Gottes starker Arm

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr in der Vesper im Dom zum Gedenken an die Opfer der Corona-Pandemie

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,


die Europäische Bischofskonferenz hat für heute (27.2.) zu einem Gedenken an die Opfer der Corona-Pandemie aufgerufen. Weltweit sind diesem Virus bisher über 2 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. In Deutschland sind es über 65.000 Menschen. Wegen der Infektionsgefahr sind viele von ihnen auf der Isolierstation eines Krankenhauses alleine gestorben. Die Angehörigen konnten ihnen nicht oder nur in vollständiger Schutzkleidung beistehen. Den Seelsorgern wurde es zwar ermöglicht, den Sterbenden das Sakrament der Krankensalbung zu spenden, allerdings auch in vollkommener Schutzkleidung.

Es war ein einsames Sterben für die Toten und eine furchtbare Erfahrung für die Angehörigen, ihren Lieben auf dem letzten Weg nicht beistehen zu können. Auch die Bestattungen, die Requien oder die Trauerfeiern konnten nur im kleinsten Rahmen stattfinden. In Thüringen kam noch erschwerend hinzu, dass die Zeitungen über Wochen keine Todesanzeigen veröffentlichen konnten. Das Gedenken an die Corona-Toten ist ein Gebetsanliegen für uns alle. Wir begrüßen daher besonders jene, die zu diesem Gottesdienst gekommen sind, um einen Ort für ihre Trauer zu haben.


Die Corona-Pandemie mit all ihren furchtbaren Folgen lässt mich den Klagepsalm 44 besonders intensiv beten. Es heißt dort in Vers 24: „Wach auf! Warum schläfst Du, Herr? Erwache, verstoß nicht für immer!“ Während der Advent den Christen zuruft „Wachet auf!“, kann die Fastenzeit zu einer Zeit des Betens werden, in der wir Gott anflehen, wach zu sein für unsere Situation. Die Corona-Pandemie liegt wie ein schweres Kreuz auf der gesamten Menschheit.


Mir gibt in dieser Zeit ein Bild Trost, das in meinem Andachtsraum hängt. Ich habe es zu meiner Priesterweihe von einer alten Frau in Mainz geschenkt bekommen. Sie lebte unter sehr einfachen Verhältnissen in einer Ein-Raum-Wohnung. Die Küche befand sich gegenüber auf dem Flur, im Treppenhaus war die Toilette, eine Dusche oder ein Bad gab es nicht. Ich habe der Frau das Heizöl für ihren Ölofen aus dem Keller geholt und häufig und gern mit ihr gesprochen und von ihrer Lebenserfahrung gehört.

Zur Priesterweihe schenkte sie mir die Zeichnung eines Künstlers, Klaus Wendland, die ihr viel Trost in ihrem schweren Leben gespendet hat. Der Künstler hat das schwere Kreuz über der Menschheit gezeichnet. Über dem Kreuz ist ein mächtiger Arm zu sehen, der hilft, das Kreuz zu tragen.

Dieses Bild lädt ein, nach diesem starken Arm Ausschau zu halten. Für uns ist es der starke Arm Gottes, der das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hat und der starke Arm des Gekreuzigten, der uns von aller Sünde und von aller Not endgültig erlöst hat.

Die Fastenzeit ist für mich eine Zeit, nach diesem starken Arm Ausschau zu halten und Gott anzuflehen, dass er eingreift und zupackt.