhard Koch, die heilige Elisabeth von Thüringen, der heilige Bonifatius und die heiligen Bischöfe Eoban und Adelar, die in der Domkrypta ruhen.

Vom heiligen Bonifatius ist uns in einem Brief an Papst Zacharias besonders die Gründungsmitteilung des Bistums Erfurt wichtig. Es heißt dort im Brief von 742: "Wir müssen Eurer Väterlichkeit mitteilen, dass wir durch Gottes Gnade für die Völker Germaniens, die einigermaßen aufgerüttelt und zurechtgewiesen sind, drei Bischöfe bestellt und die Provinz in drei Sprengel eingeteilt haben und jetzt bitten und wünschen wir, dass die drei Orte oder Städte, in denen sie eingesetzt und bestellt sind, durch Urkunden Eurer Machtfülle bestätigt und gesichert werden. Ein Bischofssitz, so haben wir bestimmt, soll in der Burg sein, die Würzburg heißt; und der zweite in der Stadt, die Buraburg heißt; der dritte an einer Stelle, die Erfurt heißt, diese war ehedem eine Stadt ackerbautreibender Heiden."
Wir wollen nicht nur die Namen der bedeutsamen Christen kennen, sondern uns sind ihre Worte wichtig und wir sind froh, wenn wir etwas finden können, was sie gesagt oder aufgeschrieben haben. Das Domarchiv bewahrt Urkunden und weitere Dokumente auf, die uns das Leben und Wirken der bisherigen Bischöfe von Erfurt verlebendigen.
Erinnert sei heute an ein Wort von Weihbischof Dr. Freusberg, das er 1959 bei der Männerwallfahrt zum Klüschen Hagis sagte: "Wir wissen und erleben, was für kostbare Werte der Glaube und die gläubige Ü;berzeugung uns vermitteln. Religion ist nicht Gefühlssache. Religion ist nicht überlebte Einrichtung. Religion ist kein Aberglaube. Religion ist kein Hemmnis für Fortschritt. Religion ist Leben! Religion ist Tat! ... Christliche Religion bejaht den menschlichen Fortschritt. Wir wissen, was wir an unserer katholischen Religion und unserem katholischen Glauben haben! Wir halten daran fest, und zwar unumstößlich und granithart."

Gern denke ich an das Bild, das Bischof Hugo Aufderbeck mir bei der Diakonenweihe 1978 auf den Weg mitgegeben hat: "Wir dürfen das Evangelium nicht wie einen nassen Lappen den Menschen um die Ohren hauen." Für mich bedeutet das: Das Evangelium ist Frohbotschaft und nicht Drohbotschaft. Oder ein anderes Bild von Bischof Aufderbeck ist bekannt: "Wir sind nicht schwarz wie die Teufel oder weiß wie die Engel. Wir sind grau wie die Esel und gestreift wie die Zebras."
Wie kann man besser beschreiben, welchen Zustand wir in unseren Herzen finden und doch wissen, dass wir von Gott geliebt sind.
Zu jeder Zeit haben die Worte der Bischöfe geholfen, die Situation der Kirche zu beschreiben und die Gläubigen dadurch zu stärken. Weihbischof Dr. Freusberg musste die Gläubigen sammeln und in eine verlässliche Ordnung einfügen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Bistumsgemeinde von 150.000 Katholiken auf über 600.000 an. Neue Dekanate, Pfarreien und Pfarrvikarien mussten gegründet werden. Bischof Hugo Aufderbeck versuchte, in der Zeit des Sozialismus und kämpferischen Atheismus der katholischen Kirche in der thüringischen Diaspora ein Profil zu geben. Wallfahrten spielten dabei eine große Rolle, d.h. auch seine bildreichen Predigten.

Bischof Dr. Wanke kam die Aufgabe zu, die Wendezeit für die Kirche und den Glauben zu deuten und auszuloten, welche neuen Chancen und Gefahren sich daraus ergeben. Die Geister zu unterscheiden wurde als Aufgabe beschrieben, die wir heute und in Zukunft aufnehmen müssen. Was wird der neue Bischof bringen? Unser Gebet ist Ausdruck dafür, dass wir in der Wahl des Bischofs einen geistlichen Prozess sehen, der letztlich von Gott gelenkt und verursacht wird. Wir bringen damit zum Ausdruck, dass wir nicht die Macher von Kirche sind, sondern diejenigen, die Fügungen und Führungen Gottes erkennen sollen und lediglich zu deuten haben - eventuell schnell oder auch auf historischer Distanz.

Worte haben Menschen auseinander und zusammen gebracht. Die Bibel nennt zwei uns bekannte Ereignisse: Den Turmbau zu Babel als Beispiel, wie die Sprachverwirrung und -vielfalt die Menschen auseinander bringt, und das Pfingstfest als Beispiel dafür, wie wir durch das gemeinsam gehörte und verstandene Wort trotz aller Vielfalt der Sprache zusammengeführt werden können. Beim Blick auf die unterschiedlichen Worte in den Religionen und Konfessionen wächst in uns das Bewusstsein für die Werthaftigkeit des Wortes. Wir ringen in der Ökumene um gemeinsame Ü;bersetzungen der Heiligen Schrift und spüren die Problematik, an gewohnten Formulierungen zu haften und damit neue Gemeinsamkeit zu verhindern. Auch im neuen Gotteslob wurden Kompromisse bei Liedtexten und Melodien gemacht, um zu einer Gemeinsamkeit des Betens und Singens im deutschsprachigen Raum zu finden. Das Studium der Quellen und das Hinhören auf die Menschen unserer Zeit können helfen, einen zeitgemäßen Ausdruck dessen zu finden, was unsere geistlichen Vorväter und -mütter geglaubt und im Glauben zum Ausdruck gebracht haben.

Das Johannesevangelium meditiert in seinem Prolog über die Bedeutung des Wortes. Für uns heute in der Weihnachtszeit ist dabei der Satz besonders bedeutsam: "Und das Wort ist Fleisch geworden." Eine größere Bedeutung kann man dem Wort nicht zumessen. Gott hat nicht große Worte gemacht, sondern sein Wort Mensch werden lassen. Im Dom können wir ein Rundbild im Langhaus betrachten, auf dem der Maler Peter von Mainz im 16. Jahrhundert diesen Satz anschaulich gemacht hat, als er die sogenannte "Hostienmühle" malte. Die vier Evangelisten schütten in die Hostienmühle ihr Wort Gottes - ihre Evangelien - hinein und unten erscheint in einem Kelch das Jesuskind. Dabei kommt ein zusätzlicher Gedanke ins Spiel: da die Evangelisten ja in unterschiedlicher Weise geschrieben und gepredigt haben, wird damit ja auch das Menschenwort in das menschgewordene Gotteswort eingefügt. Wir wissen, dass die Kirche lange mit der Frage gerungen hat, wie viel Menschliches im Evangelium sein darf oder was es bedeutet, wenn wir sagen: Die göttliche Inspiration hat die biblischen Texte werden lassen. Heute sind wir uns darüber einig, dass Gottes Wort in Menschengestalt zu uns gekommen ist und wir einerseits den Anteil des Menschen würdigen müssen und andererseits durch unseren menschlichen Ausdruck die Anstößigkeit der Gottesbotschaft nicht wegdrängen oder vereinfachen dürfen.

Auch die Arbeit am neuen Messbuch macht mir dieses Ringen deutlich, denn die Ü;bersetzer haben die Aufgabe, entsprechend dem lateinischen Text zu übersetzen und doch die deutsche Sprache in ihrer Eigenart zu berücksichtigen. Weiterhin sollen die klaren biblischen Bilder und Hinweise nicht vereinfacht oder verunklärt werden. Gott traut uns Menschen zu, dass wir sein Wort verstehen und in unser Leben umsetzen können. Seine Inkarnation, die in Bethlehem einen besonderen Ausdruck gefunden hat, setzt sich fort, wenn wir Gottes Wort hören und für unser eigenes Leben bedenken. Das neue Gotteslob will durch seine Hinweise auf das Lesen und Meditieren der Heiligen Schrift einen Beitrag zu diesem Prozess geben. Die Theologen haben die Aufgabe, durch das Studium der heiligen Schrift in ihrer Ursprache die Kraft des Wortes zu erkennen und dahin einzuführen.

Wir alle haben die Aufgabe, dieses heilige Wort tiefer zu verstehen und in unserem Leben sichtbar zu machen. Was wir im alten Jahr 2013 begonnen haben, soll auch im kommenden Jahr 2014 weitergeführt und vervollkommnet werden. Dazu gebe uns Gott seinen Segen. Papst Franziskus hat uns aufgefordert, die Kirche als den Ort zu sehen, wo Wunden verbunden und geheilt werden, die in der Gesellschaft oder auch durch die Kirche geschlagen wurden. So lasst uns das heilende und heilige Wort Gottes als Arznei ansehen, die uns geschenkt wurde und nicht im Bücherregal verstauben soll. Die Kraft des göttlichen Wortes kann nur spüren, wer sich ihm stellt. Amen.