Gottes Geduld kennen lernen - aus ihrer Kraft leben

Predigt zum 3. Fastensonntag von Regens Wolfgang Ipolt, Erfurt


Rembrandt, Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (um 1662, Detail)
Predigt zum 3. Fastensonntag von Regens Wolfgang Ipolt...

1. Erfahrungen des Bösen, des Unheils und der Sünde


Ein altes lateinisches Sprichwort lautet: "Verba docent - exempla trahunt!" (Worte belehren - Beispiele ziehen!). Mit Worten, mit Ü;berredungskünsten und Erklärungen kann man manches erreichen; lebendige Beispiele aber verlocken - sie ziehen den Menschen an, so dass er beinahe wie von selbst anfängt, zu handeln.


Dieses Sprichwort der alten Römer trifft zunächst für gute Beispiele zu. Gute Eltern, Lehrer und Seelsorger werden die ihnen Anvertrauten nicht nur belehren, ihnen trockene Wahrheiten vermitteln. Sie werden auch mit gutem Beispiel voran gehen. Wenn es auch nicht automatisch geht, dass Kinder dem Beispiel ihrer Eltern folgen - es bleiben aber in ihrer Seele gute Erinnerungen an das, was ihnen die Eltern vorgelebt haben. Und jeder Lehrer weiß, wie wichtig ein gutes Beispiel ist - und wie dieses langfristig Wirkungen zeigt.


Es gibt aber nicht nur gute Beispiele, sondern auch schlechte. Und auch die verlocken manchmal zur Nachahmung. Es ist wohl inzwischen unter Psychologen unbestritten, dass der häufige Umgang mit Gewaltspielen seine Wirkungen hat und zur Nachahmung anregt. Denken wir nur an die Schüler, von denen in den letzten Monaten in den Medien die Rede war: Sie hantierten mit Waffen verschiedenster Art und verletzten oder töteten andere. Waren sie unter anderem auch verlockt dazu durch solche Spiele auf ihrem Computer?


Schlechte Bilder wirken wie Beispiele, lassen Böses in unserem Inneren entstehen und verstärken auch die Sehnsucht danach. Sie können eine solche Kraft entfalten, dass sich ein Mensch ganz daran ausliefert. Schlechte Beispiele können Menschen auch wirklich in die Irre führen. Da helfen dann oft viele Worte und Warnungen nicht mehr.


Böses und Schlimmes entsteht unter Menschen dennoch durch eine freie Entscheidung dafür; aber ausgelöst und vorbereitet wird ein solcher Weg oft durch schlechte Beispiele und Vorbilder.


Und nicht zuletzt ist es bei unseren Sünden auch so: "Das machen doch alle so!" - so entschuldigen wir uns manchmal für etwas, was wirklich Sünde ist und auch so genannt werden sollte. Wir schielen dabei auf das Beispiel anderer, das uns verführt und wir entschuldigen uns zugleich damit.



2. Die Mahnung Jesu: eine dringlich-barmherzige Einladung zur Umkehr


Das Evangelium dieses Sonntags erzählt von zwei furchtbaren Ereignissen - von einem Mord an Menschen, die der römische Statthalter während einer religiösen Opferhandlung umbringen ließ, und vom Einsturz eines Turmes, bei dem mehrere Menschen zu Tode kamen. Nach jüdischem Verständnis gab es bei solchen schlimmen Ereignissen immer einen Grund: der Betroffene hatte gesündigt und er hatte darum eine Strafe verdient.


Jesus lässt das nicht so stehen. Er möchte diejenigen, die ihm davon erzählen, ein Stück weiterführen. Er möchte eine bestimmte Einsicht erreichen und darum stellt er eine gewichtige Frage: "Meint ihr, dass nur diese Sünder waren und Schuld auf sich geladen hatten, die dieses Unglück getroffen hat?" (vgl. Verse 2.4f.). Und er beantwortet die Frage selbst: "Ihr werdet alle genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt." (Verse 3.5). Die Menschen sind ratlos, sie können die furchtbaren Ereignisse nicht verstehen. Aber diese Unsicherheit benutzt Jesus, um sie in eine heilsame Erschütterung zu versetzen. Das Unglück der Betroffenen ist ein mahnendes Beispiel, ein Hinweis für alle. Es ist wie ein Bußruf, für alle, die noch einmal davongekommen sind. Jeder, der die Umkehr verweigert, wird dem Gericht Gottes verfallen. Das ist das Entscheidende, nicht ob der oder jener Schuld auf sich geladen hat.


Die Ereignisse, von denen das Evangelium berichtet, sind ein "warnendes Beispiel für uns" (vgl. 2. Lesung), damit wir die ernste Einladung zur Umkehr nicht überhören. So schlimm der Anlass dazu ist - so großherzig ist die Einladung des Herrn für alle Menschen. Vor Gott sind alle ohne Ausnahme Sünder und bedürfen seines Erbarmens. Und manchmal erkennen wir das wohl nur durch warnende Ereignisse und Beispiele. Katastrophen sind Zeichen der Zeit, die zur Besinnung rufen wollen. Und sie erinnern uns alle daran, wie notwendig die Hinkehr zu Gott und die Umkehr des eigenen Lebenswandels sind.



3. Von der Gemeinschaft in der Sünde zu einer Gemeinschaft des Erbarmens und der Geduld


Liebe Schwestern und Brüder,

erinnern wir uns noch einmal an das eingangs genannte Sprichwort: "Verba docent - exempla trahunt". Worte sind oft zu wenig, Beispiele lebendiger Menschen stecken viel eher an.


Wenn es also so ist, dass wir eine Gemeinschaft von Sündern sind und wir darum der Umkehr bedürfen, dann braucht es Wege und Möglichkeiten dafür, wie diese gelingen kann - es braucht den Blick auf gute Beispiele, an denen wir Maß nehmen können.


a) Wir dürfen auf Gott schauen mit seiner unendlichen Geduld. Er ist der Weingärtner, der voller Hoffnung trotz des fruchtlosen Feigenbaumes sagen kann: "Lass ihn dieses Jahr noch stehen? vielleicht trägt er doch noch Früchte." Ernste Mahnung! Die Zeit drängt! Und doch ist da die Geduld, die noch gute Früchte erwartet. So ist Gott mit uns! Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum will uns nicht nur sagen, dass wir unser Glück für immer verspielen können, sondern auch, dass Gott uns eine echte Chance gibt. Jesus ist ja gerade deshalb in diese Welt gekommen, damit er allen, die danach Sehnsucht haben den Weg dazu ebnet.


b) In diesem Jahr schauen wir insbesondere auf das Beispiel der heiligen Elisabeth. Wie viel Unheil und Not sah sie in ihrer Umgebung! Sie hat nicht so sehr nach den Ursachen dafür gefragt; sie hat keinem die Schuld dafür gegeben - sie hat vielmehr versucht, Zeichen des Erbarmens zu setzen in der Nachfolge Christi. Für ihren Stand, zu dem sie gehörte, war das ein Beispiel der Umkehr und sie hat sich da ja wahrhaftig auch nicht immer beliebt gemacht.

Dass aber dieses Beispiel bis heute bekannt und beliebt ist, spricht dafür, dass sie den "Nagel auf den Kopf" getroffen hat. Jede menschliche Gemeinschaft von der Familie angefangen bis hin zur ganzen Gesellschaft lebt vom Erbarmen und von der Geduld; und da kann keiner sagen, dass er das nicht nötig habe!


c) Auf Gott schauen, auf die heilige Elisabeth und viele andere Menschen schauen und von ihrem Beispiel lernen, das soll letztlich unser eigenes Herz verwandeln. Wie wird aus einer Gemeinschaft von Sündern eine Gemeinschaft des Erbarmens?

Unter den sieben geistigen Werken der Barmherzigkeit, die vom heiligen Augustinus überliefert worden sind, findet sich eins, das uns vielleicht ein wenig verwundert. Es lautet: "Sünder zurechtweisen!" (In der Aufzählung des Kompendiums des Katechismus der katholischen Kirche ist es das vierte geistige Werk der Barmherzigkeit. Im Leporello des Bistums Erfurt ist es das dritte und lautet dort: "Irrende zurechtweisen".)

Ist es barmherzig, andere zu korrigieren, ihnen klarzumachen, dass sie auf einem falschen Weg sind? Steht uns das überhaupt zu?

Ich meine, wir dürfen das wirklich tun - natürlich in dem Bewusstsein, dass wir es auch selbst nötig haben. Zurechtweisen - das bedeutet: einem Menschen den dem Evangelium entsprechenden Weg weisen. Es bedeutet, jemandem Rat und Hilfe anbieten, der sich in eine falsche Richtung bewegt, ja der sich vielleicht sogar von Gott wegbewegt. Das geschieht nie "von oben herab", sondern immer in der Gesinnung Jesu, das heißt: voller Erbarmen.

Wir selber könnten nur dankbar sein, wenn wir in unserer Umgebung Menschen finden, die diesen Dienst an uns tun! Denn für jeden gilt das Wort des Apostels: "Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt." (1 Kor 10, 12 - 2)



Liebe Gemeinde,

im Tagesgebet dieses 3. Fastensonntags haben wir gebetet: "Gott, unser Vater,?wir stehen als Sünder vor dir? lass uns Vergebung finden durch Fasten, Gebet und Werke der Liebe." Im Blick auf das Beispiel unseres Gottes und der Heiligen, die in der Nachfolge Christi gelebt haben, wollen wir in dieser Zeit der Vorbereitung auf Ostern alles daran setzen, dass in uns der Geist der Barmherzigkeit wächst. "Ein Christ, der in diesem Sinne noch nichts Befremdliches getan hat, muss sich fragen lassen, ob er überhaupt auf dem Weg Jesu Christi geht." (Hirtenbrief der Bischöfe von Erfurt und Fulda zum Elisabeth-Jahr 2007) Aus der Kraft der Geduld unseres Herrn wird manches auch durch unsere Mühe möglich werden. Amen.



Predigtreihe zur Fastenzeit: Mit den Augen Gottes sehen lernen